Am 27. und 28. Juni weilte Prof. James D. Cockcroft aus New York in München, um im Gewerkschaftshaus und auf einem Seminar der Friedensbewegung über die Politik der Bush-Administration, ihre politischen und ideologischen Hintermänner und die GegnerInnen dieser Politik, das andere Amerika zu sprechen. Veranstalter waren das Nord-Süd-Forum, der Neue ISP Verlag, das isw sowie der Bezirk München von Verdi; unterstützt wurden die Veranstaltungen vom Bündnis München gegen Krieg und dem Münchner Friedensbündnis. Cockcroft ist Hochschullehrer für Soziologie und Kulturwissenschaften in New York und engagierte sich in den sechziger Jahren bereits gegen den Vietnam-Krieg, nahm an zahlreichen Solidaritätskampagnen zugunsten lateinamerikanischer sozialer Bewegungen (Nicaragua, El Salvador) und der Chicanos teil und ist heute ein bekannter Gegner des Kriegs-Kurses der Regierung Bush.
In seinem Vortrag ging er zunächst auf die Spaltung des konservativen Lagers der USA ein: Die klassischen Konservativen wie Buchanan von den Republikanern oder Byrd bei den Demokraten unterschieden sich vor allem in zwei Punkten von den Neocons: Sie stellten den Nutzen der aktuellen Kriegspolitik in Frage, weil sie den Terrorismus eher befördere; vor allem aber seien sie gegen die im Gefolge des 11. September erlassenen Gesetze zum Abbau von Grundrechten, etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung. Die um das Project for a New American Century, das American Enterprise Institute, das Cato Insitute und andere think tanks gruppierten Neocons hingegen, die ihren Aufstieg in die höheren Sphären der Macht häufig schon unter Reagan begonnen hätten, mäßen der Politik der (militärischen) Stärke die Schlüsselrolle in den kommenden Jahrzehnten zu: Die USA müssten sich nicht nur zum Weltpolizisten entwickeln und eine massive Modernisierung ihrer Waffentechnologie betreiben (inzwischen vergeudeten die USA 50% der weltweiten Rüstungsausgaben), sondern der US-Kapitalismus mit seiner extremen Polarisierung von arm und reich und seinen geringen Sozialleistungen solle als Modell für die ganze Welt dienen, gewissermaßen nach dem Motto: Globalisierung macht frei! Im Unterschied zur Reagan-Zeit, als diese Politik häufig noch im Geheimen betreiben werden musste (vgl. den Iran-Contra-Skandal, als mit Erlösen aus Drogengeschäften die Contra gegen die Sandinisten finanziert wurde), ließen die Hofprediger der Neocons heute ihre (häufig gegen Verfassung und Völkerrecht gerichteten) Ansichten in aller Öffentlichkeit verlauten. Man solle sich jedoch nicht täuschen: Zwar verträten die Neocons eine stark unilateralistische Position, wie dies in den Auseinandersetzungen um den Irak-Krieg zum Ausdruck gekommen sei, jedoch teilten alle Fraktionen des US-Monopolkapitals die Überzeugung, die USA müssten ihre Interessen, vor allem hinsichtlich der Versorgung mit Rohstoffen, aber ggf. auch der Marktöffnungen, mittels einer Politik der Stärke durchsetzen. Bei allen taktischen Differenzen in der Innen- und Außenpolitik gebe es hier keinen grundlegenden Unterschied zwischen Bush-Republikanern und Clinton- Demokraten. Die zunehmenden Meinungsverschiedenheiten, die durch die Haltung von Chirac und Schröder zum Krieg verstärkt wurden, ergäben sich vor allem aus der stagnierenden Wirtschaft mit ihren Skandalen, aus den Kämpfen zwischen verschiedenen Lobbygruppen, auch im Ölgeschäft, aus den Problemen eines Präventivkrieges ohne UN-Mandat und dem im Irak und dem Nahen Osten angerichteten Chaos.
