attac-Ansprache zum Auftakt des Ostermarsches in München am 30. 3. 2002.

Thomas Forstner am Orleansplatz

Das Bedürfnis der Staaten des Westens, die große Völkerfamilie in ihre guten und ihre schlechten Exemplare zu selektieren, hat sich nach dem Abgang des "Reichs des Bösen" - so Ronald Reagan über die Sowjetunion - nicht erledigt. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums waren die westlichen Militärs zunächst in eine Art Vakuum gefallen – das plakative Feindbild war zerbrochen, ein Ersatz fehlte. Die Mullahs des globalen Marktfundamentalismus riefen schon das "Ende der Geschichte" und den glorreichen Sieg der Religion des Kapitals aus. Doch hatte man die Rechnung ohne die Sklaven der neoliberalen Ideologie gemacht. Der brutale Herrschaftsanspruch des westlichen Marktfundamentalismus über die Staaten der Welt, mit seiner Ignoranz gegenüber den kulturellen und religiösen Werten seiner Opfer, hatte eine Gegenreaktion provoziert, von deren brutaler Energie und Durchschlagskraft der Westen in hohem Maße überrascht war. Doch besann man sich schnell. Anstatt über die Ursachen des 11. September nachzudenken, gelang es den USA rasch, dieses Datum zur Legitimation einer neuen Strategie zu machen. Diese Strategie ist vermutlich ein neuer, radikaler Abschnitt in der Geschichte der globalen Marktreligion. Das neue Feindbild ist gefunden: Es ist – in der Sprache der Macht ausgedrückt, der "internationale Terrorismus".

Wir wollen hier nicht den Terrorismus verteidigen oder eine Entschuldigung für diese schrecklichen Gewalttaten suchen. Wir sind hier zusammengekommen, weil wir Gewalt als Mittel der Politik verabscheuen. Weil wir Gewalt ablehnen, lehnen wir aber auch Gewalt als Gegenmaßnahme gegen den Terrorismus ab. Gewalt ist kein legitimes Mittel zur Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten. In diesem Zusammenhang möchte ich drei Punkte ansprechen:

Erstens: Wir wehren uns gegen Krieg als Mittel der Politik. Der "Krieg gegen den Terror" ist kein gerechter Krieg. Krieg ist selbst Terror, Terror gegen die unschuldige Zivilbevölkerung, Terror gegenüber Menschen, die wie wir einen Anspruch auf Unversehrtheit ihrer Person haben. Freiheit und Gerechtigkeit läßt sich nicht herbei bomben. Genauso wird der Widerstand, die Gegengewalt, durch die Kriegspolitik der USA nicht vermindert, sondern vermehrt. Die Spirale der Gewalt schraubt sich ins Endlose. Auch die Situation in Israel ist ein trauriges Beispiel dafür, wie Gewalt stets nur neue Gewalt produziert, aber keinen Frieden schafft. Aber auch die globale Wirtschaftspolitik der westlichen Länder und ihrer Institutionen, die nur noch vom Diktat der die Menschenwürde mißachtenden Ideologie des Totalen Marktes beherrscht wird, ist nicht geeignet, ein Klima zu schaffen, in dem Frieden gedeihen kann. Wir fordern deshalb eine gerechte und solidarische Weltwirtschaftsordnung und eine Anerkenntnis fremder Kulturen und Werte jenseits der platten und plattmachenden Religion des totalen Mammons. Das Streben nach der Maximierung des Profits ist keine Basis für Gerechtigkeit. Geld ist kein Wert und Geld schafft keine Werte.

Wir wehren uns zweitens gegen den menschenverachtenden Stil der Politik, der nach dem 11. September wieder salonfähig geworden ist. Gerade im Fall des jetzt begonnen Krieges können wir besonders in den USA beobachten, wie sehr die Terminologie ideologisch aufgeladen wird um die Schaffung neuer Kriegsherde vorzubereiten. Dabei gehört die "Achse des Bösen" noch zum harmlosesten. So zeigte Präsident Bush am 11. 3. bei seiner Gedenkfeier für die Opfer der Attentate von New York und Washington nicht nur seine Entschlossenheit den Kampf fortzusetzen. Er legte auch sein Ziel fest: Die "Vernichtung der terroristischen Parasiten". Was hat unsere Regierung aus Auschwitz gelernt, wenn sie die erneute Titulierung von Menschen als zu vernichtendes Ungeziefer durch ihren Bündnispartner kritiklos hinnimmt. Am vergangenen Wochenende legte derselbe Präsident noch eins drauf, indem er einen – wiederum Zitat – "Krieg ohne Gnade" ankündigte. Was sollen diese Drohungen? Wozu anderes können sie dienen, als dazu, neue Angriffskriege vorzubereiten. Angriffskriege, die durch keinen Beschluß der Vereinten Nationen, nicht einmal der NATO gedeckt sind. Angriffskriege, die in Wahrheit nicht um hehre humanitäre Ziele geführt werden, sondern zum Zweck der rücksichtslosen und gewaltsamen Durchsetzung ökonomistischer Interessen. Angriffskriege, die dem dienen, was die Sprache der Macht "Globalisierung" nennt. Was ist diese Form der Globalisierung? Sie ist der Durchmarsch des Totalen Marktes zur Weltregierung.

