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Redebeitrag von Clemens Ronnefeldt am Hiroschimatag 5.8.05


Liebe Freundinnen und Freunde,

wer heute (5.8.05) die Süddeutsche Zeitung aufschlug, fand die Überschrift: „Vor 60 Jahren fielen die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki“. Die beiden Bomben fielen allerdings nicht von selbst – sie wurden bewusst im Auftrag der US-amerikanischen Regierung von Menschen abgeworfen. Damals war Japan mit den Achsenmächten Deutschland und Italien verbündet.

Nach dem 11. September 2001 hat Präsident George W. Bush wohl in bewusster Parallelsetzung zum Begriff der „Achsenmächte“ des 2. Weltkrieges ein neues Dreierbündnis, eine neue „Achse des Bösen“, entdeckt: Irak, Iran und Nordkorea.

Im Irak wurden nach dem offiziellen Kriegsende Städte wie Falludscha, Talafar  oder Al Qaim mit Flächenbombardierungen überzogen, um den Widerstand gegen die Besatzung zu brechen. Es ist ein Skandal, dass sich der UN-Sicherheitsrat bisher in keinster Weise mit diesen völkerrechtswidrigen Kriegsverbrechen an der irakischen Zivilbevölkerung befasst hat.

Das zweite Land auf der Achse des Bösen, das dieser Tage besonders viele Schlagzeilen
macht, ist Iran.

Ich möchte vier Punkte bezüglich Iran etwas näher beleuchten:

1. Worum geht es im Atomstreit?
      2.  Gibt es Perspektiven für eine zivile Lösung?
      3.  Wie geht es in nächster Zukunft weiter?
      4.  Was können wir tun?

1. Worum geht es im Atomstreit?

Im Streit um das iranische Atomprogramm geht es im Kern um die Frage eines regionalen Ungleichgewichtes: Während Israel, Pakistan, Indien und Russland in unmittelbarer Nachbarschaft des Iran über Atomwaffen verfügen, versuchen die USA und Europa, dies der Regierung in Teheran zu verbieten.
 
Dass die Menschen im Iran sowie die Regierung sich in ihrer Existenz bedroht fühlen, lässt sich leicht erklären, wenn man einen Blick in die Nachbarstaaten wirft:  Iran ist von US-Truppen im Irak, im persischen Golf, in Afghanistan sowie einigen früheren Sowjetrepubliken regelrecht umzingelt.

Für einen Teil der politischen Kräfte im Iran würde der Besitz von Atomwaffen so etwas wie eine Überlebensversicherung bedeuten: Ein Angriff von Seiten der USA oder Israels würde sehr viel unwahrscheinlicher.

Westliche Geheimdienste vermuten allerdings, dass es noch mindestens drei bis fünf Jahre dauern wird, bis Iran in der Lage ist, eine Atombombe zu bauen.

Einem weiteren Teil der iranischen Elite geht es schlicht um gleiches Recht für Alle: Mit welchem Recht soll Iran die friedliche Nutzung der Atomenergie verboten werden? Der Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag verbietet nicht einmal die Urananreicherung für zivile Zwecke.

Solange US-Truppen im Nachbarland Irak gebunden und daher kaum in der Lage sind, einen neuen Krieg gegen Iran zu beginnen, scheint offenbar einigen iranischen Entscheidungsträgern die Gelegenheit  günstig, zur Atommacht aufzusteigen.

2.  Gibt es Perspektiven für eine zivile Lösung?

Der erste Schritt für eine zivile, diplomatische Lösung des gegenwärtigen Streites um das  iranische Atomprogramm bestünde im Anerkennen des atomaren Ungleichgewichtes in der Region Naher und Mittlerer Osten.

Zur Beseitigung dieser grundlegenden Konfliktursache wäre die Einberufung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten geeignet, die auf eine ABC-waffenfreie Zone von Israel bis Indien hinarbeiten könnte.

Forderungen nach der Umsetzung einer solchen ABC-waffenfreien Zone finden sich bereits in mehreren UN-Resolutionen bezüglich Iraks, wurden allerdings bisher noch nie ernsthaft aufgegriffen.

Zur kurzfristigen Entschärfung des Konfliktes würde ein umfassendes Hilfsprogramm beitra-gen, an dem Iran aufgrund seiner wirtschaftlich sehr schlechten Situation größtes Interesse hat.

