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Ostermarsch 2001, Redebeiträge:


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Andreas Manuth (Münchner Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung) siehe...
Redetext zum Auftakt des Münchner Ostermarsches 2001 am Sendlinger-Tor-Platz

Leider verloren wir durch die Schikanen der Polizei viel Zeit, so daß diese Rede nicht mehr "life" gehalten werden konnte: Straßentheater mit Uniformen wurden zum Vorwand genommen, willkürlich Personalien aufzunehmen, gegen den heftigen Protest der Versammlungsleitung, die das Straßentheater ausdrücklich zum Programm des Veranstalters gehörig erklärte.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Wir erleben gerade die Fortsetzung des Krieges gegen Rest-Jugoslawien um den Kosovo. Die Rollen von Gut und Böse sind in den Augen der Regierenden vertauscht, aber es ist immer noch derselbe Konflikt

"Ich habe mich immer gewundert, wie wenig wahrgenommen worden ist, dass die Entscheidung zum Krieg eine fundamentale Änderung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bedeutet hat."
Dieser Satz stammt von keinem geringeren als dem deutschen Bundeskanzler Schröder. Die fundamentale Änderung die er meint ist: Krieg ist wieder Mittel deutscher Außenpolitik geworden.

Wo immer ein deutscher Außenminister von "deutschen Interessen" sprechen wird: Die Gesprächspartner werden wissen, dieser Mann hat einen Trumpf im Ärmel: die militärische Option, die unausgesprochene Drohung mit Krieg. Wir halten fest: Die so formulierten deutschen Interessen, sind nicht die Interessen der Bevölkerung Deutschlands. Es gibt kein Interesse, das es wert wäre, mit Krieg durchgesetzt zu werden. So sieht es - immer noch - auch die Mehrheit der Bevölkerung.

Was musste gelogen werden, um die Zustimmung wenigstens der knappen Hälfte der Bevölkerung zu diesem Krieg zu erpressen. Flüchtlingsströme, ethnische Vertreibung, Massaker, ja sogar Völkermord und der unerträgliche Vergleich mit dem Grauen von Auschwitz, mussten herhalten um diesen Krieg zu begründen.

Heute beweisen es die offiziellen Berichte von OSZE und UNO: Fast alles war gelogen, dass sich die Balken biegen: Die eigentliche Flüchtlingsströme setzten ein, als das Bombardement der Nato begann. Der sogenannte serbische Hufeisenplan existierte nur auf den Pressekonferenzen des deutschen Kriegsministers. Die Massengräber des angeblichen Völkermords, sind nach zwei Jahren intensiver Suche nicht gefunden worden. Wir sollten uns für die Zukunft all diese großen und kleinen Lügen im Gedächtnis bewahren. Schon nach dem zweiten Golfkrieg, hat sich die Geschichte von aus Brutkästen gerissenen Frühgeburten als von einer Werbeagentur inszeniert erwiesen.

Hätten wir nicht ahnen müssen, dass die von Scharping vorgetragenen Gräuel entmenschter Serben dem selben Motiv entstammten? All dieser Lügen bedurfte es um das eigentliche Verbrechen zu rechtfertigen: den NATO-Krieg Als größte Täuschung und Enttäuschung aber entpuppte sich immer mehr die Regierungserklärung der amtierenden Bundesregierung: "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik" heißt es dort. Die Tinte war noch nicht trocken als diese Regierung ohne Rücksicht auf Grundgesetz und Völkerrecht der Bombardierung Belgrads ihren Segen gab. Von der Verantwortung Deutschlands gegenüber den Bündnispartnern und für die Menschenrechte war dabei die Rede.

Was aber könnte es für eine höhere Verantwortung eines deutschen Politikers geben als die eine: Frieden halten. Das ist das Mindeste, was wir von einer deutschen Regierung erwarten

Haltet Frieden.

Das ist Eure Verantwortung! vor der Geschichte, vor den Menschen in Deutschland, in Europa und der Welt

Haltet Frieden!

Um diese Verantwortung einzufordern, dafür brauchen wir Euch: Mitglieder der SPD, der Grünen, der Gewerkschaften, alle, die sich über diesen Krieg getäuscht haben oder getäuscht wurden. Jetzt wissen wir alle, dass dieser Krieg kein Verbrechen verhindert, kein Problem gelöst hat. Jetzt muss ein Ende sein mit der Zerrissenheit. Jetzt brauchen wir Eure Entscheidung. Euer Platz ist an der Seite der Friedensbewegung!

Der vormals ranghöchste General der Bundeswehr, Klaus Naumann hat die prophetische Frage gestellt: "Was machen wir besser im nächsten Krieg, der kommen wird."

Darauf gibt es nur eine Antwort: Dieser nächste Krieg muss verhindert werden!

Die Menschen in diesem Land brauchen alles Mögliche: Arbeitsplätze, sichere Renten und Gesundheitsfürsorge, zukunftssichere Ausbildung, bezahlbare Wohnungen, eine gesunde Umwelt...

Was sie ganz gewiss nicht brauchen, das ist die militärische Option!

Sie brauchen keine schnellen Eingreiftruppen. Diese sogenannten Krisenreaktionskräfte haben nur einen Auftrag: Sie sind die militärische Trumpfkarte im Ärmel des deutschen Außenministers. Ihr Auftrag ist es Kampfeinsätze in fernen Ländern anzudrohen und notfalls auszuführen.

Laut verteidigungspolitischen Richtlinien sind sie zuständig für "die Sicherung von Märkten und Rohstoffen in aller Welt" - So wurde es von der alten Bundesregierung beschlossen und von der heutigen nie außer Kraft gesetzten. Diese Truppen sind der greifbare Gegenbeweis zu den friedlichen Absichten der Regierungserklärung. Wer Friedenspolitik betreiben will braucht keine schnellen Eingreiftruppen!

Wir fordern die sofortige und umfassende Auflösung aller Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr und der EU!

Wer Friedenspolitik betreiben will, braucht keine neuen Waffen!

Er braucht Mittel für zivile Konfliktbearbeitung, Mittel zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit, zur Bekämpfung von Armut und Perspektivlosigkeit .

Während um jede Mark Sozialausgaben gefeilscht wird, sind derzeit 540 Milliarden DM für neue Waffensysteme der Bundeswehr verplant. Während zu Jahresbeginn heiß um die Entfernungspauschale stritten wurde " 1 Milliarde Haushaltsvolumen " bekam Minister Scharping ohne viel Federlesens 3 Milliarden zusätzlich für die Ausrüstung des Eurofighters.

Wir fordern umfassende Abrüstung und deutliche Kürzung der Rüstungsausgaben.

Wer Friedenspolitik betreiben will, muss nicht Waffen exportieren, sondern Güter die den Menschen helfen. Wir fordern Stopp aller Rüstungsexporte, insbesondere auch von Kleinwaffen und Lizenzen zu ihrem Bau! Sie töten 90% aller Kriegsopfer.

Wer Friedenspolitik betreiben will, braucht schon gar keine Atomwaffen.

Wir fordern den ausdrücklichen Verzicht der NATO auf den Ersteinsatz von Atomwaffen. Hier hätte der Außenminister die volle Unterstützung der Friedensbewegung, traute er sich nur, seine Initiative von 1998 wieder aus der Schublade zu holen.

Wer Friedenspolitik betreiben will, muss zu aller erst das Völkerrecht achten. Die UNO hat es nicht verdient immer dann bemüht zu werden, wenn man mit den Ausnahmefällen des Kapitels 7, die Tür für Militäreinsätze öffnen will. Bevor über die Ausnahme geredet wird muss die Regel gelten: Diese Regel heißt Gewaltverbot!