Wir wehren uns drittens dagegen, selbst zu Terroristen gemacht werden. Die Sprache der Macht hat die Parole "Freiheit statt Sozialismus!" ersetzt. Nicht damit wird nun mehr über die Zugehörigkeit zu den sogenannten "Schurkenstaaten" und dem guten Rest der Welt unterschieden, sondern mittels eines ganz und gar systemübergreifenden und moralisch verwitterungsfesten Maßstabes. Wer für die gute Welt nach westlichem Modell ist, der teilt ihre Wertvorstellungen uneingeschränkt, er glaubt, ohne zu Zweifeln, an die Segnungen durch die Zirkulation des Kapitals und an die Wahrheit des Marktevangeliums. Kritiklose Solidarität ist gefordert. Wer an dieser Politik Kritik übt, wer sich weigert nach einem simplen Schema die Welt in gut und böse einzuteilen, wer an den Dogmen der Religion des Kapitals zweifelt, der fällt der neuen Inquisition anheim. Was ist diese neue Inquisition? Welche Gesetze wurden bei uns nach dem 11. September beschlossen? Gesetze, darüber sind sich selbst staatstragende Rechstsexperten einig, die nicht geeignet sind, terroristische Anschläge wie die zurückliegenden zukünftig zu verhindern. Wozu dienen diese Gesetze aber dann? Am 6. Dezember einigte sich der europäische Rat der Justiz- und Innenminister auf einen Rahmenbeschluß über den Terrorismus. Die dort beschlossenen Regelungen richten sich nicht gegen eine Gefahr von Außen. Sie richten sich auf uns! Nach der europäischen Terrorismusdefinition können diejenigen, die die vorhandenen politischen oder wirtschaftlichen Strukturen verändern wollen, als Terroristen angesehen werden. Nicht die Tat wird dabei bestraft, sondern bereits die Absicht. Die Definition dessen, was eine terroristische Aktion ist, sind so schwammig gehalten, daß der alte Rechtsgrundsatz, "Nullum crimen sine lege" ausgehebelt wird. Bereits das, was nach bisherigem Rechtsverständnis als ziviler Ungehorsam galt, kann nach diesen Gesetzen als terroristische Aktion gedeutet und entsprechend bestraft werden. Dies ist die Vorbereitung der totalen Gesinnungsdiktatur, in der jede Systemkritik schon im Ansatz verhindert werden soll. Diese Gesetze sind nicht dazu da, Terrorismus und Gewalttaten zu verhindern, sie richten sich gegen die zivilgesellschaftlichen Protestbewegungen, sie richten sich gegen uns. Sie sind der Auftakt zu dem Versuch, kritische Stimmen aus dem öffentlichen Leben auszuschalten.

Doch was können wir von der Sprache der Macht lernen: Wer die Begriffe besetzt, dem gehört die Zukunft! Die von den USA derzeit praktizierte und durch die Anschläge des 11. September legitimierte Kriegsstrategie, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Folge der herrschenden ökonomistischen Ideologie. Der 11. September schuf den idealen Vorwand für die Radikalisierung des neoliberalen Projekts und die Durchsetzung der Interessen des Totalen Marktes mit militärischen Mitteln – unter dem heuchlerischen Banner der Menschenrechte. Wer wie die US-Regierung aus purem Egoismus einen internationalen Vertrag nach dem anderen bricht, ist kein glaubwürdiger Verfechter der allgemeinen Menschenrechte. Was können wir tun? Die Sprache der Macht, die Sprache der neoliberalen Marktfundamentalisten und Kriegsstrategen muß als das entlarvt werden, was sie ist: Die Sprache einer im Grunde menschenverachtenden Ideologie, die auch in ökologischer Hinsicht auf die Vernichtung unserer aller Lebenswelt hinausläuft. Unser Ziel muß es sein, den Menschen die Augen zu öffnen, für den Betrug der an ihnen und der Zukunft ihrer Kinder unter dem Banner einer vermeintlich freien Wirtschaft verübt wird, die doch tatsächlich nicht mehr ist, als eine totalitäre Ideologie, die "Diktatur des Marktes". Wir wollen diese Diktatur nicht, wir wollen eine gerechte, ökologische, demokratische und friedliche Weltordnung! Wir rufen alle gesellschaftlichen Kräfte auf, wir rufen die Gewerkschaften auf, wir rufen die Kirchen auf, wir rufen die Intellektuellen auf, sich an der Aufklärungsarbeit zu beteiligen, wir rufen dazu auf, auf friedliche und rationale Weise zur Überwindung der gewaltsamen und irrationalen Ideologie des Totalen Marktes beizutragen. Es ist an der Zeit, sich auf die erforderlichen Grundlagen einer gerechten und ökologischen Weltordnung zu besinnen: "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf!"

29. 3. 2002 Thomas Forstner