Ostermarsch 30. März 2002 in München

Heinrich Birner, Geschäftsführer ver.di München

 

 

Grußwort

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

Liebe Freundinnen und Freunde aus den Friedensinitiativen und Friedensorganisationen,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Gewerkschaften,

liebe Münchner Bürgerinnen und Bürger,

 

 

die Ostermarschbewegung steht im Jahr 2002 unter dem Eindruck der schrecklichen Terroranschläge vom 11. September 2001 und der politischen Konsequenzen, die daraus gezogen worden sind.

Im Unterschied zu den 70er und 80er Jahren, die durch den kalten Krieg und eine beispiellose Aufrüstung, vor allem auch im Bereich der Nuklearwaffen, geprägt waren, haben wir uns am Anfang den 21. Jahrhunderts mit den Folgen der Globalisierung auseinander zu setzen.

Globalisierung im humanen Sinne könnte zu einem Verständnis von einer Welt, einer gemeinsamen Welt führen. Die verschiedenen Völker könnten friedlich miteinander leben und jeder Mensch könnte sich unabhängig von Herkunft, Rasse und Geschlecht seinen Platz auf dieser Welt aussuchen und dort leben. Von einem weltweiten Siegeszug der Menschenrechte ganz zu schweigen ...

Soweit die Vision, die Utopie, der Traum.

Leider sieht die Realität ganz anders aus, und die Globalisierung folgt anderen Werten und Zielen. Der share-holder-value ist zu einer modernen Gottheit geworden. Alles was für die Entwicklung des kurzfristigen Aktienkurses gut ist, ist angeblich auch gut für die Menschen.

Die Globalisierung, so wie sie praktiziert wird, ist eine Globalisierung der Wirtschaft und des Finanzkapitals. Handelshemmnisse werden abgebaut, geschützte Märkte geöffnet, kommunale und staatliche Wirtschaft dem Zwangswettbewerb ausgesetzt. Kurzum die nationalen Schranken werden eingerissen, damit die Wirtschaft und das Finanzkapital sich frei und uneingeschränkt entfalten können. Die ökonomischen und sozialen Folgen sind teilweise verheerend.

Ein Beispiel dafür, welche Folgen diese Globalisierung auf kommunaler Ebene für uns Münchnerinnen und Münchner haben kann, zeigen die Überlegungen der EU-Kommission, die Wasserversorgung zu liberalisieren. Die Wasserversorgung dem Wettbewerb auszusetzen bedeutet, dass die Zeiten, in denen wir das Trinkwasser in einer hervorragenden Qualität aus dem Wasserhahn trinken können, bald vorbei sind.

Heute kümmern sich die Stadt München und die Stadtwerke mit hohen finanziellen Mitteln darum, dass das Münchner Trinkwasser bereits an der Quelle, nämlich im Voralpenland sauber bleibt und beispielsweise nicht durch Überdüngung belastet wird. Jetzt haben wir noch die kommunale Entscheidungskompetenz und die Kontrolle durch den demokratisch gewählten Stadtrat. Wenn sich die Wettbewerbsfanatiker in Brüssel durchsetzen, dann wird die Qualität unseres Trinkwassers künftig vom Aktienkurs international agierender Konzerne abhängen.

Die Globalisierung wird von der Ideologie getragen, dass nur freie und unreglementierte Märkte Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze, Innovation und Wohlstand bringen können.

Globaler Wettbewerb bedeutet zwangsläufig, dass es Gewinner und Verlierer gibt.

Verlierer durch die Ungleichverteilung des Reichtums in einer Gesellschaft,

Verlierer durch Konkurse von Unternehmen,

Weltweit werden immer mehr Menschen arbeitslos.

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finden sich in der Regel auf der Verliererseite.

Verlierer gibt es auch durch die zunehmende Armut in ganzen Staaten, Ländern und Regionen.

Staaten, die sich nicht auf der Gewinnerseite wiederfinden, sondern in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, bleibt nichts anderes übrig, als beim Internationalen Währungsfond und bei der Weltbank anzuklopfen um nach neuen Krediten nachzufragen. Egal, welches Land, ganz gleich welches Problem, im Grunde haben IWF und Weltbank immer die gleiche Lösung parat. Sie verordnen Sparpolitik, Reduzierung der Staatsquote, Privatisierung, Öffnung der Märkte, Eindämmung der Inflationsrate und Reduzierung der Löhne.

