Münchner
Friedensbündnis
Münchner Friedensbündnis - c/o
Friedensbüro e.V.,
Isabellastr. 6, 80798 München
Lakhdar Brahimi,
New York Times, 18.8.06
Was für eine Verschwendung, daß es mehr als 30 Tage
für die Annahme einer Resolution des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen für einen Waffenstillstand im Libanon
gebraucht hat. Dreißig Tage während denen nichts Positives
erreicht wurde und unschuldige Menschen viel Schmerz, Leid und Schaden
erlitten.
Der Verlust an unschuldigem zivilem Leben ist atemberaubend und die
Zerstörung, besonders im Libanon, ist verheerend.
Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen haben die
humanitäre Krise und die Verletzung des internationalen
Menschenrechts verurteilt.
Trotzdem war all der diplomatische Einfluß der Vereinigten
Staaten darauf gerichtet, einen Waffenstillstand zu verhindern,
während mehr Rüstungsmaterial auf schnellsten Wege
zur israelischen Armee geschafft wurde. Es wurde argumentiert,
daß der Krieg fortgesetzt werden müsse, so
daß die Grundursachen für den Konflikt angesprochen
werden konnten, aber niemand erklärte, wie man dies durch die
Zerstörung des Libanon errreichen könnte.
Und was sind diese Grundursachen? Es ist unglaublich, daß die
letzten Ereignisse so regelmäßig nur auf die
Entführung dreier israelischer Soldaten
zurückgeführt werden. Wenige sprechen von den
Tausenden palästinensischen Gefangenen in Israel, oder
über seine libanesischen Gefangenen, von denen einige seit
mehr als 20 Jahren in Haft sind. Und es gibt kaum eine
Erwähnung der militärischen Besatzung und des mit ihr
verbundenen Unrechts.
Statt daß sie im sogenannten globalen Krieg gegen den Terror
helfen, haben die letzten Ereignisse den Feinden von Frieden, Freiheit
und Demokratie genützt. Die Region kocht vor Groll,
Ärger und Verzweiflung, Gefühle, die die
führenden jungen Araber und Palästinenser nicht zu
einem sogenannten Neuen Mittleren Osten führen werden.
Diese Politik hilft auch Israel nicht. Israels Bedürfnis nach
Sicherheit ist real und legitim, aber es wird nicht in irgendeiner
nachhaltigen Weise auf Kosten der gleich realen und legitimen
Rechte und Erwartungen seiner Nachbarn sichergestellt. Israel und seine
Nachbarn könnten eine ehrenhafte Regelung verhandeln und in
Frieden und Harmonie leben. Wie es oft geschieht in komplexen
Konfliktsituationen, können die Beteiligten dies nicht alleine
vollbringen. Sie benötigen Hilfe von außen, die sie
aber nicht bekommen.
Es ist vielleicht zu früh, die Lehren aus diesem Monat des
Wahnsinns zu ziehen. Was jedoch klar ist, ist daß die
Hisbollah einen politischen Sieg errungen hat, und daß ihr
politischer Führer, Scheich Hassan Nasrallah, die beliebteste
Persönlichkeit in der muslimischen Welt geworden ist. Was
Israel angeht, hat es es seine vorgegebenen Ziele nicht erreicht.
Sollte sich dieser Trend fortsetzen, kann man sich schwer vorstellen,
daß diese Region bald stabil wird.
So, was ist zu tun? Die internationale Gemeinschaft sollte mehrere
Schritte unternehmen – einige konkret, einige konzeptionell
– um die augenblickliche Krise anzugehen.
Erste Priorität muß die Sicherstellung der Einheit
des Libanons, seiner Souveränität haben, seine
territoriale Integrität und die volle Erfüllung des
Taif-Abkommens von 1989, bei dessen Zustantekommen ich von seiten der
Arabischen Liga behilflich war. Diese Übereinkunft legt
speziell fest, daß die Regierung des Libanon, wie alle
Staaten, allein das Monopol zum Besitz von Waffen und zum Einsatz von
Gewalt hat.
Zweitens müssen wir uns daran erinnern, daß die
Entstehung der Hisbollah eine Folge der israelischen Invasion des
Libanon im Jahr 1982 war. Wie alle Bewegungen hat sie sich entwickelt:
Anfänglich war sie eine Miliz und eine
Widerstandsbewegung gegen die Besatzung. Sie hat sich sowohl zu einer
politischen Partei als auch zu einer sozialen Organisation entwickelt,
die wertvolle Dienste für die verarmte bevölkerung
bereitstellte.
Statt die Hisbollah zu isolieren, sollten wir sie ermutigen, eine
verantwortliche Rolle in der internen Dynamik des Libanon zu spielen.
Es wäre dann legitim zu erwarten, daß die Hisbollah
das alleinige Recht des libanesischen Staates akzeptiert, Waffen und
das Gewaltmonopol zu besitzen.
Drittens hat es etwas von einem Paradox, wenn man Iran und Syrien
auffordert, die Beziehungen zur Hisbollah abzubrechen, wenn man
gleichzeitig von ihnen erwartet, ihren Einfluß bei der
Einhaltung des Waffenstillstands geltend zu machen. Wäre es
nicht effektiver zu fordern, daß beide Länder und
auch alle anderen Länder in der Region und über diese
hinaus, gewissenhaft die libanesische Souveränität
respektieren und sich davon enthalten, sich in die inneren
Angelegenheiten des Libanon einzumischen?
Viertens. Den wertvollsten Beitrag, den Israel für einen
dauernd Frieden an seiner Nordgrenze leisten kann, besteht darin, seine
Truppen aus besetztem Territorium zurückzuziehen,
einschließlich der Schebaa-Farmen.
