Es ist jetzt Zeit für
eine US-geführte umfassende Regelung
Brent Scowcroft
30.7.06, Washington Post
Außenministerin Condoleezza Rice hat erklärt, ein
einfacher Waffenstillstand im Libanon sei nicht die Lösung
für die augenblickliche Gewalttätigkeit. Sie sagt, es
sei notwendig, sich mit den Ursachen des Problems zu
beschäftigen. Sie hat in beiden Punkten recht. Aber die
Hisbollah ist nicht die Quelle des Problems, sie ist ein
Ausfluß der Ursache, nämlich des tragischen
Konflikts um Palästina, der 1948 begann.
Die Ostküste des Mittelmeeres ist von einem Ende zum anderen in
Aufruhr, in der Wiederholung der dauernden Konflikte in einem oder dem
anderen Teil seit den erfolglosen Versuchen der Vereinten Nationen,
1948 separate israelische und palästinensische Staaten zu
gründen. Die augenblickliche Feuersbrunst hat die Welt
aufgerüttelt. Jetzt vielleicht mehr denn je haben wir die
Möglichkeit, die Sorge und die Energie zu nutzen, um eine
umfassende Lösung für die ganze 58 Jahre alte Tragödie
zu erreichen. Nur die Vereinigten Staaten können die notwendige
Anstrengung anführen, diese Gelegenheit zu ergreifen.
Die Rahmenbedingungen für eine umfassende Regelung sind klar seit
Präsident Clintons Anstrengungen im Jahr 2000 zusammenbrachen. Die
wesentlichen Elemente sind:
- Ein palästinensischer Staat in den Grenzen von 1967, mit
geringen Anpassungen, die zwischen Palästina und Israel verhandelt
werden müssen.
- Die Palästinenser geben das Rückkehrrecht (für die
Flüchtlinge) auf und im Gegenzug räumt Israel die Siedlungen
im Westjordanland, wiederum mit verhandelten Anpassungen. Die
Vertriebenen beider Seiten werden durch die internationale Gemeinschaft
entschädigt.
- König Abdullah von Saudiarabien bestätigt uneingeschränkt sein Versprechen von 2002,
daß die arabische Welt gewillt ist, normale Beziehungen mit
Israel aufzunehmen, wenn Israel sich aus den 1967 besetzten Gebieten
zurückzieht.
- Ägypten und Saudiarabien ermöglichen in Zusammenarbeit
mit der palästinensischen Autonomiebehörde eine Regierung wie
sie im Juni in der 18 Punkte-Vereinbarung zwischen den Fatach- und den
Hamas-Gefangenen in den israelischen Gefängnissen erreicht wurde.
- Die Einrichtung einer weiteren internationalen Streitmacht, die
den Verkehr zwischen Gaza und dem Westjordanland erleichtert und
überwacht.
- Bestimmung Jerusalems als gemeinsame Hauptstadt Israels und
Palästinas mit den entsprechenden internationalen Garantien
für die Bewegungsfreiheit und für das städtische Leben
in der Stadt.
Diese Bedingungen sind allen bestens bekannt, die in der Region leben
und auch denen, die seit Jahrzehnten daran arbeiten, einen dauerhaften
Frieden zu erreichen. Was jedoch atemberaubend kompliziert erscheint,
ist, wie man in der Region und außerhalb den notwendigen
politischen Willen mobilisiert, diese Prinzipien zu einer
Übereinkunft für ein dauerhaftes Abkommen umzuformen.
Die augenblickliche Krise im Libanon stellt eine historische
Gelegenheit dar, um zu erreichen, was bisher unmöglich erschien.
Es hieß immer, es sei zu viel zu erwarten, daß die direkt
Betroffenen – israelische und palästinensische Führer
– vorangehen. Dies ist die Verantwortung anderer, in erster Linie
der Vereinigten Staaten, die allein die internationale Gemeinschaft,
Israel und die arabischen Staaten zu einer Aufgabe mobilisieren
können, die so viele frühere Anstrengungen vereitelt hat.
