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Irankenner

S. 4
Bahman Nirumand
Gerade weil Iran seit 26 Jahren ein Gottesstaat ist, ist das politische Bewusstsein dort so gut ausgebildet wie in kaum einem anderen islamischen Land. Bahman Nirumand ist in Teheran geboren, und floh 1965 vor dem Schah-Regime nach Westdeutschland. Dort studierte er Germanistik, Philosophie und Iranistik. 1979 kehrte er zurück, musste aber wegen seiner Kritik an den Mullahs erneut ins Exil gehen.
1967 erschien in der Bundesrepublik sein erstes Buch: "Persien - Modell eines Entwicklungslandes oder die Diktatur der freien Welt", das großen Einfluss auf das internationalistische Denken der hiesigen Studentenbewegung nahm. Hans Magnus Enzensberger schrieb in seinem Nachwort zu diesem Buch: "Der Iran ist ein Modell für die große Lüge. Wer dieses Modell besichtigt hat, der weiß: Was man uns vorsetzt über Guatemala und Vietnam, über Angola und Indonesien, das ist im Zweifelsfall erlogen."

Bahman Nirumand ist Autor des von der Heinrich-Böll-Stiftung monatlich herausgegebenen "Iran-Report", und als freier Journalist zuständig für die Iran-Berichterstattung bei der "taz". Er hat mehrere Bücher über Iran und den Nahen Osten veröffentlicht, u.a.: "Persien - Modell eines Entwicklungslandes oder die Diktatur der Freien Welt" (1967), "Feuer unterm Pfauenthron" (1974), "Iran - hinter den Gittern verdorren die Blumen" (1985), "Mit Gott für die Macht - eine Biographie des Ayatollah Chomeini" (1987); "Sturm im Golf" (1990), "Die kurdische Tragödie" (1991).In seinen Büchern: "Angst vor den Deutschen - Terror gegen Ausländer und der Zerfall des Rechtsstaates"( 1992), "Deutsche Zustände - Dialog über ein gefährdetes Land" (1993) und "Leben mit den Deutschen"(1996) setzte er sich mit der bundesrepublikanischen Gesellschaft auseinander.




Seite 9
USA / EU-Troika eskalieren Atomkonflikt
Mit der Überweisung des Themas "Atompolitik der iranischen Regierung" an den UN-Sicherheitsrat haben die fünf UN-Vetomächte einer weiteren Zuspitzung des Konflikts Vorschub geleistet und dem Druck der US-Regierung und der EU-Drei (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) nachgegeben. Vieles erinnert an die Vorbereitung des Krieges gegen den Irak.
Nach einem UZ-Bericht vom 24.02.06

Die US-Regierung treibt militärische Vorbereitungen für Luft- und Raketenangriffe gegen iranische Atomanlagen und den Einsatz von Spezialkommandos voran und plant die Tötung iranischer Regierungsmitglieder.

Bei der so genannten Münchner Sicherheitskonferenz, dem Treffen der Kriegstreiber aus NATO und EU, Anfang Februar, verglich die deutsche Bundeskanzlerin den Iran und seine Regierung mit dem Nazi-Faschismus, und übte demonstrativ den Schulterschluss mit der US-Führung, die auch einen Einsatz von Atomwaffen gegen den Iran nicht ausschließen will. Dankbar wurde in den USA die Steilvorlage von Angela Merkel aufgegriffen.

Angela Merkels Auftritt in München "hat bei den Amerikanern die Überzeugung gestärkt, dass diesmal die Deutschen bei einem robusten, nicht notwendigerweise militärischen Vorgehen an ihrer Seite sein werden ... München 2006 könnte der Beginn eines neuen Miteinanders werden." (FAZ, 05.02.06).

Der Einwurf von SPD-Chef Platzeck, ein militärisches Vorgehen gegen Iran müsse ausgeschlossen werden, hat wenig Substanz, solange Merkels Linie weder vom sozialdemokratischen Außenminister noch vom Vizekanzler energisch widersprochen wird.
SPD-Außenminister Steinmeier lässt keine Gelegenheit aus, Verdächtigungen gegen den Iran zu lancieren, SPD-Politiker wie Hans-UIrich Klose und Rainer Arnold machen permanent Stimmung dafür, "keine Option vom Tisch zu nehmen".