Schließlich muß die dringende und ausdauernden
Aufmerksamkeit fokussiert werden auf das Problem, das den Grund bildet
für die Unruhe im Mittleren Osten: Die
Palästinafrage. Eine Fülle von Resolutionen der
Vereinten Nationen und von anderen Vereinbarungen existiert bereits,
die die Basis bereitstellen für eine gerechte und
beständige Lösung des Konflikts im Mittleren Osten.
Ein gangbarer Weg könnte ein vom Sicherheitsrat und einer
internationalen Konferenz (einschließlich der Arabischen
Liga) bestelltes Team von Mittlern sein, das die gewaltige Aufgabe
übernimmt, diejenigen bereits bestehenden Vereinbarungen, die
am besten funktionieren, wiederzubeleben und und zu erreichen,
daß sie eingesetzt werden.
Wenn die Vereinigten Staaten und andere
Schlüssel-Länder diesen Konflikt von einem anderen
Blickwinkel her sehen könnten, dann gäbe es eine
echte Aussicht für Frieden. Dies wäre der beste Weg,
einen echten Respekt und eine echte Buße zu signalisieren
für die Leiden, die so vielen unschuldigen Menschen in so
vielen Jahren zugefügt wurden.
Lakhdar Brahimi ist ein ehemaliger Sonderberater des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen.
Originaltext
August 18, 2006
Op-Ed Contributor
Start Talking to Hezbollah
By LAKHDAR BRAHIMI
WHAT a waste that it took more than 30 days to adopt a United Nations
Security Council resolution for a cease-fire in Lebanon. Thirty days
during which nothing positive was achieved and a great deal of pain,
suffering and damage was inflicted on innocent people.
The loss of innocent civilian life is staggering and the destruction,
particularly in Lebanon, is devastating. Human rights organizations and
the United Nations have condemned the humanitarian crisis and
violations of international humanitarian law.
Yet all the diplomatic clout of the United States was used to prevent a
cease-fire, while more military hardware was rushed to the Israeli
Army. It was argued that the war had to continue so that the root
causes of the conflict could be addressed, but no one explained how
destroying Lebanon would achieve that.
And what are these root causes? It is unbelievable that recent events
are so regularly traced back only to the abduction of three Israeli
soldiers. Few speak of the thousands of Palestinian prisoners held by
Israel, or of its Lebanese prisoners, some of whom have been held for
more than 20 years. And there is hardly any mention of military
occupation and the injustice that has come with it.
Rather than helping in the so-called global war on terror, recent
events have benefited the enemies of peace, freedom and democracy. The
region is boiling with resentment, anger and despair, feelings that are
not leading young Arabs and Palestinians toward the so-called New
Middle East.
Nor are these policies helping Israel. Israel’s need for security
is real and legitimate, but it will not be secured in any sustainable
way at the expense of the equally real and legitimate needs and
aspirations of its neighbors. Israel and its neighbors could negotiate
an honorable settlement and live in peace and harmony. As often happens
in complex conflict situations, however, the parties cannot do it
alone. They need outside help but are not getting it.
It is perhaps too early to draw lessons from this month of madness.
What is clear, however, is that Hezbollah scored a political victory
and its leader, Sheik Hassan Nasrallah, has become the most popular
figure in the Muslim world. As for Israel, it does not seem to have
achieved its stated objectives. Should these trends continue, it is
hard to imagine stability coming to the region soon.
So what can be done? The international community should take several
steps — some concrete, some conceptual — to address the
current crisis.
First, priority must be given to ensuring Lebanon’s unity,
sovereignty and territorial integrity and the full implementation of
the 1989 Taif accord, which I helped negotiate on behalf of the Arab
League. This agreement specifically required that the Lebanese
government, like all states, have a monopoly over the possession of
weapons and the use of force.
Second, we must recall that Hezbollah came into existence as a
consequence of the Israeli invasion of Lebanon in 1982. Like all
movements, it has evolved: it was initially a militia and a resistance
movement against foreign occupation. It then developed into both a
political party and a social organization, providing valuable services
to its impoverished community.
Rather than trying to isolate Hezbollah, we should be encouraging it to
play a responsible role in the internal dynamics of Lebanon. It would
then, in turn, be legitimate to expect Hezbollah to accept the Lebanese
state’s exclusive right to possess armaments and use force.
Third, it is something of a paradox to ask Iran and Syria to sever
relations with Hezbollah while asking them to use their influence to
obtain its compliance with the cease-fire resolution. Would it not be
more effective to demand that both countries, as well as all other
states in the region and beyond, scrupulously respect Lebanon’s
sovereignty and abstain from interfering in its internal affairs?
Fourth, the most valuable contribution Israel can make to lasting peace
across its northern border is to withdraw its troops from all the
territory it currently occupies, including the Shebaa Farms.
Finally, urgent and sustained attention must be focused on the problem
that underlies the unrest in the Middle East: the Palestinian issue. A
wealth of United Nations resolutions and other agreements already exist
that provide a basis for a just and viable solution to the Middle East
conflict.
One approach could be for a team of mediators to be mandated by the
Security Council and an international conference (including the Arab
League) to take on the formidable task of reviving the pre-existing
agreements that work best and then seeing that they are put in place.
If the United States and other key countries could see this conflict
through a different lens, there could be a real chance for peace. This
would be the best way to signal genuine respect and atonement for the
suffering inflicted on so many innocent people for so many years.
Lakhdar Brahimi is a former special adviser to the United Nations Secretary General.