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AHass
Amira Hass ist die einzige israelische Journalistin, die in Palästina lebt.

Der Besatzer definiert Gerechtigkeit (The occupier defines justice)

Amira Hass, Haaretz, 23.8.06

In Jerusalems Jabotinsky Straße, gegenüber dem Präsidentenpalast, ist eine mittelgroße Plakette an einem verschlossenen Tor befestigt, das zu einem breiten Gebäude und einem schönen Garten führt.:"Dieses Gebäude beherbergte den Hohen Militärischen Gerichtshof der britischen Mandatsregierung, der Gerichtsverfahren abhielt gegen die hebräischen Widerstandskämpfer der Haganah, Etzel und Lehi." Das Zeichen trägt die Embleme der Stadt Jerusalem und die der drei Widerstandsorganisationen. Dort steht weiter:" Die Widerstandskämpfer erkannten die Autorität des Gerichtshofes nicht an und forderten als Kriegsgefangene anerkannt zu werden."

Der Sprecher des Parlaments der palästinensischen Autonomiebehörde, der vor zwei Wochen von den israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) verhaftet wurde, weigerte sich ebenfalls, die Autorität des Militärgerichts anzuerkennen, ihn verurteilen zu können. Natürlich werden die zwei neuesten Häftlinge, deren Arrest von Israel als die angebrachte Lösung für seine Hilfslosigkeit bei der Befreiung des entführten Soldaten Gilad Schalit für notwendig erachtet wurde, die gleiche Erklärung abgeben. Nasser A-Shaer, der Palästinische Erziehungsminister und Vizepremierminister und Mahmoud Ramahi, Chefeinpeitscher der palästinensischen legislativen Versammlung, wurden am Samstag und am Sonntag verhaftet. Die Palästinenser haben übrigens in letzter Zeit aufgegeben, im Zusammenhang mit der Festnahme von Palästinensern durch Soldaten das Verb "verhaftet" zu verwenden. Stattdessen benutzen sie das Verb "entführt".

Diese drei Verhafteten/Entführten gesellen sich zu 10.000 anderen palästinensischen Gefangenen und Häftlingen. So wie mit den Gefangenen des hebräischen Widerstandes, die sich unabhängig von ihren Aktionen (Umbringen britischer Soldaten oder arabischer Zivilisten) als Kriegsgefangene sahen, fordern einige Palästinenser, daß ihre Gefangenen zu Kriegsgefangenen erklärt werden. Andere ziehen die Festlegung als politische Gefangene vor. Halten wir uns nicht mit Definitionen auf. Wie dem auch sei, Israel verwendet als Besatzungsmacht für das Vergehen oder für die Bestrafung die Definition, die ihm gerade angebracht erscheint.

Am Sonntag um 4:30 erschossen IDF-Soldaten einen Arbeiter, Jalal Uda, 26 Jahre alt, und verletzten drei weitere palästinensische Zivilisten. Dies passierte nicht weit vom Howara- Kontrollpunkt, südlich von Nablus. Palästinensische Zeitungen nennen es den "Verbrechensort". Die jungen Leute fuhren in einem Taxi auf einer Straße, die den Kontrollpunkt umgeht. Seit mehreren Wochen hat die Armee wieder jungen Männern im Alter unter 32 Jahren verboten, Nablus zu verlassen. Aber die Leute müssen von irgendetwas leben und Tausende suchen nach versteckten Auswegsrouten. Ein mit der Todesstrafe bedrohtes Verbrechen, wie es aussieht. Die Soldaten handelten als Ankläger, Richter und Scharfrichter. Nach den Regeln der Besatzung sind sie und diejenigen, die sie ausschicken, wenn Soldaten palästinensische Zivilisten töten, niemals Kriminelle, Verdächtige, Angeklagte oder Strafgefangene. Der Brigadegeneral, der das Alter derjenigen, die Nablus verlassen dürfen,  einschränkt, kann, weil er zur "Verteidigungsarmee" gehört, auch nicht als Krimineller, Verdächtiger oder Sträfling betrachtet werden.

Wenn ein Palästinenser einen Israeli tötet – sei es ein Soldat oder ein Zivilist – werden sein Name, ein Bild und die Einzelheiten der Anklage veröffentlicht. Er wird automatisch zu lebenslanger Haft verurteilt und sein Premierminister oder der Führer seiner Organisation werden für verantwortlich angesehen und sie werden das Ziel für einen Arrest oder für eine Ermordung. Die Soldaten, die palästinensische Zivilisten umbringen, finden Unterschlupf unter dem großen Schirm der Besatzungsarmee. Ihre Namen werden nicht veröffentlicht und ihr Premierminister und ihre Kommandeure werden für nicht verantwortlich gehalten.

Die palästinensischen Häftlinge werden vor ein Miltärgericht gestellt. Die gleiche militärische Einrichtung, die besetzt und zerstört und die zivile Bevölkerung unterdrückt, ist diejenige, die festlegt, daß Widerstand gegen die Besatzung – selbst Volksdemonstrationen und Flaggenschwenken, nicht nur Töten oder Waffentragen – ein Verbrechen ist. Sie ist diejenige, die Anklage erhebt und richtet. Die Richter sind loyal in der Verteidigung der Interessen der Besatzer und der Siedler.

Angeblich wird jeder Palästinenser als private Person, die ein Verbrechen verübt hat , angeklagt, verurteilt und inhaftiert. Aber eine deutliche Unterscheidung bei der Haftbedingungen beweist, daß der palästinensische Sicherheitshäftling nicht als Einzelperson bestraft wird, sondern als Repräsentant einer Gruppe, als Teil der allgemeinen Unterdrückung. Im Gegensatz zum internationalem Recht wird die Mehrzahl der palästinensischen Gefangenen und Häftlinge nicht im besetzten Gebiet gefangen gehalten, sondern innerhalb Israel. Entgegen der weitverbreiteten Meinung respektiert Israel das Recht auf regelmäßige Besuche von Familienangehörigen nicht.

Die Armee tut ihr Bestes, wenn es darum geht, mit verschiedenen sicherheitsrelevanten und technischen Begründungen Besuchsvereinbarungen auszuhebeln. Nur Verwandte ersten Grades (Eltern, Geschwister und Kinder) dürfen Gefangene besuchen, aber Hunderte von ihnen durften über mehrere Jahre hinweg gar keine Besucher empfangen. Das Recht, täglich das Telefon zu benutzen, wird den gefährlichsten Kriminellen zugebilligt, den palästinensischen Sicherheits-Häftlingen aber verwehrt, darunter Staatsangehörigen und Bewohnern Israels. Das wird begründet mit der schwachen und wenig überzeugenden Ausrede eines Sicherheitsapparates, der über modernste und wirksame Überwachungseinrichtungen verfügt. Der Weg zu Haftminderung und Haftverschonung ist offen für einen Juden (besonders, wenn er ein Siedler ist) und fast hermetisch versperrt für einen Palästinenser.

Es ist kein Wunder, daß die Palästinenser jede Art von Aktion – wie die Entführung eines Soldaten – unterstützen, die versucht, die Regeln dieses Diskriminationsspiels zu durchbrechen. Jede Haftgeschichte eines palästinensischen Gefangenen ist ein Ausdruck der Freiheit, die Israel sich bei der Durchsetzung einer extremen Subkultur des Doppelstandards nimmt, bei der Unterscheidung von Blut gegen Blut, Mensch gegen Mensch, Nation gegen Nation.