Rede zum Ostermarsch 2004 - Marienplatz
10. April 2004 München
Siegfried Benker, Fraktionsvorsitzender
Bündnis 90/Die Grünen – rosa Liste
zur Seite "Ostermarsch München 2004"
 

Liebe Münchnerinnen und Münchner,
Liebe Freundinnen und Freunde,

Zunächst möchte ich Ihnen die Grüße des Oberbürgermeisters überbringen.

Seit 1989, seit jetzt 15 Jahren, wird die Welt neu verteilt. Seit dem Ende des Blockdenkens wird weltweit mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln versucht, bei der Neuverteilung des Kuchens sich ein möglichst großes Stück zu sichern. Allen voran sind hier die USA aktiv, aber die Bundesrepublik versucht bei der Verteilung ebenfalls mit am Tisch zu sitzen wo es geht. Sei es alleine, sei es im Rahmen der EU oder sei es im Rahmen der NATO. Die Bundesrepublik hat seit 1989 ihre Rolle völlig neu definiert. Längst will die Bundesregierung ihre Interessen nicht mehr nur durch politische Interventionen sichern. Längst ist die Bundeswehr eine strategische Größe im außenpolitischen Handeln geworden. Wer heute von der Bundeswehr spricht, denkt kaum noch an die Verteidigung der BRD, sondern an weltweite Sicherung angeblich deutscher Interessen.

Eine – sicher unvollständige – Aufzählung der Interventionen der Bundeswehr seit 1989 soll dies zeigen:

Sicher gab es für jeden Einsatz auch gute Argumente – aber das wirkliche Ausmaß der Interventionen zeigt sich erst in der Gesamtschau. In dieser Gesamtschau zeigt sich, dass die Bundeswehr, die vierzig Jahre als Verteidigungsarmee konzipiert war, in den letzten 15 Jahren in mehr als zehn Ländern, verstreut über den gesamten Globus, im Einsatz war.

Die Bundesbürger wurden langsam an Einsätze gewöhnt. Es zeigt sich im Nachhinein: die sog. „humanitären Einsätze“ waren Einstiegsdrogen, um die Bundesbürger an diese Interventionen zu gewöhnen. Die Einsätze sind Schritt für Schritt eskaliert. Wäre ein Kriegseinsatz deutscher Soldaten auf dem Balkan vor 1989 noch undenkbar gewesen, ist der Einsatz im Kosovo heute schon fast vergessen angesichts der Kriege, die gefolgt sind.

Diese Einsätze bedeuteten natürlich auch, dass die Verteidigungsarmee Bundeswehr befähigt werden mußte, weltweit intervenieren zu können. Aus der Territorialarmee mußte eine Truppe werden, die auch in der Wüste und im Dschungel einsatzfähig ist.

Deutsche Interessen, das ist nicht mehr die Verteidigung der Heimat. Deutsche Interessen, das sind, auch offizielle benannt, die Sicherung von Rohstoffquellen und die dazugehörigen Verbindungswege, die Bekämpfung von Fluchtursachen um Flüchtlingsströme von der BRD fernzuhalten und natürlich der weltweite Kampf gegen den Terror.

Die Bundeswehr ist ein selbstverständliches Instrument deutscher Außenpolitik geworden – und das soll noch ausgebaut werden.

Bis 2010 soll die Bundeswehr in drei Kategorien unterteilt werden:

Die Bundeswehr soll ab 2010 an fünf unterschiedlichen Orten mit Stabilisierungskräften agieren können. Derzeit sind diese im Kosovo, Bosnien, Afghanistan und, mit einem kleinen Kontingent, in Georgien präsent. Weitere Kontingente sind im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes „Enduring Freedom“ unterwegs.

Es sind also noch Kapazitäten für den nächsten Krieg drinnen. Genauer: Der nächste Krieg kommt bestimmt. Nach dieser Definition und Struktur ist es deutlich, dass die „Interessen“ der BRD nach dem selben Einsatzmuster wie bisher irgendwann z. B. auch im Iran, in Afrika oder in anderen Kaukasusrepubliken verteidigt werden müssen.

Strategische Bündnisse mit den Partnern EU/NATO führen dazu, dass Aufgaben geteilt werden: Beispiel: Deutschland hat keinen strategischen Seetransport, übernimmt aber die Aufgabe Europaweit/NATOweit, strategische Lufttransporte durchzuführen. Folge: Im nächsten Krieg könnte man nicht mehr „Nein“ sagen, weil sich die Bundeswehr vertraglich und strukturell nicht mehr herausziehen kann. Wie beispielsweise bei den AWACS-Einsätzen über der Türkei im Irak-Krieg bereits geschehen.

Spätestens seit dem 11. 9. 2001 ist auch der „Kampf gegen den Terror“ ein Argument, um im Hintergrund auch ganz andere Interessen durchzusetzen. So richtig es ist, mit Polizeiaktionen die Täter von Madrid oder New York zur Verantwortung zu ziehen, so falsch ist es, durch Kriegseinsätze ganze Länder in die Mithaftung zu nehmen. Aber wer sich weltweite Interventionsmaschinen aufbaut, kann nur in den Kategorien von Kriegshandlungen auf terroristische Akte reagieren.

Seit 1989 wird die Welt neu verteilt. Die Bundeswehr ist bei der Verteilung dabei. Dabei geht es nicht immer nur um Kriegseinsätze, sondern auch um strategisches Dabeisein. Nicht umsonst ist die Bundeswehr in allen Bündnissen strategisch vertreten, ist in Georgien oder Afghanistan. Wer dabei ist, kann mitverteilen und mitordnen. Beim Irak ist die BRD etwas ins Hintertreffen geraten, aber Deutsche Firmen dürfen schon wieder mitmischen- so wie Siemens hier in München.

Die Deutsche Außenpolitik hat sich die Bundeswehr als ein Standbein im weltweiten Machtspiel aufgebaut. Was fehlt, sind zivile Ansätze, Strategien zur Befriedung von Regionen, die nicht gleich militärische Einsätze nach sich ziehen, eine gerechtere Verteilung des Reichtums auf diesem Planeten. Doch wer auf militärische Intervention setzt, setzt nicht auf gerechte Verteilung.

Ein Jahr nach dem Irak-Krieg ist es deutlich wie noch nie, dass Kriege keine Probleme lösen. Zwar ist Saddam Hussein gestürzt, was zu begrüßen ist, aber der Krieg hat für die Irakis die Büchse der Pandora geöffnet: Der Irak droht ein zweites Jugoslawien zu werden. Ein Jahr nach dem Irak-Krieg ist deutlich, dass gelogen und betrogen wurde, um den Krieg durchführen zu können und dass es keine tragenden Ideen von seiten der Angreifer gibt, wie der Irak befriedet werden könnte.

Doch keine Regierung zieht daraus die Konsequenz, die Strategie weltweiter Interventionen zu überdenken. Die Friedensbewegung hat in allen Punkten recht gehabt, die Kriegsstrategen sind in allen Punkten gescheitert. Das mit langem Atem aufzuzeigen, ist das Verdienst der Friedensbewegung.

Während die Bevölkerung die Umstrukturierung und Militarisierung der deutschen Außenpolitik bestenfalls zur Kenntnis nimmt, stemmt sich die Friedensbewegung dagegen.

Hierfür möchte ich an dieser Stelle den Dank der Stadtspitze aussprechen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


  zur Seite "Ostermarsch München 2004"
  nach oben