Ohnehin hat die Bundesregierung im Rahmen der EU-3 mit dafür gesorgt, dass die iranische Regierung unter erpresserischen Druck gesetzt wurde. Von ihr zu verlangen, sie solle auf wesentliche Rechte bei der Nutzung der Kernenergie verzichten und den Atomwaffensperrvertrag, der ihr genau diese Rechte garantiert, niemals aufkündigen, bedeutet einen Souveränitätsverzicht zu fordern, den noch kein anderer Staat geleistet hat. Dabei müsste der Iran gleichzeitig die Logik akzeptieren, die hinter den Forderungen steht, und sich als "Schurkenstaat" einstufen. Parallel dazu hat das EU-Trio sich in den gesamten Gesprächen mit der iranischen Führung geweigert, dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis des Iran, der von US-Militärbasen umzingelt ist, Rechnung zu tragen.
Die deutsche Vorgängerregierung hatte noch im November zwei U-Boote an die israelischen Militärs geliefert. Auf diesen Booten können auch Atomwaffen stationiert werden.

USA TREIBEN ANGRIFF AUF DEN IRAN VORAN
Wie die seriöse britische Zeitung "Sunday Telegraph" berichtet, werden derzeit im Pentagon die Pläne für Bomben- und Marschflugkörper-Angriffe gegen den Iran intensiv vorangetrieben. Die von Donald Rumsfeld koordinierten Maßnahmen hätten in den vergangenen Monaten deutlich an Intensität zugenommen. Es würden Ziele im Iran identifiziert und die Logistik für einen Luftkriegseinsatz vorbereitet. Die Pläne der Pentagon-Strategen sehen laut "Sunday Telegraph" massives Bombardement der Atom- und Verteidigungsanlagen im Iran vor, insbesondere den Einsatz von B-52-Langstreckenbombern und Angriffe mit von U-Booten abgefeuerten Raketen.

NEOCONS KONZIPIEREN FEINDBILD NACH MASS
"Der militante Islam will unsere Zivilisation stürzen und die Nationen des Westens in moslemische Gesellschaften umwandeln", schrieb Neocon-Vordenker Richard Perle in seinem Anfang 2004 erschienenen Buch "Wie man den Krieg gegen den Terror gewinnt". - Tatsächlich fasst er den Gegner aber noch sehr viel weiter: "Religiöse Extremisten und laizistische Militante, Sunniten und Schiiten, Kommunisten und Faschisten - im Nahen Osten verschmelzen diese Kategorien miteinander. Sie alle strömen aus demselben enormen Reservoir an leicht entflammbarer Leidenschaft." Der US-Imperialismus selbst konstituiert überhaupt erst die Gegner, die er bekämpfen will.




S. 11
Kriegs-Visionen ohne Verfallsdatum
aus den Think-Tanks der Neokonservativen

Eine "Achse des Bösen" erfordert natürlich als Gegengewicht die "Axt des Guten" - und diese verkörpert keine Macht der Welt so rein, so unbeirrbar, weil opferbereit und bar kränkelnder Skrupel, wie die US-Regierung, allen voran ihr christlich-fundamentalistischer Präsident.

George W. Bush kündigte in seiner Präsidentenrede am 29.Januar 2002 an, Amerika werde "tun, was notwendig ist, um die Sicherheit unserer Nation zu gewährleisten", und zwar schon sehr bald: "Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Ich werde nicht auf Ereignisse warten, während sich die Gefahren zusammenballen. lch werde nicht danebenstehen, während das Unheil näher und näher kommt. Die USA werden es den gefährlichsten Regimes der Welt nicht gestatten, uns mit den vernichtendsten Waffen der Welt zu bedrohen." Bald war die Propagandaformel gefunden: Den Begriff "Achse des Bösen" hatte ihm sein damaliger Ghostwriter David Frum beschert - ein Ideologe der Neokonservativen.
Anfang 2004 trat Frum als Mitverfasser eines Buches von Richard Perle, dem Vordenker der Neocons, in Erscheinung. Titel: "Wie man den Krieg gegen den Terror gewinnt". Perle gab schon in diesem Buch das zukunftsweisende Motto "Sieg oder Holocaust" aus, das in der Kriegspropaganda gegen Iran wahrscheinlich noch eine zentrale Rolle spielen wird.