Die Charta der Vereinten Nationen verbietet jedem einzelnen Mitgliedsland Krieg zu führen oder auch nur mit Gewalt zu drohen. Sie verbietet es auch der Bundesrepublik Deutschland und der NATO.

Sie verbietet es, Grenzen zu verändern und sie verbietet es, Märkte und Rohstoffe in fremden Ländern zu beanspruchen. Es ist an der Zeit diesen Grundregeln zur Geltung zu verhelfen.

Wir allen träumen am Beginn des neuen Jahrtausends den Traum einer friedlichen Welt. Davon sind wir weit entfernt. Während wir hier stehen werden am Kaukasus und in über 30 weiteren Regionen der Welt Kriege geführt. Jeder einzelne ein grausames Gemetzel mit schrecklichen Folgen für die Bevölkerung. Die Friedensbewegung kann und konnte keinen dieser Kriege verhindern. Unsere Kräfte sind gering. Unsere Möglichkeiten auf die Verantwortlichen in fernen Ländern einzuwirken sind noch geringer.

Dennoch sind wir weder überflüssig noch hilflos. Unsere Aufgabe bleibt es, hier, wo wir leben, zu kämpfen. Hier gilt es, politisches Handeln für den Frieden durchsetzen.

Dass wir das können haben die vielen Aktionen gegen den zweiten Golfkrieg und den NATO Krieg in Jugoslawien gezeigt. Der relativ kleinen Friedensbewegung ist es zu verdanken, dass es in diesem Lande keine mehrheitliche Zustimmung zum Krieg gab.

Dass das so bleibt, dass aus der mangelnden Zustimmung endlich die entschiedene mehrheitliche Ablehnung jeder militärischen Option wird, dafür treten wir ein. Das nehmen wir als unsere gemeinsame Verantwortung ernst:

Wir wollen den nächsten Krieg verhindern. Frieden braucht Bewegung!

Lasst uns hier und heute damit anfangen!

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Eckart Spoo (Hrsg. der Zeitschrift "Ossietzky")
 

Liebe Freunde des Friedens und des politischen Frühlings, liebe Gegner der Aufrüstung und der Kriegspropaganda und des militärischen Gleichschritts, lieber Ostermarschiererinnen und Ostermarschierer!

Seit dem ersten Ostermarsch in Deutschland sind mehr als vier Jahrzehnte vergangen. Der erste in Bayern führte von Miltenberg, wo die US-Amerikaner damals eine Atomraketenbasis errichteten, über Aschaffenburg hinüber nach Hessen, nach Hanau und Frankfurt. Er dauerte drei Tage. Zu Fuß war das eine weite Strecke, und unser Marsch wurde noch anstrengender als vorauszusehen, weil die bayerische Staatsregierung uns die Benutzung bayerischer Staatsstraßen untersagte. So mußten wir bergauf, bergab über Feld- und Waldwege laufen, wobei wir nicht allzuviele Menschen zu Gesicht bekamen, die wir hätten überzeugen können. Das war ja wohl auch die Absicht der bayerischen Staatsregierung, und es war ihr sicher nicht unrecht, daß wir uns schmerzende Blasen an die Füße liefen. So haben wir damals die ursprünglich aus England gekommene Tradition des Ostermarschs in Bayern eingeführt.

40 Jahre später haben wir es heute bequemer und machen es uns bequemer, wenn wir uns auf die Wegstrecke vom Sendlinger Tor zum Marienplatz beschränken. Hauptsache: Wir hören nicht auf, uns zu bewegen. Denn die Ziele von damals - sind sie erreicht? Leider nicht.

Noch immer sind Atomwaffen auf deutschem Boden stationiert, an mehreren Orten. Elf US-amerikanische Atomwaffen lagern z. B. in Büchel in der Eifel. Jede einzelne von ihnen hat eine Sprengkraft von etwa 200 Hiroshima-Bomben. Bundeswehrsoldaten werden trainiert, diese Waffen zu transportieren. Wohin? Gegen wen?

Bis 1989 hatte die Bundeswehr noch ein klares Feindbild. Der Feind stand im Osten und bedrohte uns angeblich mit dem Kommunismus. Aber als die DDR und die Sowjetunion und der Warschauer Pakt zusammenbrachen, da zerfiel auch dieses Feindbild. Namhafte Schriftsteller, Wissenschaftler, Gewerkschafter wandten sich damals, Anfang der 90er Jahre, mit dem Hannoverschen Appell an den Deutschen Bundestag und erinnerten daran, daß die Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland immer einzig und allein mit der angeblichen oder tatsächlichen militärischen Bedrohung aus dem Osten begründet worden war. Da diese Bedrohung nun nicht mehr bestehe und da Deutschland nach eigenen ausdrücklichen Feststellungen der Bundeswehrführung überhaupt von keiner Seite her bedroht sei, könne und müsse nun konsequenterweise abgerüstet werden, und zwar auf Null. Das war im Hannoverschen Appell sorgfältig erläutert, unterzeichnet war es u.a. auch von Leuten, die jetzt in Berlin regieren, z. B. Jürgen Trittin, der sich auch entschieden für die Auflösung der NATO aussprach, mit gleicher Begründung, denn auch die NATO war ja immer und ausdrücklich und ausschließlich mit Verteidigungszwecken gerechtfertigt worden.

Aber die Abrüstung fand nicht statt, im Gegenteil. Willy Brandt hatte von der Friedensdividende gesprochen, die uns für die Herstellung der deutschen Einheit, für die Überwindung der Blockkonfrontation in Europa belohnen werde. Aber die Friedensdividende blieb aus. Auf die Auflösung des Ostblocks antwortete der Westen nicht mit Auflösung der NATO, im Gegenteil, die NATO wurde seitdem immer militanter und betreibt systematisch eine Politik der Expansion, der Osterweiterung. Das Gebiet der DDR wurde NATO-Gebiet, später Polen, Tschechien, Ungarn, jetzt wächst der Druck der NATO auf die Ukraine. Der stärkste Druck, ausgehend von Deutschland, richtete sich sofort gegen das jenige Land, das jahrzehntelang weltweit hohes Ansehen als Sprecherland der Blockfreien erworben und maßgeblich zum Entspannungsprozeß in Europa beigetragen hatte: Jugoslawien. Jetzt ist dieses Land zerstückelt, zerschlagen, und faktisch der ganze Balkan ist von der NATO erobert. Die weiteren Interessen der NATO gehen deutlich in Richtung Kaspisches Meer.

Wer erinnert sich noch an die schönen Reden, die bis 1990 geschwungen wurden, als es noch darum ging, im In- und Ausland Zustimmung zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu gewinnen? Diese Zustimmung war nach den Erfahrungen der Völker mit deutschem Vormachtstreben in Europa ganz und gar nicht selbstverständlich. Von deutschem Boden dürfe und werde nie wieder Krieg ausgehen, hieß es damals, als vielen Menschen im In- und Ausland noch nicht richtig klar war, daß das, was als friedliche Vereinigung zweier Staaten erschien, sich faktisch als bloße Osterweiterung der Bundesrepublik erwies. Von deutschem Boden werde nie wieder Krieg ausgehen... Die schönen Reden verstummten schnell, als sich Deutschland sogleich am Golfkrieg, am Krieg gegen den Irak, beteiligte, zwar noch nicht mit Soldaten, aber mit viel Geld, etwa 18 Milliarden Mark.

