Münchner Friedensbündnis   misstraut der Kriegspropaganda!

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Am 20. März 2004, dem Jahrestag des Beginns des Irakkrieges versucht(e) die NPD in München, die Gelegenheit zu nutzen, um bei einer  Kundgebung unter dem Motto: "Gestern wie heute sind es die die gleichen Täter" eine Analogie zwischen den Bombardierungen während des Angriffkriegs gegen den Irak und denen deutscher Städte während des zweiten Weltkriegs herzustellen.

Anläßlich der Neuerscheinung eines Buchs von Frederick Taylor zur Bombardierung Dresdens veröffentlichte der britische Guardian am 3.3.04 einen Artikel von Paul Oestreicher zu diesem Thema, der hier übersetzt wiedergegeben wird. Paul Oestreicher war einer der Referenten bei der Friedenskonferenz im Februar 2003 in München.

Das Vermächtnis von Dresden
Versöhnung muß auf Wahrheit aufgebaut werden, wie ein neues Buch über die Kriegszeit-Feuerstürme der britischen Luftwaffe zeigt.

Paul Oestreicher
früherer Direktor des Zentrums für Internationale Versöhnung der Kathedrale von Coventry

Zu erklären, daß ein Buch das letzte Wort sein könnte zu einem Thema, über das seit mehr als einem halben Jahrhundert erbittert gestritten wird, bedeutet ein großes Risiko eingehen. Es bestehen gute Aussichten, daß Frederick Taylors "Dresden, 13. Februar 1945" genau diesen Anspruch erfüllt. Ich hatte Grund zur Annahme, daß der Autor beabsichtigte, das Massentöten deutscher Zivilisten durch die britische Luftwaffe (RAF) zu rechtfertigen, für das der Dresdner Feuersturm ein Beispiel war. Zwischen 25.000 und 40.000 Menschen wurden verbrannt. Die gut geschriebene wissenschaftliche Darstellung versucht jedoch nichts dergleichen. Sie erzählt eine schreckliche Geschichte aus britischer und aus deutscher Sicht. Taylor enthält sich eines Urteils, sei es militärisch oder moralisch. Er überläßt dies dem Leser.

Taylors Bericht hilft Wahrheiten anzusprechen, die beide Seiten verstören. "Warum alte Wunden aufreißen?", werden manche fragen. Weil Versöhnung auf Wahrheit aufbauen muß.

Es wird britische Leser überraschen, daß in Deutschland eine öffentlich geförderte Wanderausstellung gezeigt wird, die die Verbrechen von Hitlers Armee dokumentiert. Viele überlebende Veteranen sind außer sich. "Die SS und die Gestapo durch den Schmutz zu ziehen ist in Ordnung, aber nicht unsere Helden, die das Vaterland verteidigt haben." Ihre Wut ist fehl am Platze. Die Ausstellung macht nichts weiter als einzugestehen, daß unehrenhafte Dinge auch in einer ehrenhaften Armee geschehen.

Der Wahrheit, daß es nie eine ehrenhafte Armee war, weicht man aus. Jeder Soldat vom vielbewunderten Feldmarschall Rommel bis zum letzten Rekruten – und jeder jubelnde Zivilist – war Beteiligter einer kriminellen Verschwörung: Der beinahe erfolgreiche Versuch, Europa zu versklaven. Heute gibt es sogar in einem bemerkenswert reuigen Deutschland mit Europas pazifistischster Bevölkerung keine Denkmäler für die heroischen Wenigen, die es abgelehnt haben zu kämpfen und als Verräter hingerichtet wurden. Kein einziger Bischof verteidigte sie.

Das Zerstören von Städten aus der Luft – Warschau, Rotterdam, Belgrad und Coventry – war Teil dieser Verschwörung. Nach der Zerstörung dieses Zentrums der britischen Waffenindustrie, erklärte Göring, daß die Luftwaffe fortfahren würde, die britischen Städte - in seinen Worten – zu "coventrieren". Fast tausend Menschen waren umgekommen. Hier sei der Beweis, verkündeten die britischen Medien, für die deutsche Verderbheit. Im Kontrast dazu wurden vom Dompropst die Worte "Vater vergib ihnen" in die Ruinen der Kathedrale von Coventry eingemeißelt; und nach dem Krieg hat er bewiesen, daß er es meinte.

Görings Träume wurden zunichte gemacht. Britannien, immer noch schwach am Boden, würde bald den Luftraum kontrollieren. Jäger- und Bomberkommandos waren das Herz der defensiven und offensiven Strategie, Deutschlands Städte würden coventriert werden.

Dies ist der Hintergrund für eine von Arthur Harris, dem Luftmarschall an der Spitze des Bomberkommandos, leidenschaftlich verfolgte (und später leidenschaftlich diskutierte) Politik, die deutschen Bevölkerungszentren auszulöschen, die eine Säule der anglo-amerikanischen Politik wurde. Goebbels, Hitlers brillanter, übler Propagandist, hatte eine Nazikundgebung herausgefordert mit der Frage: "Wollt ihr den totalen Krieg?". Wie ein Mann und eine Frau riefen alle, daß sie es wollten. Es ist die korrumpierende, erbarmungslose Logik des Krieges, daß die alliierte Antwort die gleiche war. Die deutsche Bevölkerung erntete den Sturm. Die Kranken und die Alten umzubringen, Frauen und Kinder, war nicht, was man heute einen Kollateralschaden nennen würde, sondern eine beabsichtigte Durchführung des Propagandaausdrucks:"Der einzige gute Deutsche ist ein toter Deutscher".