Rumsfeld sprach auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2006, wie auch bei anderen Gelegenheiten in diesen Tagen, davon, dass der sogenannte Kampf gegen den Terrorismus ein "langer Krieg" werde - länger, als man anfangs angenommen habe.

Das Thema ist jedoch keineswegs neu. US-Vizepräsident Dick Cheney prognostizierte schon im Oktober 2001, kurz nach Beginn der Luftangriffe gegen Afghanistan, der von Bush ausgerufene Krieg "endet vielleicht niemals. Jedenfalls nicht zu unseren Lebzeiten". Ihm schloss sich sogleich Generalstabschef Richard B. Myers an: Cheneys Einschätzung über die Dauer des Krieges "könnte richtig sein". "Dass er mehrere Jahre oder viele Jahre oder vielleicht unser Leben lang dauern könnte, würde mich nicht überraschen."

Ebenso argumentiert der frühere ClA-Chef James Woolsey, einer der prominentesten Neokonservativen: Der "vierte Weltkrieg" werde erheblich länger dauern als der Erste und der Zweite, nämlich mehrere Jahrzehnte. "Vierter Weltkrieg" sagen viele Neocons, weil sie den Kalten Krieg gegen die sozialistischen Staaten als dritten mitzählen.
Als Erfinder des Begriffs gilt der neokonservative Militärstratege Eliot Cohen, der am 20. November 2001 im Wall Street Journal, das derselben politischen Richtung angehört, schrieb: "This is World War IV". Als Gast der Münchner Militärkonferenz lobte Cohen jetzt, dass sich Merkeis Äußerungen "sehr von dem unterscheiden, was wir hier früher hörten".




S. 17
Eskalations-Schritte im Atomstreit zwischen EU-3 und Iran

VON CLEMENS RONNEFELDT, REFERENT FÜR FRIEDENSFRAGEN BEIM DEUTSCHEN ZWEIG DES INTERNATIONALEN VERSÖHNUNGSBUNDES

Die Eskalation im Atomstreit zwischen EU-3 und Iran war keineswegs unvermeidbar. Die im nachfolgenden Text zusammengefassten Dokumente können nachgelesen werden unter www.bits.de/main/archive/iran1.htm

1. November 2003: Vereinbarung zwischen Iran und EU-3 in Teheran
Mit dieser Vereinbarung unterzeichnete Iran das Zusatzabkommen zum Atomwaffensperrvertrag. Damit unterwarf sich Teheran erweiterten Informationspflichten und unangemeldeten Inspektionsbesuchen seiner Atomanlagen durch die IAEO - und hielt diese Verpflichtung in der Folgezeit auch ein. Iran erklärte sich zusätzlich bereit, freiwillig alle Urananreicherungs- und Wiederaufarbeitungsarbeiten vorläufig auszusetzen, bis eine Dauerlösung gefunden sei.

Die EU bestätigten das Recht Irans zur friedlichen Nutzung der Atomenergie in vollem Umfang. Nach der Klärung des Konfliktes versprach die EU-3 einen besseren Zugang zu Hochtechnologien sowie zur Zusammenarbeit im Rahmen einer regionalen Sicherheitszone.

Folgen der Vereinbarung:
Weil Iran die Bauarbeiten an der Urankonversionsanlage in Esfahan fertig stellte und Arbeiten an der Urananreicherungsanlage in Natanz weiterführte, sahen die EU-3 dies als Vertragsverletzung. Iran bestand auf der formal korrekten IAEO-Definition, wonach der Bau von Zentrifugen noch nichts mit der Anreicherung von Uran zu tun habe,ebenso die in Esfahan durchgeführte Konversion weiterhin erlaubt sei.

2. November 2004: Vereinbarung zwischen Iran und EU-Drei in Paris
In Paris sagte Iran zu, weiterhin freiwillig die Urankonversion in Esfahan auszusetzen, ebenso die Urananreicherung in Natanz, so lange die Verhandlungen andauern. Teheran stimmte der Versiegelung der Anlagen durch die IAEO zu. Die EU-3 engten die Spielräume aus dem Abkommen von Teheran für Iran weiter ein, indem sie nun auch das Verbot des Baus von Zentrifugen und Kaskaden durchsetzten, woran sich Teheran auch in der Folgezeit hielt.