Wie sollte ein solcher Prozess organisiert sein? Das naheliegende
Mittel, diesen Prozess zu steuern, wäre das Quartett (die USA, die
EU, Russland und die Vereinten Nationen), das im Jahre 2001 genau
dafür gegründet wurde. Das Quartett, würde auf der Ebene
der Außenminister zuerst die notwendige internationale
Streitmacht für den den Südlibanon und für Gaza
organisieren und dann einen Waffenstillstand ausrufen. Die
Sicherheitstruppe müßte das Mandat und die Fähigkeit
haben, hart auf Gewaltakte zu reagieren. Im Idealfall wäre dies
eine NATO- oder zumindest eine NATO-geführte Truppe. In Anbetracht
der politischen Hindernisse wäre eine direkte US-Teilnahme an
dieser Streitmacht äußerst wünschenswert – und
vielleicht unentbehrlich -, um unsere Freunde und Alliierten zu
überzeugen, die notwendigen Kapazitäten bereitzustellen.
Sobald der Waffenstillstand und die internationale Friedenstruppe
wirksam sind, muß das Quartett den Rahmen erarbeiten, unter dem
die spezifischen Bestandteile für eine umfassende Regelung
verhandelt werden. Danach würden Israel, die palästinensische
Autonomiebehörde und die jeweiligen Vertreter der arabischen
Staaten (z.B. Jordanien, Saudiarabien, Ägypten, Libanon)
dazustoßen und die detaillierten Verhandlungen
vervollständigen.
Der Nutzen eines umfassenden Übereinkommens zum ursächlichen
Grund für den augenblicklichen Aufruhr würde sich nicht nur
auf Israelis und Palästinenser (und ihre Unterstützer in
anderen Ländern) auswirken. Es würde den Einfluß Irans
verringern - d.h. dem Land, das mit seiner augenblicklichen Ideologie
die größte potenziell mögliche politische Gefahr
für Saudiarabien, Irak, Ägypten und Jordan darstellt.
Eine umfassende Regelung würde es den arabischen Führern
ermöglichen, sich auf das zu konzentrieren, was die meisten von
ihnen als ihre vordringliche Aufgabe ansehen: Die Modernisierung ihrer
Länder, um für die rasch anwachsenden Bevölkerungen
Arbeitsplätze und ein produktives Leben bereitzustellen.
Durch die Beseitigung des Arguments, daß nichts gemacht werden
kann, weil die Wählerschaft auf die "Not der Palästinenser"
fixiert ist, würde es ermöglichen, kreative Energie, Talent
und Geld umzuleiten zu Ausbildung, Gesundheit, Bauwirtschaft usw.. Dies
würde den zusätzlichen Vorteil haben, daß die
Bedingungen angesprochen werden, die viel zu viele junge Araber dazu
verleiten, Terrorismus als ein legitimes Mittel zu glorifizieren, sich
mit den Herausforderungen der modernen Welt auseinanderzusetzen.
Es ist sogar möglich, daß eine umfassende Regelung dazu
beitragen könnte, den Irak zu stabilisieren. Ein
gemäßigter Iran ohne die "Israelkarte" mag eher willens
sein, einen Modus Vivendi mit den Sunniten und den Kurden im Irak
zu erreichen, und auch mit den USA. Alle Länder der Region -
abgesehen vom Irak selbst – benötigen einen stabilen,
florierenden und friedlichen Irak. Der Weg, um dies zu erreichen, mag
von Jerusalem ostwärts führen, friedlich gemeinsam begangen
von Israelis und Palästinensern.
Dieser letzte in einer endlosen Serie von Großbränden in der
Region bietet vielleicht eine einmalige Gelegenheit, die Situation im
Mittleren Osten ein für alle Mal zum Besseren zu wenden.
Laßt uns nicht zurückschrecken vor dieser Aufgabe.
Der Autor war der Nationale
Sicherheitsberater der Präsidenten Gerald Ford und George H.W.
Bush. Er ist jetzt der Präsident des Forum for International
Policy.