Wir bekamen neue, andere Reden zu hören. Deutschland, so hieß es dann, müsse wieder normal werden, Deutschland müsse endlich erwachsen werden, Deutschland müsse endlich wieder Verantwortung übernehmen. So hörten wir es in vielen Wiederholungen und Variationen von tonangebenden Politikern und Leitartiklern. Gemeint war mit diesem Gerede von Normalisierung, Erwachsenwerden und Verantwortungübernehmen nur eins: Deutschland müsse wieder Krieg führen dürfen, müsse sich wieder trauen, Krieg zu führen.

Der Auftrag der Bundeswehr ist laut Grundgesetz auf Zwecke der Landesverteidigung beschränkt. Eben weil Deutschland von keiner Seite bedroht ist, war dieser Verteidigungsauftrag fragwürdig geworden. Aber statt die Bundeswehr abzubauen, begannen die Herren auf der Bonner Hardthöhe und ihnen nahestehende Politiker, Publizisten und Juristen, den Auftrag der Bundeswehr umzudefinieren. In neuen militärpolitischen Richtlinien sprachen sie nun vom freien Welthandel und von Rohstofflieferungen, die gesichert werden müßten, von wirtschaftlichen Machtinteressen also; und die Bundeswehr wurde zu einem völlig verrückten Einsatz nach Somalia entsandt. Kanzler Kohl, der die neuen militärpolitischen Richtlinien absegnete, versicherte dabei in vielen Reden, selbstverständlich kämen nur sogenannte Blauhelmeinsätze deutscher Truppen in Frage. Selbstverständlich werde die Bundeswehr, wenn überhaupt, dann nur im Auftrag der UNO im Ausland eingesetzt werden, und selbstverständlich werde sie sich nicht an Kampfeinsätzen beteiligen. Keinesfalls, versicherte Kohl, werde Deutschland Truppen in Länder entsenden, die im Zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen besetzt waren.

Ja, von vielen derartigen Zusicherungen, von vielen schönen beruhigenden Reden war und ist die ständige, systematische Militarisierung der deutschen Außenpolitik begleitet; dieser Prozeß hat sich bis heute scheinbar unaufhaltsam fortgesetzt. Daß sich dagegen nur wenig, viel zu wenig Widerstand erhob, lag gerade an diesen vielen schönen Reden und Zusicherungen, denen viele von uns allzu bereitwillig vertrauten. Keine einzige dieser Zusicherungen wurde eingehalten. Stattdessen ist inzwischen ist der Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee in vollem Gange, ganz im Sinne der Empfehlungen der Wehrstrukturkommission, auch Weizsäcker-Kommission genannt, wonach die Bundeswehr fähig werden soll, an zwei Stellen der Welt gleichzeitig Krieg zu führen.

In dieser Woche, der Karwoche, wurde ein neues großes Schiff der Bundesmarine in Dienst gestellt, die "Berlin", die 45 Tage hintereinander weg im Kriegseinsatz bleiben kann, ohne einen Hafen anlaufen zu müssen. Sie kostete eine Viertelmilliarde Mark, ein zweites Schiff dieser Art ist im Bau. So rüstet sich Deutschland, weltweit militärisch zu agieren, und die Kosten dieses Umrüstungsprogramms von Verteidigungs- zu Interventionszwecken belaufen sich auf viele Hunderte Milliarden Mark.

Ist das in unserem Sinne? Wollen wir das? Sind wir etwa stolz darauf, wenn Deutschland als militärische Weltmacht auftrumpft?

Tonangebende Politiker und Publizisten erzählen uns jetzt immer gern von der Notwendigkeit der Globalisierung. Bertelsmann muß unbedingt der weltgrößte Medienkonzern sein, Allianz der weltgrößte Finanzkonzern, Daimler-Chrysler will Nr. 1 im weltweiten Autogeschäft sein, das zu einem großen Teil auch Rüstungsgeschäft ist. Die staatliche Steuerpolitik ermöglicht den Konzernen Profite, mit denen sie im Ausland nach und nach die Konkurrenz aufkaufen oder ausschalten können. Sollen wir darauf stolz sein? Während die Löhne seit Jahren hinter dem Kostenanstieg zurückbleiben und die Renten sich nominal nur um 0,6 Prozent erhöhen, real also erheblich sinken, steigen die Profite vieler Industrie- und Bankkonzerne um 10, um 50, um 100 Prozent und mehr, und ihr Hauptverwendungszweck ist die Expansion im Ausland. Mit dieser wirtschaftlichen Globalisierung verbinden sich wachsende politische Machtansprüche. Ein bezeichnendes Beispiel ist das Streben der Bundesregierung nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Ich möchte daran erinnern, daß die Vereinten Nationen 1945 hauptsächlich zu dem Zweck gegründet worden sind, Deutschland und Japan, die Hauptschuldigen am gewaltsamen Tod von 55 Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg, daran zu hindern, wieder den Frieden zu bedrohen. Ausdrücklich wurden Deutschland und Japan als Feindmächte benannt, die es zu zähmen, unter Kontrolle zu halten galt. Die fünf Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges erhielten je einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat mit dem Auftrag, gemeinsam eine friedliche Nachkriegsordnung zu schaffen. Insofern wurden sie privilegiert. Grundsätzlich gilt aber in der UNO das Prinzip, daß alle Staaten - große, kleine, arme, reiche - gleich viel zu sagen haben, also gleichberechtigt sind. Genau gegen dieses Prinzip erhebt sich Deutschland, wenn es ausgerechnet für sich und nebenbei für Japan das Privileg eines ständigen Sitzes im Weltsicherheitsrat fordert, der damit eine Art Weltregierung würde. Wie vertragen sich solche Herrschaftsansprüche mit den schönen Sprüchen von Normalisierung? Nein, dieses größer gewordene, erstarkte Deutschland der Konzerne will eben mehr sein als ein normaler Staat, mehr als Gleicher unter Gleichen. Auch in der Europäischen Union dringt es jetzt auf mehr Einfluß, mehr Macht und ist maßgeblich beteiligt an den Plänen, die EU zur Militärmacht zu entwickeln. An der geplanten Eingreiftruppe der EU will Deutschland weit überproportional beteiligt sein.

Dies alles geht an den Augen und Ohren und am Bewußtsein der meisten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, leider auch der meisten Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen vorbei. Eine öffentliche Diskussion darüber findet kaum statt. Ein Grund dafür ist das hohe Tempo dieser Entwicklung Deutschlands zu einem imperialistischen Staat. Täglich werden neue Fakten geschaffen. Sogar viele Bundestagsabgeordnete haben da längst den Überblick veloren. Ein anderer, schlimmerer Grund liegt darin, daß regierende Politiker uns in entscheidenden Situationen täuschen, daß sie die Öffentlichkeit systematisch irreführen.

Liebe Freunde, dies ist ein schwerer Vorwurf, den ich erläutern muß. Ich will ihn erläutern vor allem am Beispiel des NATO-Krieges gegen Jugoslawien.