Cockcroft ging sodann auf die Rolle der Religion und der christlich- fundamentalistischen Rechten bei der moralischen Aufrüstung der USA im Krieg gegen den Terrorismus ein und legte dar, wie sich eine häufig antisemitische Rechte zu einem Verbündeten der israelischen Falken entwickeln konnte. Die Katholische Kirche sowie eine Reihe liberalerer protestantischer Kirchen hätten den Krieg jedoch verurteilt und spielten eine nicht unerhebliche Rolle in der US-Friedensbewegung. Die Military Families Speak Out (Organisation von Familienangehörigen von Soldaten) erhalte deutlichen Zulauf, auch weil die Bush-Administration die Ausgaben für Veteranen zusammengestrichen habe; die Mehrzahl der US-Soldaten tue ihren Dienst sowieso nicht aus Überzeugung, sondern als Möglichkeit, der Arbeitslosigkeit zu entfliehen. Daher seien die Farbigen (Afro-Americans und Chicanos) heute in der Armee auch deutlich in der Mehrheit.
Die Antikriegsbewegung in den USA sei teilweise auch eine Reaktion auf die Angriffe der Regierung auf Bürgerrechte seit dem 11. September, die zu einem mit der McCarthy-Zeit vergleichbaren innenpolitischen Klima geführt hätten. Auf der Grundlage einer sehr vagen Definition von Terrorismus seinen unzählige Repressalien praktisch gegen jede Person oder Gruppe ermöglicht worden; die der CIA übertragenen Befugnisse hätten eine Festnahme von Tausenden von Menschen ohne konkrete Anklage ermöglicht; teilweise seien sie ohne Benachrichtigung ihrer Familien einfach verschwunden. Die über 600 nach Guantanamo (Kuba) deportierten Menschen seien ein eklatanter Fall der Zerstörung von Bürgerrechten und des Völkerrechts. Gegen die über sieben Millionen in den USA lebenden Menschen islamischen Glaubens bestünde der Generalverdacht, sie seien potentielle Terroristen; sie würden ähnlich den Japanern im Zweiten Weltkrieg auf allen Ebenen massiv diskriminiert. Es habe zahlreiche Anschläge auf Wohnungen, Geschäfte und Moscheen gegeben, so dass eine wichtige Aufgabe der US-Friedensbewegung im Schutz von solchen Einrichtungen bestehe (woran sich übrigens auch liberale Juden und Jüdinnen an vorderster Front beteiligten).
Die Massenmedien, besonders die vier großen Fernsehkanäle, die sich alle im Besitz von großen Multis befinden (Fox gehört Murdoch, NBC General Electric, ABC Disney und CBS Biocon), seien zu einem Modell Orwellschen Newspeaks geworden. Selbstzensur unter Reportern sei alltäglich, Leute, die die Wahrheit berichten, würden gefeuert, sogar so bekannte Stars wie Peter Arnett von NBC würden hinausgeworfen, weil er sich die Freiheit erlaubt habe, zu sagen, die ersten Pläne der USA zur Irak-Invasion seien gescheitert.
Doch all diese vielfältigen Repressionsmaßnahmen hätten die US-Friedensbewegung nicht daran gehindert, massiv ihre Stimme zu erheben; zur verbotenen Demonstration in New York Ende März seien statt der erwarteten 10 000 bis 20 000 und trotz des publizistischen Gegenfeuers immerhin 300.000 Menschen gekommen. San Francisco wurde nach Kriegsbeginn von Menschen der Direct Action to Stop the War, die sich mit der globalisierungskritischen Bewegung Direct Action Network (DAN) zusammengetan hätten, unter der Losung No business as usual zwei Tage lang durch mobile Straßenblockaden lahmgelegt. Eine Errungenschaft dieses Frühjahrs sei die beginnenden Zusammenarbeit der Antikriegsbewegung mit der Friedensbewegung; zuvor seinen die zumeist einer jungen Generation angehörenden GlobalisierungskritikerInnen den älteren (und häufig einen religiösen Hintergrund habenden) FriedensaktivistInnen aus dem Weg gegangen und hätten wenig Berührungspunkte gehabt. Nun erkenne man die gemeinsamen Aufgaben in einer Kampagne mit den Forderungen Truppen raus aus dem Irak! und Bring Our Boys Home!
Paul B. Kleiser