Die EU-3 bestätigten der Regierung in Teheran, dass die iranischen Maßnahmen aus dem Paris-Abkommen vertrauensbildende Maßnahmen seien, zu denen Iran nicht verpflichtet sei und sagten zu, bei Irans Bemühungen zur Aufnahme in die WTO unterstützend tätig zu werden. Teheran wollte als wichtigsten Punkt klare Sicherheitsgarantien, künftig nicht angegriffen zu werden, und erwartete hierfür Zusagen der EU-Drei.

Im Dezember 2004 sollten Verhandlungen zur Regelung aller noch offenen Fragen beginnen. - Doch die Folgen:
Im Dezember begannen tatsächlich regelmäßige Verhandlungen, im März 2005 zog die US-Regierung ihre Vorbehalte gegen WTO-Aufnahmegespräche weitestgehend zurück und stellte bei einem Verhandlungserfolg sogar die Lieferung von Ersatzteilen für die zivile Luftfahrt in Aussicht. Im Gegenzug sagten die EU-3 der US-Regierung zu, im Falle des Scheiterns der Verhandlungen den Fall Iran vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen.

Der Streitpunkt entzündete sich daran, dass die EU-3 "objektive Garantien" in völkerrechtlich verbindlicher Form von Iran einforderte, allerdings selbst nur "feste Garantien" seiner politischen Vorschläge anbot, was Teheran erst verspätet realisierte.

3. Schreiben Irans an die EU-Drei vom 3.5.2005
Auf die bis Anfang Mai gemachten EU-3-Vorschläge ging Iran am 03.05.2005 mit einem als konstruktiv zu bezeichnenden Brief ein.

Iran sagte zu, das IAEO-Zusatzprotokoll zu ratifizieren, erklärte seine Bereitschaft zum Betrieb eines offenen Brennstoffkreislaufes ohne Wiederaufarbeitung sowie zu einem Gesetz, das die ausschließliche Nutzung der zivilen Atomenergie festschreibt.

Im Gegenzug erwartete Iran Zugang zu EU-Hochtechnologie einschließlich Atomanlagen, Sondierungsgespräche über die Lieferung weiterer EU-Atomkraftwerke, Zusagen über die Lieferung nuklearer Brennstoffe sowie von Rüstungsexporten, Zugang zu EU-Märkten und zu EU-Investitionsmöglichkeiten sowie Aufhebung technologischer Sanktionen der G-8-Staaten. Iran erwartete in diesem Schreiben auch die Bereitschaft der EU-Drei zur Initiative für eine ABC-waffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten.

Folgen:
Die für Ende Juli 2005 zugesagte Anwort der EU-Drei verzögerte sich, weil diese den Ausgang der iranischen Präsidentschaftswahlen abwarten wollte. Iran kündigte daraufhin an, unter IAEO-Aufsicht Anfang August 2005 die Urankonversion in Teheran wieder aufzunehmen. Die EU-Drei sahen darin eine Vertragsverletzung und beantragten eine IAEO-Sondersitzung.

4. Schreiben der EU-Drei an den Iran vom 5.8.2005
In ihrem Schreiben vom 5.8.2005 forderten die EU-Drei von Iran den Verzicht auf alle Aktivitäten eines geschlossenen Brennstoffkreislaufes, schlugen den ausschließlichen Bezug von Brennelementen aus dem Ausland vor, forderten die Ratifizierung des IAEO-Zusatzabkommens zur verschärften Überwachung bis Ende 2005 sowie die Verpflichtung Irans, niemals in Zukunft aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten.

Im Gegenzug sagten die EU-Drei den Zugang zu Nuklearbrennstoffen zu, boten Hilfen bei der Stillegung und alternativen Nutzung iranischer Atomanlagen an und offerierten eine Sicherheitsgarantie der beiden Nuklearmächte Frankreich und Großbritannien.

Folgen:
Iran reagierte auf diese Vorschläge, die bisher keinem Land der Welt in dieser Schärfe zugemutet wurden, äußerst ablehnend. Die iranische Empörung richtete sich vor allem gegen die Forderung nach einem Verzicht von Anlagen selbst des offenen Brennstoffkreislaufes.