Neulich lief im ARD-Programm die Sendung "Es begann mit einer Lüge", in der endlich, nach zwei Jahren, einige Wahrheiten ausgesprochen und dokumentiert wurden. Der Bombenkrieg gegen Jugoslawien begann, wie dort belegt wurde, nicht nur mit einer Lüge, sondern mit etlichen Lügen, und er wurde mit immer neuen Lügen fortgesetzt. Die NATO und der deutsche Verteidigungsminister, der sich nach der Umstrukturierung der Bundeswehr und nach ihrer maßgeblichen Teilnahme an einem Angriffskrieg eigentlich nicht mehr Verteidigungsminister nennen sollte, sie fütterten uns damals mit Greuelpropaganda, die nahezu in allen Einzelheiten erlogen war. Slobodan Milosevic, der damalige jugoslawische Staatspräsident, war angeblich der neue Hitler (es gehörte schon besondere Dreistigkeit eines Deutschen dazu, einen solchen Vergleich anzustellen, nachdem Jugoslawien im selben Jahrhundert schon zweimal von Deutschland überfallen worden war und wie kaum ein anderes Land unter der Nazi-Herrschaft gelitten hatte). Angeblich galt es, ein neues Auschwitz zu verhindern. Das Stadion von Pristina diente den Serben angeblich als KZ. In Wahrheit wurde da nie auch nur ein einziger Mensch gefangen gehalten. Irregeführt wurden wir auch mit Berichten über serbische Massaker und Massengräber oder über einen angeblichen Hufeisenplan zur Massenvertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo.

Dieser Tage beantwortete die Bundesregierung endlich einen langen Fragenkatalog der PDS-Fraktion im Bundestag, richtiger gesagt: Sie beantwortete einige von vielen Fragen und ließ einen großen Teil unbeantwortet. Ich habe dieses Dokument durchgelesen und muß sagen: Ich finde es schändlich, wie da um entscheidende Fragen herumgeredet wird. Wer genau liest, kann freilich auch diesem Regierungsdokument u.a. entnehmen, daß Flucht und Vertreibung aus dem Kosovo zum größten Teil erst nach Beginn der NATO-Bombardements stattfanden. Die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Kosovo hat sich nach diesen Angaben nach der NATO-Intervention mehr als verdreifacht. Apropos: Welcher NATO- oder Bundeswehr- oder Regierungssprecher interessierte sich je für serbische Flüchtlinge, z.B. die Hunderttausende, die aus Kroatien vertrieben wurden, nachdem Kroatien mit massiver deutscher Unterstützung verselbständigt und aus der Bundesrepublik Jugoslawien herausgebrochen worden war? Wer interessiert sich für die Hunderttausende serbischen Flüchtlinge oder auch für die Roma, die aus dem Kosovo vertrieben wurden? Das klein gewordene, wirtschaftlich schwächer gewordene, durch jahrelanges Embargo zusätzlich geschwächte Jugoslawien muß heute für schätzungsweise 800 000 Flüchtlinge sorgen. Wer spricht davon? Wer hilft?

In einer zehnköpfigen Gruppe deutscher Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter bin ich vor zwei Jahren - während des Krieges - nach Jugoslawien gefahren. "Dialog von unten statt Bomben von oben" war unser Motto. Wir haben dort Bombenangriffe unmittelbar erlebt, und alles, was wir hörten und sahen, bestätigte in der schrecklichsten Weise, daß die Kriegspropaganda in Deutschland ein durch und durch verlogenes Bild des Krieges malte, der nach den Worten des Bundeskanzlers gar kein Krieg war, sondern eine humanitäre Aktion. "Wir führen keinen Krieg", sagte Schröder wörtlich in seiner Fernsehansprache am Tage der ersten Bombenabwürfe Ende März 1999. Und in den folgenden 77 Tagen des Dauerbombardements aus mehreren Kilometern Höhe, wohin keine Luftabwehr reicht, behaupteten die Brüsseler und Bonner Propagandisten unentwegt, die Angriffe richteten sich nur gegen militärische Ziele. Soweit zivile Ziele getroffen würden, handele es sich jeweils nur um einzelne bedauerliche , unbeabsichtigte Kollateralschäden. Wir aber mußten an Ort und Stelle feststellen, daß Krankenhäuser getroffen wurden, Schulen, Hochschulen, Brücken, Heizkraftwerke, Wohnsiedlungen, Lebensmittelfabriken und überhaupt fast die gesamte Industrie des Landes, darunter auch die großen Chemiewerke in Pancevo und Novi Sad. Als wir im Mai 1999 das Werksgelände in Novi Sad besichtigten, war es schon elfmal bombardiert worden, keine einzige der Produktionsanlagen auf dem zwei mal zwei Kilometer großen Gelände an der Donau war erhalten geblieben, die Raketen hatten Krater von bis zu 25 Meter Durchmesser hinterlassen. 20 Minuten nach unserer Abfahrt aus Novi Sad wurde das Werksgelände zum zwölften Mal bombardiert, und wieder erhob sich eine schwarze Rauchsäule 100 Meter hoch. Um dieses Umweltverbrechen versucht die Bundesregierung in ihrer jetzt vorliegenden Darstellung mit dem Hinweis herumzureden, die Umwelt habe dort früher schon durch den laufenden Betrieb der Chemieanlagen gelittten. Ein schändlicher, zynischer Versuch, sich herauszureden.

Wie gesagt, fast die gesamte industrielle Grundlage des Landes wurde zerstört, mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist jetzt arbeitslos, das Durchschnittseinkommen ist auf 85 Mark im Monat gesunken. Und das, was ich hier berichte, gilt für ganz Serbien und ganz Jugoslawien, nicht etwa speziell für den Kosovo. Die erwähnte Stadt Novi Sad zum Beispiel liegt mehr als 300 Kilometer vom Kosovo entfernt. Es gehört zu den schamlosen Propagandalügen, wenn immer wieder vom Kosovo-Krieg gesprochen wird statt vom NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Ganz Jugoslawien war Opfer dieses Angriffskrieges.

In der erwähnten Darstellung, die die Bundesregierung jetzt dem Bundestag zugeleitet hat, gibt sie immerhin zu, daß das Gebäude des jugoslawischen Fernsehens mitten in Belgrad vorsätzlich bombardiert worden ist. 16 Mitarbeiter des Fernsehens wurden dabei getötet, viele verletzt. Das Fernsehen, sagt die Bundesregierung, sei ein militärisches Ziel gewesen, denn es habe Propaganda verbreitet. Nach dieser Logik, liebe Freundinnen und Freunde, dürften wohl auch diverse Zeitungs- und Funkhäuser in Deutschland bombardiert werden. Nein, was das jugoslawische Fernsehen verbreitet und worüber sich die NATO besonders geärgert hat, waren Bilddokumente der Kriegsschäden, der Kriegsopfer. Was die NATO zu unterdrücken versuchte, waren die Beweise für den Krieg, den sie in Wirklichkeit führte. Deswegen zerstörte sie auch einen Fernsehsender, der nicht lange vorher noch einen europäischen Preis für seine Verdienste um das friedliche Zusammenleben vieler unterschiedlicher Volksgruppen erhalten hatte. Und bei der europäischen Satellitenzentrale in London setzte die Bundesregierung durch, daß die vom jugoslawischen Fernsehen ausgestrahlten Bildberichte nicht über Satellit weiterverbreitet wurden. Denn wir sollten in blindem Glauben an die lügenhafte NATO-Propaganda gehalten werden, wir sollten dumm gehalten werden.

