Münchner
Friedensbündnis
Münchner Friedensbündnis - c/o
Friedensbüro e.V.,
Isabellastr. 6, 80798 München
Amira Hass ist die einzige israelische Journalistin, die in Palästina lebt.
Amira Hass, Haaretz, 23.8.06
In Jerusalems Jabotinsky Straße, gegenüber dem
Präsidentenpalast, ist eine mittelgroße Plakette an einem
verschlossenen Tor befestigt, das zu einem breiten Gebäude und
einem schönen Garten führt.:"Dieses Gebäude beherbergte
den Hohen Militärischen Gerichtshof der britischen
Mandatsregierung, der Gerichtsverfahren abhielt gegen die
hebräischen Widerstandskämpfer der Haganah, Etzel und Lehi."
Das Zeichen trägt die Embleme der Stadt Jerusalem und die der drei
Widerstandsorganisationen. Dort steht weiter:" Die
Widerstandskämpfer erkannten die Autorität des Gerichtshofes
nicht an und forderten als Kriegsgefangene anerkannt zu werden."
Der Sprecher des Parlaments der palästinensischen
Autonomiebehörde, der vor zwei Wochen von den israelischen
Verteidigungsstreitkräften (IDF) verhaftet wurde, weigerte sich
ebenfalls, die Autorität des Militärgerichts anzuerkennen,
ihn verurteilen zu können. Natürlich werden die zwei neuesten
Häftlinge, deren Arrest von Israel als die angebrachte Lösung
für seine Hilfslosigkeit bei der Befreiung des entführten
Soldaten Gilad Schalit für notwendig erachtet wurde, die gleiche
Erklärung abgeben. Nasser A-Shaer, der Palästinische
Erziehungsminister und Vizepremierminister und Mahmoud Ramahi,
Chefeinpeitscher der palästinensischen legislativen Versammlung,
wurden am Samstag und am Sonntag verhaftet. Die Palästinenser
haben übrigens in letzter Zeit aufgegeben, im Zusammenhang mit der
Festnahme von Palästinensern durch Soldaten das Verb "verhaftet"
zu verwenden. Stattdessen benutzen sie das Verb "entführt".
Diese drei Verhafteten/Entführten gesellen sich zu 10.000
anderen palästinensischen Gefangenen und Häftlingen. So wie
mit den Gefangenen des hebräischen Widerstandes, die sich
unabhängig von ihren Aktionen (Umbringen britischer Soldaten oder
arabischer Zivilisten) als Kriegsgefangene sahen, fordern einige
Palästinenser, daß ihre Gefangenen zu Kriegsgefangenen
erklärt werden. Andere ziehen die Festlegung als politische
Gefangene vor. Halten wir uns nicht mit Definitionen auf. Wie dem auch
sei, Israel verwendet als Besatzungsmacht für das Vergehen oder
für die Bestrafung die Definition, die ihm gerade angebracht
erscheint.
Am Sonntag um 4:30 erschossen IDF-Soldaten einen Arbeiter, Jalal Uda,
26 Jahre alt, und verletzten drei weitere palästinensische
Zivilisten. Dies passierte nicht weit vom Howara- Kontrollpunkt,
südlich von Nablus. Palästinensische Zeitungen nennen es den
"Verbrechensort". Die jungen Leute fuhren in einem Taxi auf einer
Straße, die den Kontrollpunkt umgeht. Seit mehreren Wochen hat
die Armee wieder jungen Männern im Alter unter 32 Jahren verboten,
Nablus zu verlassen. Aber die Leute müssen von irgendetwas leben
und Tausende suchen nach versteckten Auswegsrouten. Ein mit der
Todesstrafe bedrohtes Verbrechen, wie es aussieht. Die Soldaten
handelten als Ankläger, Richter und Scharfrichter. Nach den Regeln
der Besatzung sind sie und diejenigen, die sie ausschicken, wenn
Soldaten palästinensische Zivilisten töten, niemals
Kriminelle, Verdächtige, Angeklagte oder Strafgefangene. Der
Brigadegeneral, der das Alter derjenigen, die Nablus verlassen
dürfen, einschränkt, kann, weil er zur
"Verteidigungsarmee" gehört, auch nicht als Krimineller,
Verdächtiger oder Sträfling betrachtet werden.