Auf Druck der USA und der EU-Drei formulierte der IAEO-Gouverneursrat am 24.09.2005 - ohne Konsens, sondern im Mehrheitsprinzip - eine Resolution, die Iran eines förmlichen Vertragsbruches anklagte, ohne dass dies von den Fakten ausreichend gedeckt gewesen wäre.

5. Vorschläge Russlands und Irans vom Oktober und November 2005
Der Vorschlag Irans vom Ende letzten Jahres, andere Länder an der Urananreicherung in Natanz zu beteiligen, stieß bei den EU-3 wie auch der US-Regierung auf schroffe Ablehnung, da diese sich auf ein generelles Nein zur Anreicherung auf iranischem Boden verständigt hatten.

Die Vorschläge Russlands zum Betrieb einer Urananreicherungsanlage für Iran und Russland auf russischem Boden wurden von Iran abgelehnt, weil sie keine Antworten für die Verwendung von hoch qualifiziertem iranischem Personal - schätzungsweise allein etwa 4000 Ingenieuren in der Atomindustrie - vorsahen, die bei Umsetzung der Vorschläge zu einem großen Teil arbeitslos geworden wären.

Dennoch scheint gerade der russische Vorschlag noch immer diplomatische Spielräume zu bieten und ist noch nicht ausgereizt.

Nach Öffnung der Siegel der Anreicherungsanlage in Natanz Anfang Januar 2006 brachen die EU-Drei die Gespräche mit Iran ab und erklärten die Verhandlungen für gescheitert.

Bei sachlich-nüchterner Betrachtung fällt rückblickend auf, dass trotz einiger berechtigter Kritikpunkte der EU-3 an der Atom-Politik Teherans wie z.B. der verspäteten Meldung einiger Anlagen an die IAEO nicht Iran, sondern die EU-Drei durch ihre provokativen Maximal-Forderungen vom 05.08.05 die Hauptverantwortung für das Abbrechen der Gespräche und die derzeitige Eskalation tragen. Dies sieht eine ganze Reihe von Friedensforschern ebenso, u.a. auch Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit oder Bernd W. Kubbig von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt: "Die EU hat sich aber, teilweise selbst verschuldet, als ernsthafter Partner Teherans aus dem Verhandlungspoker herauskatapultiert. Zu den Gründen zählen die unrealistischen Annahmen über Teherans Verhalten und überzogene Forderungen" (Süddeutsche Zeitung, 03.01.2006), so Kubbig.

Trotz weit fortgeschrittener Eskalation könnten die EU-Drei im Atomstreit mit Iran einige Konfliktlösungsansätze forcieren, in dem sie Initiativen ergreifen für
Die EU-Drei werden diese Initiativen vermutlich kaum von sich heraus angehen. Daher ist es höchste Zeit, dass zivilgesellschaftliche Gruppen schnellstmöglich politischen Druck auf die Regierungen Deutschlands, Frankreichsund Großbritanniens ausüben - und auch einige Fakten in der Öffentlichkeit klarstellen.




S. 18
Dokumentation
Die Uran-Anreicherung ist nichts Illegales
Auch wenn zuweilen der Eindruck erweckt wird - es ist mitnichten so, dass der Atomwaffensperrvertrag Iran die Anreicherung von Uran und dazu erforderliche nukleare Forschungen verbietet. Als das Abkommen am 5. März 1970 geschlossen wurde, gab es ein Agreement zwischen den damaligen Kernwaffen-Mächten USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich sowie China und dem "Rest derWeil". Die genannten Länder wurden unter der Bedingung als einzig legitime Nuklearstaaten anerkannt, dass sie sich zum Abbau ihrer Arsenale verpflichten. Im Gegenzug erklärten alle Nicht-Nuklearstaaten - soweit sie den Atomwaffensperrvertrag unterzeichneten - auf Entwicklung, Bau und Lagerung von Kernwaffen zu verzichten. Dafür wurde ihnen das Recht zugestanden, alle verfügbaren Technologien für die friedliche Nutzung der Kernenergie, einschließlich des Baus von Atommeilern, anwenden zu können. Die dafür in Anspruch genommenen Anlagen - so die Verpflichtung - sollten aber Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde (lAEA) zugänglich sein. Die wichtigsten Artikel des "Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen" im einzelnen dokumentieren wir hier:

Aus dem Atomwaffensperrvertrag
Artikel 1 - die Atomwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen nicht weiterzugeben und niemanden zu unterstützen oder zu ermutigen, derartige Waffen herzustellen oder zu erwerben.
Artikel 2 - die Nichtatomwaffenstaaten verzichten auf Kernwaffen.
Artikel 3 - die Kontrolle erfolgt durch die Internationale Atomenergie-Agentur (lAEA).
Artikel 4 - es gibt das Recht auf die zivile Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie und auf Hilfe bei Ausrüstungen und Informationen dazu.
Artikel 5 - es gibt das Recht auf Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken (Anmerkung MFB: Die Sprengsätze werden selbstverständlich zum Selbstkostenpreis von den Kernwaffenmächten geliefert).
Artikel 6 - alle Vertragsstaaten haben die Pflicht zur nuklearen beziehungsweise zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung.




S.19
Das Atomprogramm des Iran
VON CLAUS SCHREER, MüNCHNER BüNDNIS GEGEN KRIEG UND RASSISMUS

Urananreicherung ist die zentrale Technologie für den Betrieb von Kernkraftwerken. Als Reaktorbrennstoffwerden Brennstäbe mit schwach angereichertem Uran 235 verwendet. Da der Anteil dieses Isotops (U-235) im Natururanerz zu gering enthalten ist, muss das Erz in Uranhexaflourid umgewandelt und dann mit Hilfe von Gaszentrifugen auf etwa 3 Prozent U-235 angereichert werden.

Technische Voraussetzungen
Für den Bau von Atomwaffen benötigt man dagegen hochangereichertes Uran mit einem Anteil von 80 bis 90 Prozent U-235. Richtig ist: Wer den Prozess der Urananreicherung beherrscht, ist prinzipiell auch in der Lage, atomwaffenfähiges Material herzustellen. Das gilt für alle Staaten, die Atomkraftwerke betreiben.
Die iranische Pilot-Anlage in Natanz ist für 1.000 Zentrifugen ausgelegt. In der im Bau befindlichen Anlage könnte nach der Fertigstellung die industrielle Urananreicherung mit 50.000 Gaszentrifugen betrieben werden. Bisher stehen in Natanz erst 164 Zentrifugen zur Verfügung (FAZ, 14.2.2006).

Nachdem die iranische Regierung nach dem Abruch der Verhandlungen durch das EU-Trio ihr freiwilliges Moratorium (die Einstellung ihrer Atomforschungsarbeiten) beendet halte, wurden experimentelle Tests mit 20 Zentrifugen begonnen. Für die Hintereinanderschaltung aller existierenden 164 Zentrifugen würden noch sechs bis zwölf Monate vergehen.

Um die geplanten 50.000 Zentrifugen zu bauen und in eine Kaskade zu schalten (was zur Produktion von waffenfähigem Uran nötig wäre) bräuchte der Iran "zwischen 10 und 20 Jahre", schätzt der Präsident des Washingtoner Instituts für Wissenschaft und Sicherheit
(ISIS), David Albright (SZ, 03.03.2006).

Ist der Iran eine Bedrohung?
Zur Produktion von waffenfähigem Uran ist Teheran noch viele Jahre gar nicht in der Lage. Der Iran verfügt heute noch nicht einmal über die Fähigkeit selbst Zentrifugen herzustellen. Und für die Herstellung von waffenfähigem Uran für nur eine einzige Atombombe müssten wenigstens 2.500 Zentrifugen in Gang gebracht werden.

Auf sein Atomprogramm mit einer kleinen Anzahl dieser Maschinen will der Iran aber auf keinen Fall verzichten. Auch der Chef der IAEA, Mohamed EI-Baradei, hat vorgeschlagen, den Weiterbetrieb einer iranischen Versuchsanlage zu akzeptieren. Um weitere Verhandlungen zu ermöglichen, hat sich die iranische Regierung bereit erklärt, die industrielle Urananreicherung für zwei Jahre auszusetzen und alle notwendigen Kontrollen durch die Atombehörde zuzulassen.