Solche Methoden, liebe Freundinnen und Freunde des Friedens, des politischen Frühlings, des österlichen Aufbruchs, solche Methoden der Propaganda und der Manipulation richten sich nicht allein gegen den Kriegsgegner, gegen das unmittelbare Opfer der Aggression, sie richten sich gegen das eigene Volk, gegen uns. Demokratie setzt voraus, daß wir uns frei und zutreffend informieren können; wie sollten wir sonst in Staat und Gesellschaft mitreden und mitentscheiden können? Die Informations- und Meinungsfreiheit ist ein in der Verfassung verbürgtes Grundrecht, ein Menschenrecht. Politiker, die behaupten, im Ausland militärisch für die Menschenrechte intervenieren zu müssen, sollten daran gemessen werden, wie sie die Menschenrechte im eigenen Lande respektieren. Ich denke dabei z.B. auch an die von den Vereinten Nationen beschlossene Charta der sozialen Menschenrechte. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Charta bis heute nicht übernommen. Der Mißbrauch des Begriffs Menschenrechte für imperialistische Zwecke, diese Menschenrechtsheuchelei läßt sich gerade am Beispiel des Kriegs gegen Jugoslawien erkennen: Beteiligt am NATO-Bombenkrieg angeblich zum Schutze der albanischen Volksgruppe im Kosovo war u.a. der NATO-Partner Türkei, der im eigenen Land den Kurden nicht den kleinsten Teil der Rechte gewährt, die die Albaner im Kosovo hatten. Tausende kurdische Dörfer wurden von türkischen Truppen zerstört, Millionen Menschen vertrieben. Aber der NATO-Partner Türkei wird deswegen nicht bombardiert, sondern erhält seit Jahren deutsche Waffenhilfe, teilweise sogar unentgeltlich, im Wert von vielen Milliarden Mark. Entgegen allen Regeln des Völkerrechts, entgegen eindeutigen Beschlüssen der UNO hält die Türkei auch fremdes Territorium besetzt, seit vielen Jahren auf Zypern, und in jüngster Zeit interveniert die Türkei mit vielen tausenden Soldaten im Nordirak. Aus Berlin hört man dagegen nicht einmal Proteste - so als ob sich NATO-Staaten über alles Völkerrecht hinwegsetzen dürften, als ob für sie nur ein einziges Recht gelte: das Recht des Stärkeren. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien zeigt das in erschreckender Deutlichkeit. Mit diesem nicht erklärten Krieg verstieß die NATO und verstieß die Bundesrepublik Deutschland, ohne die dieser Krieg nicht stattgefunden hätte, gegen mehrere Artikel der UN-Charta und sogar gegen das Statut der NATO selbst, denn bis dahin war die NATO in ihrem Statut als reines Verteidigungsbündnis definiert. Die Aggressoren verstießen gegen die Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die von dem Grundsatz der territorialen Integrität und politischen Souveränität der europäischen Länder ausgeht. Jugoslawien hatte maßgeblich zum Zustandekommen und Gelingen der KSZE und der Schlußakte von Helsinki beigetragen und wurde nun zum Opfer des Bruchs der getroffenen Vereinbarungen. Die Bundesrepublik Deutschland verstieß durch ihre Kriegsteilnahme gegen den 2+4-Vertrag, die Grundlage der deutschen Einheit. Die Bundesregierung verstieß gegen das Grundgesetz, das in den Artikeln 25 und 26 die deutsche Politik an das Völkerrecht bindet und jede Vorbereitungshandlung für einen Angriffskrieg ächtet. Sie verstieß gegen das Strafgesetzbuch, das Vorbereitungshandlungen für einen Angriffskrieg unter schwere Strafe stellt. Sie verstieß gegen das Soldatengesetz. Und die Kriegführung der NATO verstieß auch gegen die Genfer Konventionen, die z.B. die Bombardierung von Chemiewerken, die Verwendung von Splitterbomben oder abgereichertem Uran verbieten. Und jetzt diktiert die NATO, diktieren die USA und die EU und ihr Bevollmächtigter Bodo Hombach die jugoslawische Politik. Nachdem das Land wirtschaftlich am Boden liegt, sieht sich Jugoslawien gezwungen, einer Erpressung nach der anderen nachzugeben. Nachdem US-Bomben dort Schäden in Höhe von vielen Zigmilliarden Mark angerichtet haben, erpressen die USA z.B. mit einer Hilfszusage von lumpigen 110 Millionen Mark die Verhaftung des ehemaligen Staatspräsidenten Milosevic. Und unter massivem Druck soll jetzt die gesamt Wirtschaft privatisiert werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich ein besonderes Wort an die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf diesem Platz richten, nicht nur an den Kollegen Helmut Schmid, sondern an alle Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen. Wir alle wissen, daß die deutschen Gewerkschaften einen großen Teil der Schuld an der blutigen Geschichte des 20. Jahrhunderts auf sich geladen haben, als sie 1914 der Entfesselung des Ersten Weltkrieges zustimmten und sich auf einen sogenannten Burgfrieden mit Kaiser Wilhelm, seiner Regierung und seinem Offizierschorps einließen. Als am Ende des Jahrhunderts der Vorsitzende des DGB, Schulte, entgegen allen Lehren der Vergangenheit und allen einschlägigen Beschlüssen dem Kanzler die Zustimmung zum Angriffskrieg gab, war damit ein Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Gewerkschaften erreicht.

Vor vier Wochen fand in Belgrad ein großer Konvent des jugoslawischen Gewerkschaftsbundes statt. Als Vertreter der Gewerkschaftsgruppe "Dialog von unten statt Bomben von oben" war ich dazu als Gast eingeladen. Hauptthema war die Privatisierung, war der ungeheure Druck, der jetzt auf die Gewerkschaften ausgeübt wird, denn jahrzehntelang hatten die Gewerkschaften in Jugoslawien eine starke Stellung in den Betrieben, weitreichende Mitbestimmungsrechte, die jetzt teilweise mit Brachialgewalt abgeschafft werden. Mehrmals hat der jugoslawische Gewerkschaftsbund an den DGB geschrieben und um Zusammenarbeit gebeten. Auf keinen dieser Briefe, so berichtete mir der Vorsitzende Smiljevic, habe er Antwort erhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine: Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter dürfen nicht zu Komplizen eines deutschen Herrenmenschentums werden. Eine Politik, die das Recht des Stärkeren exekutiert, eine Politik die ihre Ziele mit militärischen Mitteln verfolgt, eine Politik, die buchstäblich über Leichen geht, eine solche Politik können wir nicht unterstützen, im Gegenteil: Wir müssen unsere gemeinsame Kraft dafür einsetzen, die Regierenden an einer solchen Politik zu hindern. Auch im aller eigensten Interesse. Denn die deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien hat Milliardenbeträge aus dem Bundeshaushalt gekostet, während die Ausgaben für Soziales, für Kultur, für Entwicklungshilfe ständig gedrosselt werden.