Wenn ein Palästinenser einen Israeli tötet – sei es ein
Soldat oder ein Zivilist – werden sein Name, ein Bild und die
Einzelheiten der Anklage veröffentlicht. Er wird automatisch zu
lebenslanger Haft verurteilt und sein Premierminister oder der
Führer seiner Organisation werden für verantwortlich
angesehen und sie werden das Ziel für einen Arrest oder für
eine Ermordung. Die Soldaten, die palästinensische Zivilisten
umbringen, finden Unterschlupf unter dem großen Schirm der
Besatzungsarmee. Ihre Namen werden nicht veröffentlicht und ihr
Premierminister und ihre Kommandeure werden für nicht
verantwortlich gehalten.
Die palästinensischen Häftlinge werden vor ein
Miltärgericht gestellt. Die gleiche militärische Einrichtung,
die besetzt und zerstört und die zivile Bevölkerung
unterdrückt, ist diejenige, die festlegt, daß Widerstand
gegen die Besatzung – selbst Volksdemonstrationen und
Flaggenschwenken, nicht nur Töten oder Waffentragen – ein
Verbrechen ist. Sie ist diejenige, die Anklage erhebt und richtet. Die
Richter sind loyal in der Verteidigung der Interessen der Besatzer und
der Siedler.
Angeblich wird jeder Palästinenser als private Person, die ein
Verbrechen verübt hat , angeklagt, verurteilt und inhaftiert. Aber
eine deutliche Unterscheidung bei der Haftbedingungen beweist,
daß der palästinensische Sicherheitshäftling nicht als
Einzelperson bestraft wird, sondern als Repräsentant einer Gruppe,
als Teil der allgemeinen Unterdrückung. Im Gegensatz zum
internationalem Recht wird die Mehrzahl der palästinensischen
Gefangenen und Häftlinge nicht im besetzten Gebiet gefangen
gehalten, sondern innerhalb Israel. Entgegen der weitverbreiteten
Meinung respektiert Israel das Recht auf regelmäßige Besuche
von Familienangehörigen nicht.
Die Armee tut ihr Bestes, wenn es darum geht, mit verschiedenen
sicherheitsrelevanten und technischen Begründungen
Besuchsvereinbarungen auszuhebeln. Nur Verwandte ersten Grades (Eltern,
Geschwister und Kinder) dürfen Gefangene besuchen, aber Hunderte
von ihnen durften über mehrere Jahre hinweg gar keine Besucher
empfangen. Das Recht, täglich das Telefon zu benutzen, wird den
gefährlichsten Kriminellen zugebilligt, den palästinensischen
Sicherheits-Häftlingen aber verwehrt, darunter
Staatsangehörigen und Bewohnern Israels. Das wird begründet
mit der schwachen und wenig überzeugenden Ausrede eines
Sicherheitsapparates, der über modernste und wirksame
Überwachungseinrichtungen verfügt. Der Weg zu Haftminderung
und Haftverschonung ist offen für einen Juden (besonders, wenn er
ein Siedler ist) und fast hermetisch versperrt für einen
Palästinenser.
Es ist kein Wunder, daß die Palästinenser jede Art von
Aktion – wie die Entführung eines Soldaten –
unterstützen, die versucht, die Regeln dieses
Diskriminationsspiels zu durchbrechen. Jede Haftgeschichte eines
palästinensischen Gefangenen ist ein Ausdruck der Freiheit, die
Israel sich bei der Durchsetzung einer extremen Subkultur des
Doppelstandards nimmt, bei der Unterscheidung von Blut gegen Blut,
Mensch gegen Mensch, Nation gegen Nation.