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Rede von Ernst Antoni, stv. Bezirksvorsitzender von ver.di München bei der Kundgebung des Münchner Friedensbündnisses am 10. Dezember 2001 auf dem Jakobsplatz:

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,

zu unserer heutigen Friedensdemonstration und Kundgebung unter dem Motto "Stoppt den Krieg sofort - und auf Dauer! Gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr" haben wir uns anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte versammelt, der am 10. Dezember begangen wird. Vor 53 Jahren, im Dezember 1948, haben die Vereinten Nationen die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verabschiedet, ein aus 30 Artikeln bestehendes programmatisches Dokument, das geprägt war von den vorangegangenen Erfahrungen mit Faschismus und Weltkrieg.

In einer Präambel, die diesem Dokument vorangestellt wurde, betonten die Vereinten Nationen, dass "die Verkennung und Missachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben". Es gehe deshalb nun darum, diese Erklärung der Menschenrechte "als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal" zu verwirklichen.

Das war, wie gesagt, im Dezember 1948. Seit der Proklamation dieser UNO-Deklaration vor über 50 Jahren ist in Richtung der Verwirklichung dieses schönen gemeinsamen Ideals weltweit und auch bei uns wenig geschehen.

"Jedermann hat Anspruch auf die in dieser Erklärung proklamierten Rechte und Freiheiten", heißt es etwa im Artikel 2 der Menschenrechts-Deklaration, "ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger überzeugung, nationaler und sozialer Herkunft, nach Vermögen, Geburt oder sonstigem Status."

Wie es sich in der Realität damit und mit dem Anspruch auf Grundrechte und Grundfreiheiten verhält, die damals festgehalten und teilweise in die Verfassungen verschiedener Staaten aufgenommen wurden, zum Beispiel auch ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das wissen wir. Das ist die eine Seite Medaille.

Die andere aber - und das sollte uns an diesem "Tag der Menschenrechte" im ausklingenden Jahr 2001 schon zu denken geben -, die andere ist die permanente Funktionalisierung einzelner Menschenrechte zur Diskreditierung der jeweils anderen, der politischen Gegner, wie es zu Zeiten des Kalten Krieges gängige Praxis war - und in immer stärkerem Maße die Funktionalisierung von Menschenrechten zur Legitimation von kriegerischen Handlungen.

Einer, der sich da auskennt, hat 1994 mit Blick auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland gesagt: "Für die Zukunft sehe ich die erhebliche Gefahr, dass die Bundesregierung, Koalition und Generäle nach den Gesetzen der Salamitaktik Anlässe suchen oder Anlässe schaffen werden, um die Barrieren abzuräumen, die es gegenüber der Außenpolitik des vereinigten Deutschlands noch gibt. Als Vehikel dienen dabei Menschenrechts- und Humanitätsfragen."

Das waren weise vorausschauende Worte des damaligen grünen Oppositionspolitikers Joseph Fischer, der genau das, was er damals, vor erst sieben Jahren, als "erhebliche Gefahr" brandmarkte, inzwischen als Außenminister gemeinsam mit seinen Regierungskollegen praktiziert. Die Menschenrechte, die doch angeblich unteilbar sind, werden so zu einem Selbstbedienungskatalog, mit dem nach jeweiliger politischer und wirtschaftlicher Interessenslage Schindluder getrieben wird.

Der Terroranschlag gegen die USA war ein ungeheuerliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit - daran gibt es keinen Zweifel. Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber kann man weder verhindern noch ahnden, wenn man sie zum Vehikel nimmt, um Grund- und Menschenrechte abzuschaffen, um unschuldigen Menschen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit abzusprechen.