Nach dem Beschaffungsplan der Bundeswehr sollen zur sogenannten "Neuausrichtung der Bundeswehr von Grund auf" innerhalb von 15 Jahren etwa 540 Milliarden Mark für neues Kriegsgerät ausgegeben werden. Angesichts dieses Mammutprogramms erscheint das sogenannte Sparpaket von 160 Milliarden Mark, das die Bundesregierung 1999 beschlossen hat, "als bloßer Finanzierungsbeitrag" (Anne Rieger in OSSIETZKY 3/2001, wo auch die folgenden Zahlen zu finden sind). Ende vergangenen Jahres wurde z.B. eine Verpflichtungserklärung über zehn Milliarden Mark in den Rüstungsetat der kommenden Jahre eingestellt. Zwei Monate später verabschiedete der Bundestag die Rentenkürzung, über die Bundesfinanzminister Eichel schrieb: "Der Bund wird durch die Beitragssatzsenkung in der Rentenversicherung langfristig beim allgemeinen Bundeszuschuß und den Beiträgen für Kindererziehungszeiten entlastet, und zwar im Jahr 2030 um 16,3 Milliarden Mark." Um "sicherheitspolitische Ressourcen an anderen Stellen dieser Welt einzubringen" (Scharping), bestellt Deutschland ein Paket von 215 Rüstungsprojekten, darunter 180 Eurofighter für 40 Milliarden Mark. Dieses Geld würde reichen, um sechs Jahre lang das Haushaltsdefizit der Kommunen von 5,6 Milliarden Mark auszugleichen. So einfach wäre es, Leistungseinschränkungen bei Musikschulen, Museen, Bibliotheken, im Sozialwesen, bei der Straßenunterhaltung usw. zu verhindern. Für etwa 5,6 Milliarden Mark schloß die Bundesregierung im vergangenen Jahr eine Vereinbarung über 137 NATO-Transporthubschrauber ab. Gleichzeitig wurde der Bundeszuschuß zur Bundesanstalt für Arbeit - im Haushaltsjahr 2000 noch mit knapp 7,8 Milliarden Mark veranschlagt - für 2001 auf 1,2 Milliarden Mark zusammengestrichen.

Genug der Beispiele. Außenminister Fischer erklärte in der "Financial Times", der Sparkurs werde "der Bundesregierung ermöglichen, Prioritäten neu zu bestimmen. Dazu gehört, daß Deutschland seiner Verantwortung in der Sicherheits- und Außenpolitik gerecht wird." Und Finanzminister Eichel gab das Versprechen ab: "Die Bundeswehrreform soll nicht am Geld scheitern."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, viele von uns haben sich 1998 für einen Regierungswechsel eingesetzt, haben sich davon einen Politikwechsel erhofft und sind jetzt enttäuscht, das der Politikwechsel ausgeblieben ist, daß sogar manches noch schlimmer gekommen ist. Das hat bei vielen Resignation bewirkt, die man auch an der weiter sinkenden Wahlbeteiligung erkennen kann. Aber laßt uns die Sache besser so ansehen: Die Politiker stehen ständig unter starkem Druck von oben. Je größer die Macht der international agierenden Konzerne, desto stärker der Druck auf die regierenden Politiker, und zu diesem Druck tragen auch die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die Regierung der USA bei. Ich meine: Unsere Antwort darauf kann nur heißen, Druck von unten zu entwickeln. Dazu soll auch unser Ostermarsch beitragen, aber dazu genügt es nicht, einmal im Jahr gemeinsam vom Sendlinger Tor zum Marienplatz zu gehen.

Entscheidend ist - und dazu kann jede und jeder von uns beitragen -, die unterdrückte Wahrheit zu verbreiten und sich dabei nicht einschüchtern lassen.

Die staatliche Irreführung der Öffentlichkeit, wie wir sie vor und während des Krieges gegen Jugoslawien erlebt haben und wie sie bis heute weitergeht, die durch und durch verlogene Propaganda, die Gewalt als humanitär und Sozialabbau als Reform verkauft, die unkritische Weitergabe solcher Propaganda durch hochkonzentrierte, weitgehend monopolisierte Medien, das blinde Nachplappern dessen, was aus allen Kanälen tönt - all das fordert unseren Widerstand heraus. Wir dürfen nicht zulassen, daß die Lüge die ganze Gesellschaft durchdringt und demoralisiert. Wir müssen den Mund aufmachen. müssen widersprechen, müssen uns der Lüge und der Gewalt verweigern. Beweisen wir uns täglich, daß wir keine unterwürfigen Jasager sind. Handeln wir als selbstbewußte Demokraten. Lassen wir uns immer wieder von Wolfgang Borchert mahnen: Sag nein! Denn davon hängt der Frieden ab.

Die Wahrheit zu sagen, wenn wir von Lüge umgeben sind, erfordert Zivilcourage. Aber in der deutschen Geschichte gab es Zeiten, in denen das Risiko viel größer war. Nutzen wir die Grundrechte, die unter großen Opfern errungen worden sind.

Stellen wir die Politiker zur Rede, die uns belogen haben. Stellen wir die Chefredakteure der Medien zur Rede, die uns belogen haben. Wir können und müssen von ihnen verlangen, daß sie ihre unwahren Darstellungen korrigieren. Wenn aber jemand uns so schamlos, so systematisch belügt wie Minister Scharping, dann ist er in seinem Amt für uns nicht mehr zumutbar. Er muß sein Amt räumen wie einst Franz Josef Strauß, nachdem er das Parlament belogen hatte.

Um die Wahrheit müssen wir kämpfen, und dieser Kampf kann hart sein, wenn sich die Politiker aufs Lügen versteifen. Das zeigt sich, wenn Regierungsparteien jetzt gegen die Autoren der erwähnten ARD-Sendung und gegen namhafte Friedensforscher polemisieren, die über den Krieg die Wahrheit gesagt haben, oder wenn jetzt der Bundesweite Friedensratschlag im Verfassungsschutzbericht attackiert wird. Beim Südwestrundfunk erhielt während des Krieges ein Redakteur Mikrofonverbot, weil er den Krieg zutreffend als Angriffskrieg bezeichnet hatte, und mit gleicher Begründung greift jetzt der Verfassungsschutzbericht ein Buch an, das Ermittlungen des Tribunals gegen den NATO-Krieg dokumentiert. Und Bundeswehrgeneral Heinz Loquai, der ebenfalls ein aufklärendes Buch über den Krieg geschrieben hat, wurde vorzeitig entlassen - nicht etwa weil er etwas Unwahres geschrieben hätte. Er hat die unerwünschte Wahrheit gesagt und geschrieben.

Hüten wir uns vor blindem Vertrauen und blindem Gehorsam gegenüber Kapital und Kabinett. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn sie sich mit Worten bei uns einzuschmeicheln versuchen, die uns kostbar sind, zum Beispiel dem Wort Menschenrechte. Diejenigen, die weltweit Krieg führen wollen und in diesem Sinne die Bundeswehr zur Interventionsarmee ausbauen, tun so, als wäre es die Aufgabe der Deutschen, weltweit für die Menschenrechte zu sorgen. Schon Kaiser Wilhelm tat einst so, als wäre die Welt voller Barbaren, die wir zu zivilisieren hätten. Nein, für die Menschenrechte haben wir hier im eigenen Land zu sorgen. Hier im eigenen Land müssen wir uns mit denen auseinandersetzen, die durch Waffenexport wesentlich zu Unterdrückung und Krieg in anderen Ländern beitragen und davon profitieren. Gestatten wir denen, die für sich das Recht des Stärkeren in Anspruch nehmen, nicht, sich als Menschenrechtsengel zu drapieren. Das Recht des Stärkeren, das sich, wie wir es im Krieg gegen Jugoslawien erlebt haben, über jedes geschriebene, jedes erkämpfte Recht erhebt, bedroht die Umwelt, bedroht die Kultur, bedroht die ganze Zivilisation. Gegen das Recht des Stärkeren, wie es sich auch in wachsender neonazistischer Gewalt äußert, gegen das freche Herrenmenschentum, gegen den Sozialdarwinismus, der zum Krieg jedes gegen jeden führt, gibt es ein wirksames Mittel: die Solidarität.

In diesem Sinne: Frohe Ostern! Das Frühjahr kommt. Für den politischen Aufbruch, liebe Freundinnen und Freunde, müssen wir selber sorgen.

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Grußwort des DGB-Kreisvorsitzenden Helmut Schmid
    zum Ostermarsch 2001
 
 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde der Friedensbewegung!
 

