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AHass
Amira Hass ist die einzige jüdisch-israelische Journalistin, die in Palästina lebt.

Ihr Durchhaltevermögen (Their power of endurance)

Amira Hass, Haaretz, 8.8.06

Die Al-Manar-Fernsehstation der Hisbollah würde die Ansicht als weibisch und sentimental zurückweisen, daß Völker keinen Krieg gewinnen können. Wie andere arabische Analysten betrachten sie den Angriff auf israelische Zivilisten und das Bekämpfen der israelischen Streitkräfte in heftigen Schlachten als einen arabischen Sieg. Aber wo ist der Sieg für die 1000 Libanesen, die die israelische Armee getötet hat? Worin besteht der Sieg für eine Million Menschen, die ihre zerbombten und zerstörten Häuser verlassen mußten? Sind solche Verluste es Wert, nur um zu demonstrieren, daß eine Guerillagruppe sich einer regulären Armeen stellen kann und eine israelische Schwäche bloßstellt.

Auf der andern Seite wird aus dem Nicht-Sieg der anderen Seite kein israelischer Sieg, selbst wenn Israel die Zahlen der Hisbollah-Kämpfer verdreifacht und die Zahl der libanesischen Mütter, die bisher getötet wurden, verdoppelt. Selbst wenn die israelische Luftwaffe tausend Dörfer auslöscht, es bringt die getöteten Israelis nicht zum Leben zurück.

Das Trauma und die wirtschaftlichen Zerstörungen werden weiterhin das Leben der Menschen beeinträchtigen. Selbst wenn das Waffenstillstandsabkommen näher an den israelischen Vorstellungen liegt als bei denen des Libanons, es wäre trotzdem kein Sieg. Israels Beharren auf dem Recht, unilateral die Regeln für die Region festlegen zu können, verlängert und vertieft seinen Charakter als ein fremdes Element in ihr. Israels zukünftige Generationen werden weiterhin für diese Hartnäckigkeit bezahlen müssen.

Es ist keine Überraschung, daß dieser Krieg noch nicht mit einem fürchterlichen Schlag beendet wurde. Über sechs Jahre hinweg hat die israelische Armee ihre Soldaten daran gewöhnt, ihre Angriffe in den besetzten Gebieten als "Kämpfe" und "Schlachten" anzusehen. Sie pflegten den Mythos, daß es eine Symmetrie gäbe zwischen der modernen regulären israelischen Armee und Gruppen von Palästinensern, die mit leichten Waffen und selbstgestrickten Bomben bewaffnet sind und zwischen den Panzern und Hubschraubern, die ihre Häuser und Felder zerstören, herumhuschen. Es gab in der Tat einige wenige Ereignisse, bei denen die Palästinenser mit Guerillaaktionen erfolgreich waren und Truppen getötet oder verletzt haben. Aber diese waren die Ausnahme. Die Selbstmordanschläge innerhalb Israels bescheinigen die militärische Schwäche der palästinensischen Organisationen.

Jetzt hat der israelische Armee Soldaten in den Libanon geschickt, denen man beigebracht hatte, daß Kriegführung Häuser-platt-machen mit Panzern und Raupenschleppern bedeutet, daß unter einer Schlacht das Beschießen von Kämpfern mit Kalaschnikows, mit denen man nicht einmal die Oberfläche eines Panzers ankratzen kann, vom Hubschrauber aus zu verstehen ist. Diese Soldaten glauben, daß die Verteidigung der Heimat darin besteht, in den besetzten Gebieten durch Straßensperren hunderttausende von Menschen daran zu hindern, wie menschliche Wesen zu leben.
Durch eine andere verdrehte Maßnahme der israelischen Armee der letzten Jahre gelten Häuser in Nordisrael, deren Bewohner geflohen sind, um den Katjuschas zu entkommen, als "verlassen". Dies war schließlich die von israelischen Militärsprechern ursprünglich benutzte Rechtfertigung für die systematische Zerstörung von Häusern der Bewohner von Khan Yunis und Rafach – von Bewohnern, die vor dem massiven israelischen Beschuß geflohen sind.

Raupenschlepper werden die Häuser der Bewohner im Norden Israels nicht niederwalzen, aber warum sollten nicht z.B. Diebe alles mitnehmen, was sie in ihre Hände kriegen. Dies sind schließlich verlassene Häuser, werden die Diebe zu ihrer Verteidigung anführen und die Präzedenzfälle zitieren.

Warum reden wir heute darüber? Einmal weil der Krieg – staatliche Unmenschlichkeit – gegen die Palästinenser weitergeht. Zweitens weil Israels Doppelstandard und grundsätzliche Verachtung für alles, was nicht "wir" ist, besser als die veraltete Ausrüstung und die falsche Ausbildung der Armee erklärt, weshalb sie bisher und weiterhin solche Schläge hinnehmen muß. Israel ist überzeugt, daß seine unbegrenzte Zerstörungskraft im Libanon genau wie in Gaza und im Westjordanland sowohl eine Abschreckung ist als auch eine politische Veränderung bewirkt. Es ignoriert den menschlichen Faktor – daß die Stärke der Palästinenser und der Libanesen im Gleichschritt mit unserer wachsenden Zerstörungskraft mitwächst.

Wir sind zu Recht besorgt über das Wohlergehen unserer Bewohner im Norden, stolz auf ihr Durchhaltevermögen, verstehen diejenigen, die weggehen möchten, sind schockiert durch den Tod jeder einzelnen Person und über jede Rakete, die einschlägt, und identifizieren uns mit allen, die unter der Angst leiden. Man nehme das, was die Bewohner im Norden seit einem Monat erleiden, multipliziere es mit 1000, füge eine wirtschaftliche Blockade hinzu, Strom- und Wasserabschaltungen und kein Einkommen. Dann hat man den Zustand, wie ihn die Palästinenser im Gazastreifen die letzten sechs Jahre "gelebt" haben.

Die Israelis erlauben ihrer Armee weiterhin, in den Palästinensergebieten zu zerstören, platt zu machen und zu töten. Hier wie im Libanon besteht das wirkliche Versagen der Nachrichten- und Sicherheitsdienste darin, daß Israel das Ausmaß unserer ungehemmten, unbeherrschten Verwüstung und die erstaunliche Leidensfähigkeit der andere Seite ignoriert. Dies ist der Grund, weshalb Israel den Wahn von "Siegen" hat. Wenn trotz der unendlichen Leiden der Palästinenser immer noch selbstgebastelte Raketen auf Sderot abgeschossen werden, dann deswegen, weil sie erkannt haben, daß Israels Zerstörungskraft nicht dazu dient, die Kassam- Raketen zu verhindern – oder Gilad Schalit zu befreien. Sie soll dazu dienen, eine Kapitulationsvereinbarung durchzusetzen, was aber nicht mit militärischen Siegen, sondern mit Durchhaltevermögen zurückgewiesen wird.