Natürlich war diese Politik dazu gedacht, die deutschen Kriegsanstrengungen zu behindern, aber in erster Linie galt es, die Bevölkerung zu demoralisieren. Gezieltes Bomben würde diesen Zweck nicht erfüllen. Bombenteppiche schon. Die RAF lernte schnell, was die deutsche Luftwaffe nicht begriffen hatte: Einen Feuersturm zu erzeugen, der die Zentren der Städte zerstörte und alle tötete, die dort lebten. In Hamburg starben zwei Jahre vor Dresden mindestens 40.000 Menschen.

Großbritannien kämpfte ums Überleben. Trotzdem erhob George Bell, der scharfsinnigste und moralisch mutigste der britischen Bischöfe, seine Stimme im House of Lords, um das Töten von Zivilisten als Kriegsverbrechen zu brandmarken. Eine einsame Stimme, ja, aber nicht die einzige. Die Debatte hat seitdem nicht aufgehört.

Stadt um Stadt wurde Deutschland verwüstet. Für das Bomberkommando waren die Kosten hoch. Viele Besatzungen fühlten sich auf Selbstmordmissionen. Taylor zerstört den Mythos, daß Dresden etwas Besonderes gewesen wäre; es war lediglich die letzte intakte größere Stadt. Ja, dieses Elbflorenz war ein kulturelles Juwel, aber das galt auch für Würzburg und Nürnberg. Dresden hatte auch seine Kriegsindustrie und seine Rangierbahnhöfe. Warum architektonische Schätze schonen, warum Zurückhaltung gegenüber Flüchtlingen auf der Flucht vor der Roten Armee, wenn es darum ging zu töten und Chaos zu erzeugen? Mit dem Sieg nur Wochen entfernt, erlitt die kleine Stadt Pforzheim, bekannt für ihren Schmuck, ein noch schlimmeres Schicksal; ein Drittel der Einwohner wurde getötet.

Die Tragödie Dresdens sandte Schockwellen um die Welt. Es brachte die Bombenpolitik in die allgemeine Aufmerksamkeit. Perverserweise möchten die heutigen Neonazis sie mit dem Holocaust vergleichen. Taylors Buch verschafft bei weitem den dramatischsten Nachweis in Bestärkung von Bischof Bells prophetischem Zorn. Hier findet sich die Nachricht, die Winston Churchill sechs Wochen nach Dresden an den Chef des Luftwaffenstabes schickte:"... die Frage des Bombardements deutscher Städte nur mit dem Ziel, den Terror zu verstärken ... sollte neu betrachtet werden. Sonst werden wir ein völlig ruiniertes Land kontrollieren ... Die Zerstörung Dresdens bleibt eine schwerwiegende Frage nach dem Verhalten des alliierten Bombens ... Der Außenminister hat mit mir über das Thema gesprochen und ich sehe die Notwendigkeit, für eine präzisere Konzentration auf militärische Ziele ... anstelle von reinen Terrorakten und unbeherrschter Zerstörung, wie eindrucksvoll diese auch sein mag."

Dies verursachte Fassungslosigkeit im Generalstab. Es war vielleicht ein Maß für die Größe des Premierministers, daß er, zwar spät, den Mut hatte, seine eigene Politik radikal in Frage zu stellen. Im nachhinein ist es ganz und gar nicht sicher, selbst wenn man die Moralität beiseite läßt, ob diese Politik ihre Ziele erreicht hat. Churchills Vermerk wurde seinerzeit unterdrückt. Taylor läßt ihn für sich selber sprechen.

Nachkriegsengland fühlte sich lange Zeit nicht wohl mit der Politik Churchills. Man gab die Schuld weitgehend Harris. Er und seine Männer fühlten dies erbittert. Als die gekränkten Überlebenden erst spät eine Statue für ihren Chef errichteten, war dies nicht, wie viele Deutsche glauben, ein chauvinistischer britischer Tanz auf den Gräbern ihrer Kinder.

In Coventry sprach der deutsche Präsident Richard von Weizsäcker zum 50. Jahrestag des Angriffs von der Schuld seiner Nation, aber als die Queen Dresden besuchte, versagte sie sich, einen Kranz bei den Ruinen der Kathedrale niederzulegen. Ihre Berater fürchteten die Schlagzeilen der Boulevardpresse. Und, wer weiß, irgend jemand könnte ein Ei werfen. Es war ein trauriges Versagen der Diplomatie. Dennoch mögen einige wenige es akzeptiert haben, daß im Krieg, wie gerecht er auch sein mag, niemand mit sauberen Händen herauskommt. Verzeihung zu sagen ist kein Zeichen von Schwäche.

Bereits in den sechziger Jahren half eine Gruppe von jungen Leuten aus Coventry beim Weiteraufbau eines durch britische Bomben zerstörten Dresdner Krankenhauses, und wenn am 22. Juni ein goldenes Kreuz die Spitze der wiederaufgebauten Kathedrale – der berühmten Frauenkirche – bilden wird, wird dieses ein Geschenk des britischen Volkes sein, einschließlich, persönlich, der Queen. Die Britische Dresden Stiftung beauftragte einen Londoner Goldschmied, dessen Vater in dieser fürchterlichen Nacht über Dresden flog.

Paul Oestreicher wird im März 2004 den sächsischen Verdienstorden für seinen Brückenschlag zwischen Coventry und Dresden bekommen.

The Guardian vom 3.3.04

Übersetzung P. Voß