Als Vorsitzender des DGB-Kreises München übermittle ich Euch, den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Ostermarsch 2001 in München, die
kollegialen Grüße der Münchner Gewerkschaften.

Das Motto des diesjährigen Ostermarsches "Friedenspolitik statt
Kriegspolitik" ist angesichts vieler bewaffneter Konflikte in der Welt, der
Entwicklung um Mazedonien, der Absicht der USA, ein National Missile
Defense System (NMD) zu installieren und nicht zuletzt vor dem Hintergrund
der Planungen zur Zukunft der Bundeswehr uneingeschränkt zu
unterstützen.

Dieses Motto widerspiegelt auch die friedenspolitischen Auffassungen der
deutschen Gewerkschaftsbewegung.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe
Freunde der Friedensbewegung!

wir stehen heute vor drei zentralen Entwicklungen:

    zum einen vor einer weltweiten Dominanz marktwirtschaftlicher
    Wirtschaftsinteressen mit den entsprechenden sogenannten nationalen
    und internationalen Erfordernissen,
    zum zweiten vor einer Entwicklung in Südosteuropa, wo die einst
    gerufenen Geister sich selbstständig gemacht haben und Außenminister
    Fischer mit der Aussage von der "offenen albanischen Frage" den
    völkischen albanischen Nationalismus bedient,
    und zum dritten vor der Umformung der Bundeswehr zum Bestandteil
    einer schnell und global handlungsfähigen europäischen
    Interventionsarmee.

Machen wir uns nichts vor: der weltweite Siegeszug der Marktwirtschaft, der
ohne Staaten und Staatenbündnisse - die militärischen eingeschlossen -
nicht denkbar wäre, hat dazu geführt, daß sich kein Staat der Welt mehr den
Rechenarten marktwirtschaftlicher Logik entziehen kann, mit teilweise
verheerenden Konsequenzen für die jeweiligen ökonomischen und sozialen
Verhältnisse.

Politisch, ökonomisch kann die dabei dominierende Allianz als "Allianz
konkurrierender Großmächte" begriffen werden: gemeinsames militärisches
Agieren bei gleichzeitiger Konkurrenz auf dem Weltmarkt, um das jeweilige
nationale Wohlergehen zu steigern. Diese tritt uns in den Begriffen
Standortkonkurrenz und Standortsicherung gegenüber, was, wie wir
beobachten können, die verschiedensten Konsequenzen für abhängig
Beschäftigte und sozial Schwache nach sich zieht.

Hier treffen die Nationalstolzdebatte und die Faulheitsdiskussion aufeinander
und formen den angemessenen ideologischen Stoff, aus dem
erfahrungsgemäß allenfalls Albträume erwachsen.

Wir wissen mittlerweile aus vielen Quellen, dass der Krieg gegen Jugoslawien
1999 von einer beispiellosen Desinformationskampagne begleitet wurde. Das
Buch des OSZE-Generals Heinz Loquai und der WDR-Beitrag "Es begann
mit eienr Lüge" seien an dieser Stelle hervorgehoben.

Vieles spricht dafür, dass dieser Krieg auch deshalb geführt wurde, um die
neue NATO-Strategie vom April 1999 in Washington durchzusetzen.

Die augenblickliche Lage in Mazedonien, die nicht vom Krieg 1999 getrennt
werden kann, ist letzlich bestimmt von der grundsätzlichen Frage, inwieweit
es ein völkisch begründetes Sezessionsrecht gibt. Wenn der deutsche
Außenminister von der "offenen albanischen Frage" spricht, meint er ja nicht
den Staat Albanien, sondern diejenigen ALbaner, die im Kosovo, in
Mazedonien, Montenegro, Serbien und Griechenland leben.

Wir wenden uns gegen die Versuche der UCK, Mazedonien zu zerschlagen,
aber auch gegen eine Politik, die sich nicht eindeutig von solchen Versuchen
distanziert.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe
Freunde der Friedensbewegung,

der Kernpunkt der zukünftigen europäischen Sicherheitspolitik liegt im
Aufbau einer europäischen Interventionsarmee mit etwa 60000 Soldaten,
davon 20000 deutsche Soldaten, die in kürzester Zeit auch in entfernte
Regionen verlegt werden kann.

Für die Bundeswehr bedeutet dies, wie es in einer Ausarbeitung des
Verteidigungsministeriums heißt:

    "Die Bundeswehr der Zukunft wird ohne Rückgriff auf
    Mobilmachung und Aufwuchs in der Lage sein, eine große Operation
    aller Teilstreitkräfte über einen Zeitraum von bis zu einem Jahr oder
    zwei mittlere Operationen über einen längeren Zeitraum sowie
    jeweils parallel dazu mehrere kleinere Operationen durchzuführen".

Und im sogenannten Eckpfeilerpapier des Verteidigungsministeriums wird
formuliert:

    "Deutsche Streitkräfte müssen im gesamten Aufgabenspektrum
    verwendbar, dabei auf umfassenden Einsatz vorbereitet und für die
    wahrscheinlichsten Einsätze rasch verfügbar sein".

Die politsche Führung der Bundeswehr geht also demzufolge davon aus,
auch weiterhin zusammen mit ihren Verbündeten an militärischen
Auseinandersetzungen in anderen Ländern aktiv teilzunehmen.

Ich frage, ob hierbei, so wie auf dem Feld der sog.
Vergangenheitsbewältigung zu einem entkrampften Umgang mit der
deutschen Geschichte aufgerufen wird, selbstredend davon ausgegangen
wird, dass das proklamierte Ende der Nachkriegszeit deutschen
Interventionen im Ausland Tür und Tor öffnet?

Mir scheint es, dass großen Teilen der Bevölkerung und der Öffentlichkeit die
Dimension dieser Neuorientierung überhaupt nicht bewußt ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe
Freunde der Friedensbewegung,

Es kommt in Zukunft zentral darauf an, die in den letzten Jahren sich
entwickelnde Orientierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in
der Öffentlichkeit bewußt zu machen und einer öffentlichkeitswirksamen
Analyse und Kritik zu unterziehen.

Dabei müssen wir den Zusammenhang von inneren und äußeren
Entwicklungen und ihren Folgen in die Mitte der Betrachtungen stellen. Dies
gilt für die Gewerkschaften und die Friedensbewegung.

Es kann nicht hingenommen werden, dass sich unter dem faktischen
Ausschluss der Bevölkerung eine Wende zu einer offensiven, nach Außen
gerichteten Interventionspolitik vollzieht und niemand will es gwußt haben.

Nicht nur der Jugoslawienkrieg sollte uns eine Lehre sein.

Das in einem anderen historischen Zusammenhang geborene Wort "Nie
wieder" muß auch hier gelten und hat eine neue zusätzliche Bedeutung
erlangt.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe
Freunde der Friedensbewegung!

Deshalb endlich Friedenspolitik statt Kriegspolitik!

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Siegfried Benker
    Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen - rosa Liste im
    Münchner Rathaus
    Grußwort zum Ostermarsch 2001
    Samstag, den 14. April - Friedenspolitik statt Kriegspolitik
 
 

Liebe Münchnerinnen und Münchner,
liebe Freundinnen und Freunde,
 

Zunächst möchte ich die Grüße des Oberbürgermeisters Christian Ude
überbringen.

das Motto des diesjährigen Ostermarsches "Friedenspolitik statt
Kriegspolitik" ist (wie immer) hochaktuell.