Dazu der Kommentar einer der wenigen Bundestagsabgeordneten, die standhaft geblieben sind, die sich nicht von der Kanzler-Erpressung mit der Vertrauensfrage haben einschüchtern lassen. Ich zitiere die Abgeordnete der Bündnisgrünen, Annelie Buntenbach:

"Der Terroranschlag wurde zum Anlass für weitreichende politische und militärische Entscheidungen genommen. An vorgeblichen Zielen für diesen Krieg fehlt es nicht. Sie reichen von der Ergreifung des vermeintlichen Täters Bin Laden über den Sturz des Taliban-Regimes bis hin zu 'Rache, Vergeltung' und dem 'Kampf der Kulturen'. Nach den Ankündigungen aus den USA wird der Kampf gegen den Terrorismus ein lang andauernder Krieg, der die Bevölkerung weiterer so genannter Schurkenstaaten treffen kann. Keine dieser Ziele", so fährt Annelie Buntenbach fort, "keine dieser Ziele entsprechen dem, was nach dem 11. September verteidigt werden sollte, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Zivilisation. Die Wahllosigkeit zeigt eine Entgrenzung, in der nur noch eines gilt: Der Vorrang militärischer Lösungen und eine Militarisierung von Politik und Gesellschaft."

Bezogen auf Grund- und Menschenrechte bedeutet diese von Annelie Buntenbach angeprangerte Entgrenzung eine rapide Demontage rechtsstaatlicher Normen, die nicht zuletzt in vielem auf den Artikeln der Deklaration der Menschenrechte basieren.

"Am weitesten", schreibt Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung", "geht dabei bisher die Bush-Regierung. Die Fahndungs-, Justiz- und Einwanderungsbehörden (...) werden 'mobilisiert und unter Kriegsbedingungen reorganisiert'. Die Trennung von polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittlungen ist praktisch aufgehoben, das Abhören von Telefonen kinderleicht geworden. 1200 Araber sind in Gefängnissen festgesetzt, ohne dass sich jemand dazu erklärt, was ihnen vorgeworfen wird. 5000 arabische Muslime wurden verhört, gegen die hauptsächlich die Erkenntnis vorlag, dass es sich um arabische Muslime handelt. Die Grundsätze des aufgeklärten Strafverfahrens stehen unter Kriegsvorbehalt, das heißt: Verdächtige Ausländer bleiben ohne Anklage inhaftiert, falls der Justizminister 'eine Gefahr für die Sicherheit der Nation' ausmacht. Wer in den Dunstkreis des Terrorismus gerät, ist nahezu vogelfrei."

Der Appell des Bundeskanzlers zur "uneingeschränkten Solidarität" mit den USA nach dem Terroranschlag vom 11. September hat nicht nur die Militärs erfreut; es scheint, als habe Bundesinnenminister Otto Schily nur darauf gewartet, vor diesem Hintergrund sein "Sicherheitspaket" oder wie es jetzt heißt: "Anti-Terror-Paket" schnüren zu können. Burkhard Hirsch, ehemaliger Bundestagsvizepräsident, charakterisiert dieses "Paket" so: "Bei aller Zurückhaltung: Der Gesetzentwurf hat keinen Respekt vor der Rechtstradition unseres Landes, vor Würde und Privatheit seiner Bürger. Er verrät totalitären Geist. Keine einzige der in Schilys Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen wäre geeignet gewesen, das Attentat von New York zu verhindern. Aber die nun geforderten überwachungsmechanismen beschädigen die Legitimität unseres Staates."

Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass die UNO-Deklaration der Menschenrechte aus den Erfahrungen mit dem deutschen faschistischen Terrorregime und seinem Eroberungskrieg resultierte. Auf eben jenen Erfahrungen fußen auch der Grundrechtekatalog und eine Reihe weiterer Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Wir sollten uns an diesem Tag der Menschenrechte ihrer erinnern und alles daran setzen, dass sie erhalten und ausgebaut und nicht weiter demontiert werden.

Ich spreche hier als Vertreter der Gewerkschaft ver.di. Es waren Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen während der NS-Zeit wussten, wie wichtig für eine Gesellschaft die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten und deren Verteidigung ist. Wir wissen - aus der täglichen Praxis in den Betrieben - welche Bedeutung der Artikel 3 des Grundgesetzes hat, der formuliert: "Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden."