Im Gegenzug zum atomaren Waffenverzicht Teherans könnten die USA und die Europäische Union eine umfassende Sicherheitsgarantie für Iran abgeben.  Die US-Regieurng könnte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen anbieten und das Embargo aufheben.

Die Mullahs als eigentliche Machthaber im Iran sind an einem Aufbrechen der zunehmenden Isolation des Landes und seiner US-Umzingelung ebenso interessiert wie an einer raschen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Ein wichtiger Anreiz für Zugeständnisse Teherans wäre daher die Aufnahme Irans in die Welthandelsorganisation WTO.

Die Eskalation  ist allerdings schon sehr weiter fortgeschritten:
Der frühere US-Waffen-Inspektor der UN-Abrüstungs-Kommission im Irak, Scott Ritter, behauptet, der US-Krieg mit Iran habe bereits begonnen.

Dafür nennt er folgende Indizien:

a. Bereits jetzt fliegen unbemannte US-Drohnen über Iran und verletzten damit die Souveränität des Landes.

b. Die iranische oppositionelle Mudjahedin-Organisation "el-Khalq", die früher vom irakischen Geheimdienst unter Saddam Hussein geführt wurde, führe bereits jetzt  im Auftrag des US-Geheimdienstes CIA Terroranschläge im Iran aus.

c. Im nördlichen Nachbarland des Iran, in Aserbaidschan, bauten US-Militärs derzeit eine Basis für eine massive Militärpräsenz aus, die Ausgangsbasis für eine spätere militärische Einnahme der iranischen Hauptstadt werden soll.

Dennoch gibt es Anzeichen, dass eine Entscheidung für oder gegen militärische Schläge noch nicht abschließend gefallen ist.

3. Wie geht es in nächster Zukunft weiter?
Heute übergibt das EU-Verhandlungstrio, bestehend aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland, ein in Teheran lange erwartetes Schreiben mit Vorschlägen, wie der Streit um das iranische Atomprogramm beigelegt werden könnte. Die EU wird darin vermutlich wirtschaftliche und politische Anreize bieten, wenn Iran auf sein Atomprogramm verzichtet.

Für den morgigen Samstag kündigte die iranische Regierung die Wiederaufnahme der Verarbeitung von Uran an, allerdings noch nicht die Anreicherung von Uran. Dies hat zu großer Empörung in zahlreichen westlichen Staaten geführt.

Für kommenden Dienstag haben europäische Diplomaten eine Dringlichkeitssitzung der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien beantragt. Ob es in diesem 35-Staaten-Gremium eine Mehrheit für eine harte Linie gegen Iran gibt, ist derzeit völlig offen.
Sollte die Wiener Behörde den Fall Iran demnächst an den UN-Sicherheitsrat übergeben, würde vermutlich eine ähnliche Eskalationsspirale ablaufen wie im Falle Irak.

Liebe Freundinnen und Freunde,
ich komme zu meinem vierten und letzten Punkt:

4. Was können wir tun?
Ich möchte zwei Dinge nennen:

a) Hier in Deutschland können wir die Zeit des Vorwahlkampfes nutzen, um Bundestagsab-geordneten in Briefen oder persönlichen Gesprächen deutlich zu machen, dass sie für uns nicht wählbar sind, wenn sie Militärschläge gegen Iran befürworten.

b) In Petitionen an die Parteien können wir unsere Forderung vorbringen, nicht noch einmal wie Im Falle Irak Deutschland als militärische Drehscheibe zu benutzen. Überflugrechte für US-Kampfflugzeuge dürfen nicht noch einmal auf der Basis falscher Behauptungen gewährt werden! Dafür könnten wir bereits jetzt Stellungnahmen und Zusagen einholen – und diese nach den Wahlen einfordern.

Nach dem 15. Februar  2003, als in rund 600 Städten der Erde mehr als 12 Millionen Menschen für den Frieden und gegen einen Irak-Krieg demonstrierten, schrieb die New York Times von einer „zweiten Supermacht“. Sie meinte damit die durch die Friedensbewegung weltweit geprägte öffentliche Meinung, Krieg als Mittel der Politik abzulehnen.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass diese weltweit wachsende Bewegung für Gerechtigkeit und Frieden so stark wird, dass sie die Menschheit von den Geiseln der Ungerechtigkeit, atomarer Waffen und des Krieges befreien kann.

Ich danke fürs aufmerksame Zuhören.

Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes, A.-v.-Humboldt-Weg 8a, 85354 Freising, www.versoehnungsbund.de