"Friedenspolitik statt Kriegspolitik" müßte bedeuten, daß die
Bundesregierung, alle Politikerinnen und Politiker, aber auch alle
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ihr Handeln danach ausrichten, daß
sie alle Strukturen weg von einer Logik des Krieges und der
Auseinandersetzung hin zu einer Logik des Friedens und des friedlichen
Miteinanders organisieren. Davon sind wir weit entfernt.

Ich möchte drei Bereiche nennen, die m. E. zeigen, wie wichtig es ist, daß es
die regelmäßige Mahnung des Ostermarsches gibt.

Der Kosovo-Krieg. Für alle, die es wahrnehmen wollen, hat sich gezeigt: der
Eintritt Deutschlands in den Kosovo-Krieg wurde mit propagandistischen
Aussagen vorbereitet und gerechtfertigt.
Es ist vollkommen unbestritten, daß es im Kosovo eine
menschenverachtende Politik der ethnischen Säuberung und Vertreibung
gab, gegen die mit allen politischen - ich betone politischen - Mitteln
vorgegangen werden mußte.
Genauso unbestritten ist inzwischen aber auch, daß viele der angeblichen
Beweise, die einen sofortigen militärischen Einsatz angeblich erforderlich
machten, gefälscht waren oder falsch bewertet wurden.

Diese gefälschten Materialien und eine veröffentlichte Meinung in den
Medien führten in erschreckender Geschwindigkeit zu einem Kriegseintritt
Deutschlands. Ein Angriff, der völkerrechtswidrig geführt wurde. Es hat sich
wieder einmal gezeigt: der Krieg tötet zuerst die Wahrheit.

Im Nachhinein ist es beängstigend zu sehen, wie schnell Deutschland in
diesen Krieg gezogen ist. Es ist beängstigend zu erkennen, daß die
Mechanismen, die einen völkerrechtswidrigen Krieg eigentlich verhindern
sollten versagt haben. Auch der Bundestag hat damals zugestimmt.

Schlimm ist, daß die politischen Verantwortungsträger glaubten am
Kosovo-Krieg teilnehmen zu müssen. Genauso erschreckend aber finde ich,
daß jetzt niemand bereit ist, aus den verhängnisvollen Fehlern und
Entscheidungen von damals zu lernen. Die Frage müßte jetzt lauten: was
können wir aus den Mechanismen lernen, die Deutschland in den Krieg
geführt haben. Wie können wir den nächsten Krieg verhindern. Wie können
wir die nächste Kriegsteilnahme verhindern. Statt dessen ist das Ziel des
Verteidigungsministers nicht, den nächsten Krieg zu verhindern, sondern den
nächsten Einsatz effektiver zu gestalten.

Hier muß der Widerstand ansetzen. Hier ist die Forderung des
Ostermarsches: "Friedenspolitik statt Kriegspolitik" aktueller denn je.

Als zweiten Punkt möchte ich auf den im Bau befindlichen
Forschungsreaktor München II in Garching eingehen. Nach wie vor besteht
die Bayerische Staatsregierung darauf, daß dieser Forschungsreaktor mit
Hochangereichertem Uran, dem sogenannten HEU, betrieben wird. Die
internationalen Bemühungen um eine Nichtverbreitung atomwaffenfähigen
Materials sind der bayerischen Staatsregierung offensichtlich egal.
Aber es darf uns nicht egal sein, wenn vor den Toren des Ballungsraumes
München ein neuer Reaktor in Betrieb geht. Deshalb hat die
Stadtratsmehrheit, neben anderen Klägern, immer gegen diesen Neubau
eines Reaktors geklagt. Hierbei konnten die Stadt und die Kläger das Projekt
zwar nicht verhindern, aber wenigstens hohe technische Sicherheitsauflagen
durchsetzen. Und ich bin der Ansicht, daß die Stadt auch weiterhin alles
juristisch Mögliche daransetzen muß, um den Forschungsreaktor zu
verhindern.

Aber als nächster Schritt muß nun verhindert werden, daß
Hochangereichertes und atomwaffentaugliches Uran in Garching eingesetzt
werden darf. Ich wende mich auch gegen den Kompromißvorschlag der
Bundesregierung. Dieser Kompromißvorschlag sieht vor, daß der Reaktor
zunächst - für ca. 5 Jahre - mit Hochangereichertem Uran betrieben werden
darf, wenn bestimmte Auflagen erfüllt werden. Das halte ich für falsch. Es
darf zu keinem Zeitpunkt einen Einsatz von Hochangereichertem Uran in
Garching geben. Um dies zu fordern hat meine Fraktion sich auch bereits an
die Bundesregierung gewandt und einen Antrag für die nächste
Vollversammlung des Stadtrates gestellt, damit sich der gesamte Stadtrat und
der Oberbürgermeister hinter diese Forderung stellen können. Wer
atomwaffenfähiges Material will, nimmt billigenden in Kauf, daß es in falsche
Hände gerät.

Auch hier zeigt sich die Aktualität des Ostermarsch-Mottos: Wer die
Forderung nach Friedenspolitik statt Kriegspolitik ernst nimmt, muß gegen
den Einsatz von Hochangereichertem Uran sein.

Als dritten Punkt möchte ich den Kampf gegen Rechtsextremismus und
Rassismus ansprechen. Spätestens der Überfall auf den Griechen Artemios
im Januar diesen Jahres in der Zenettistraße hat es deutlich gemacht:
Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus gibt es auch in
München. München ist keine Neonazifreie Zone. Rechtsextremismus ist
nicht nur ein Thema der ostdeutschen Bundesländer. Rassismus und
Rechtsextremismus ist auch ein Münchner Thema. Wir alle, jeder einzelne
und jede einzelne von uns sind aufgerufen, dafür zu sorgen, daß rassistische
Äußerungen und Überfälle keine Chance haben. Die Münchner
Stadtgesellschaft ist den türkischen Münchnern, die mutig eingegriffen haben
und das Schlimmste verhindert haben nach wie vor zu großem Dank
verpflichtet. Es zeigt auch, daß jeder und jede von uns aufgerufen ist, konkret
für den Schutz von Minderheiten in dieser Stadt einzutreten.

Der Überfall zeigt aber auch, daß es Aufgabe der Politik sein muß,
Ausgrenzungen zu verhindern und nicht aus der Mitte der Gesellschaft
heraus gegen Minderheiten vorzugehen.
Im Falle einer anderen Minderheit aber müssen wir erleben, daß ihr sogar die
Berechtigung abgesprochen wird, ein politisches Mandat zu haben. Derzeit
erleben wir ständig verbale Angriffe des CSU-Politikers Aribert Wolf gegen
Schwule. Wer verbale Brandsätze wirft, darf sich nicht wundern, wenn bald
echte Brandsätze folgen. Wer ein Klima der Ausgrenzung und der Aggression
gegen eine Bevölkerungsgruppe erzeugt, macht sich zum geistigen
Brandstifter. Die konkreten Brandstiftungen überläßt er dann anderen. Mit
Friedenspolitik vor Ort hat dies nichts zu tun.

Viele sind der Ansicht, der Osterrmarsch wäre nach dem Ende des "Kalten
Krieges" nicht mehr nötig. Aber gerade die aktuelle Situation und die
Themen, die aufgegriffen werden zeigt: der Ostermarsch ist notwendiger
denn je. Deshalb möchte ich mit einem Dank an die unermüdlichen
Aktivisten und Aktivistinnen enden, die nach wie vor daran erinnern, daß
Frieden nicht von alleine erhalten bleibt.

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