Und es war nicht zuletzt die Gewerkschaftsbewegung, die nach 1945 vehement gefordert hat: "Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen!" Wenn heute ein Bundeskanzler meint, die Gewerkschaft IG Metall mit der Bemerkung schurigeln zu können, sie solle sich um ihre eigenen Sachen kümmern, weil sie von Außenpolitik nichts verstehe, dann antworten wir ihm mit dem Satz des Kollegen Jürgen Peters, des stellvertretenden Vorsitzenden der IG Metall: "Krieg und Frieden bleiben ein zentrales Thema der Arbeiterbewegung." Und - das sei ergänzt: Die Bewahrung und Erkämpfung der Grund- und Menschenrechte ebenfalls.

Und lasst mich noch eines dazu sagen: Unsere Gewerkschaft ver.di, für die ich hier spreche, setzt sich aus fünf so genannten Quellgewerkschaften zusammen: der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, der Deutschen Postgewerkschaft und der IG Medien. Aus dieser IG Medien komme ich und ich bin selbst von Beruf Journalist.

Ich habe gerade am Beispiel des Kommentars von Heribert Prantl in der SZ zustimmend zitiert, wie kritischer Journalismus mit diesem Krieg und dem damit verbundenen Abbau von Grund- und Menschenrechten umgeht. Umso wichtiger finde ich es, darauf deutlich hinzuweisen, dass der journalistische Mainstream gerade dort, wo der größere Anteil unserer Mitmenschen vor den Fernsehern sitzt oder Tageszeitungen liest, in andere Richtungen fließt.

Eines der widerlichsten Beispiele dafür lieferte unlängst die Boulevardzeitung "BZ" aus dem Springer-Konzern. Da durfte auf der Titelseite in bester Landserheft-Manier ein Bundeswehrsoldat durch ein Zielfernrohr schauen, umrahmt von folgender überschriften-Kombination. Dachzeile: "Anti-Terror-Feldzug". Groß aufgeblasene Hauptzeile: "Jetzt sind wir dabei!" Unterzeile: "Unsere Jungs vor Kampfeinsatz in Afghanistan".

Da in Afghanistan und anderswo hätten manche "unsere Jungs" - und "unsere Mädels" gleich mit dabei - wieder gerne. Wohin uns das schon einmal geführt hat, sollten wir eigentlich wissen.

Noch können wir dies verhindern. Aber machen wir uns nichts vor: Es bedarf dazu geduldiger überzeugungsarbeit bei denen, die dem Medien-Mainstream und den beschönigenden Politikerworten glauben, noch glauben Das sind laut Umfrageergebnissen zur Zeit eher noch die mehreren.

Da gibt es zum Beispiel jene, die meinen, das Afghanistan-Problem hätte sich mit der Niederwerfung der Taliban jetzt eh erledigt und dort entstünde nun ein Menschenrechts-Musterstaat. Und es gibt auch viele, die glauben wollen oder werden, Bombenangriffe auf weitere Staaten, die angeblich Terroristen beherbergen, würden den Terrorismus aus der Welt schaffen.

Zu fordern "Stoppt den Krieg sofort - und auf Dauer!" ist ohne Einschränkung richtig. Diese Forderung in die Köpfe unserer Mitmenschen zu kriegen, über diejenigen hinaus, die sich an diesem kalten 10. Dezember hier versammelt haben, aber bleibt harte Arbeit. Nicht zuletzt gegen den genannten Medien-Mainstream.

Lasst uns diese Arbeit gemeinsam angehen - und lasst uns dabei niemanden vergessen, mit der oder mit dem geredet oder diskutiert werden muss. Sonst werden unsere schönsten Analysen und Aufrufe Makulatur bleiben und der Weg in die Barbarei wird weitergehen.

Auf nichts anderes nämlich wird es letztlich herauslaufen: Auf eine Globalisierung der Menschenrechte oder auf eine Globalisierung der Barbarei. Entscheiden wir uns für die Menschenrechte!

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