Der frühere Weltbank Vizepräsident Joseph Stiglitz bezeichnet den IWF als betriebsblinden ideologischen Verband, der seine Maßnahmen nicht mehr als Mittel zu einem gerecht verteilten Wachstum vertritt, sondern nur als Selbstzweck.

Nicht wenige Staaten sind durch die Politik von IWF und Weltbank weiter in den Ruin getrieben worden.

Mit diesen von den Industriestaaten politisch gesteuerten Entwicklungen verschärft sich die weltweit ungerechte Reichtumsverteilung noch mehr. Das zunehmende Auseinanderklaffen zwischen armen und reichen Staaten erhöht die Gefahr neuer Kriege und militärischer Auseinandersetzungen.

Auch heute noch gilt unverändert die Aussage "Krieg ist die Verlängerung der Politik, nur mit anderen Mitteln".

Mit anderen Worten ausgedrückt: Es besteht die Gefahr, dass die ökonomisch entwickelten Länder ihren Vorsprung militärisch absichern.

Auch der militärische Rachefeldzug gegen die Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September hatte wirtschaftliche Gründe, die von der US-Regierung zumindest mitverfolgt wurden. Nach Afghanistan bereitet die US-Regierung bereits den nächsten Militärschlag gegen den Irak vor.

Auch innenpolitisch haben die Terroranschläge unser Land verändert, wie es sich kaum jemand unter uns vorstellen konnte.

Bundesinnenminister Otto Schily konnte sein "Sicherheitspaket", das sehr schnell zum "Anti-Terror-Paket" umbenannt wurde, schnüren. Burkhard Hirsch, ehemaliger Bundestagsvizepräsident, kritisiert das verabschiedete Gesetz, weil es "keinen Respekt vor der Rechtstradition unseres Landes, vor Würde und Privatheit seiner Bürger" habe, und weil es einen "totalitären Geist" verrate. Keine einzige der von Schily durchgepeitschten innenpolitischen Maßnahmen wäre geeignet gewesen, das Attentat von New York zu verhindern.

In München bekamen wir den veränderten innenpolitischen Kurs am ersten Februar-Wochenende zu spüren. Den Kritikerinnen und Kritikern der "Sicherheitskonferenz" wurde das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit entzogen, indem sämtliche Gegendemonstrationen verboten wurden. Ich finde es verfassungsrechtlich äußerst bedenklich, dass die Polizei den sog. unechten Polizeinotstand erklärt und als Konsequenz daraus die Gerichte die Demonstrationsverbote als zulässig erklären. Dieses Demonstrationsverbot muss politisch und rechtlich aufgearbeitet und gegebenenfalls verfassungsrechtlich überprüft werden.

Einen Skandal bezeichne ich die Einkesselung des Münchner Gewerkschaftshauses am Abend des 2. Februars. Während im sich im Gewerkschaftshaus Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Diskussionsveranstaltung befanden, riegelte die Polizei das Gelände rund um das DGB-Haus hermetisch ab. Die Veranstaltung im Gewerkschaftshaus verlief nach übereinstimmenden Berichten vollständig friedlich, diszipliniert und korrekt.

Dennoch wurde den Besuchern zunächst nur erlaubt, in 10er-Gruppen das Haus zu verlassen. Zwei junge Gewerkschaftskollegen von der IG BCE, die zu einer Jugendsitzung ihrer Gewerkschaft gehen wollten, wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen. Dieses polizeiliche Vorgehen gegen die Besucher des Gewerkschaftshauses ist Ausdruck staatlicher Repression gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Motto der heutigen Ostermarschveranstaltung lautet:

Krieg ist kein Mittel gegen Terror - Krieg ist Terror

Solidarität mit den Opfern von Gewalt

Für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung

Diesem Motto hat sich die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in München angeschlossen und den Aufruf zur heutigen Veranstaltung unterstützt.

In diesem Sinne darf ich euch die herzlichsten Grüße meiner Gewerkschaft übermitteln und der heutigen Veranstaltung viel Erfolg wünschen.