Die USA und die EU-Mächte bleiben jedoch bei ihrer Erpressungspolitik. Sie wollen im UN-Sicherheitsrat ein Ultimatum durchsetzen (notfalls als "Präsidentschaftserklärung"), wonach der Iran die wieder aufgenommenen Atomforschungsaktivitäten "ohne Verzug" vollständig einstellen muss und diese Forderung binnen 14 Tagen umzusetzen hat.

Medien-Kriegshetze
In großformatigen Artikeln hetzt die "Bild"-Zeitung schon seit Monaten gegen den Iran. Am 12. Januar 2006: "Wie können die Atom-Mullahs gestoppt werden?" Am 18. Januar, quer über die ganze Seite: Adolf Hitler neben Irans Staatspräsidenten Ahmadinedschad und dazu in großen Lettern: "Ist der Irre aus Teheran so gefährlich wie Hitler?"... "Will Irans fanatischer Präsident die ganze Welt in den Abgrund stürzen?" Der Iran sei "unter Umständen nur noch wenige Monate vom Bau einer Atombombe entfernt".

Als "wahrscheinlichste Option" wird den Lesern "ein gezielter Luftschlag der Israelis mit massiver US-Unterstützung" schmackhaft gemacht (12.01.2006). Die USA hätten bereits "500 bunkerbrechende Präzisionsbomben", die so genannten "bunker busters" an Israel geliefert. Die USA selbst wollen ihre neu entwickelte 13,6 Tonnen schwere konventionelle Monster-Bombe und "notfalls auch Mini-Atombomben" einsetzen (14.03.2006).

Die Bild-Leser werden jedoch beruhigt: "Die Explosionshitze der Mini-Atombomben könnte die unterirdischen Anlagen im Iran zerstören, ohne dass ganze Landstriche verwüstet werden". Atomkrieg!? - Alles halb so schlimm! Aber auch sogenannte seriöse Meinungsblätter wie die "Süddeutsche Zeitung" schreiben, "Im Fall Iran" sei es jetzt "Zeit für eine klare Drohung" ... "Das europäische Verhandlungsmarathon mit Iran krankt an mangelnder Glaubwürdigkeit", giftet SZ-Chefkommentator Stefan Cornelius herausfordernd, und am "Zweifel, ob den harten Worten auch harte Taten folgen würden". Wie weit diese gehen sollen, bleibt offen.

In der Tageszeitung "Die Welt" wurde am 25. Januar die Kriegsstimmung verbreitet. die derzeit gebraucht wird. Lord George Weidenfeld: "Gibt es eine Lösung ohne den Willen, bis zum Außersten zu gehen, bevor Kernwaffen von der iranischen Führung bestenfalls als Erpressungsmittel, aber sehr wahrscheinlich auch für einen militärischen Einsatz genutzt werden? Das Risiko einer militärischen Intrvention könnte zwar Opfer in Größenordnungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges mit sich bringen, doch der Triumph des islamistischen Terrors würde an Grässlichkeit alles überbieten, was uns die Weltgeschichte vermittelte."

Vor lauter Kriegsgeschrei kulminiert die Verteufelung des Gegners darin, dass man notfalls selbst über 75 Millionen Tote in Kauf nimmt.


Aufstachelung zum Angriffskrieg
Um "Politik und Handeln anderer Nationen zu beeinflussen" und um "den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen", müssten wir "alle Mittel in Betracht ziehen ... von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern", schwadronierte Angela Merkel 2004 auf der NATO-Sicherheitskonferenz.

Windmühlen-Kampf der EU-3-Diplomaten
"Die amerikanische Taktik läuft seit anderthalb Jahren darauf hinaus, die potenziellen Gegner von möglichen Militärschlägen auf das diplomatische Parkett zu schicken, selbst aber gegenüber Teheran keinerlei Konzessionen zu machen, damit jede Diplomatie zum Scheitern verurteilt ist. Die WeItöffentlichkeit soll den Eindruck haben, der Westen habe alles getan und alles gegeben, der Westen habe stets vernünftig reagiert - trotzdem bricht der Iran das Völkerrecht und will Atomwaffen. - Diese Stimmung haben die Amerikaner meines Erachtens meisterhaft herbei geführt, die Europäer fühlen sich dabei als die eigentlichen Akteure." Mohssen Massarat