Münchner
Friedensbündnis
Münchner Friedensbündnis - c/o
Friedensbüro e.V.,
Isabellastr. 6, 80798 München
Amira Hass ist die einzige israelische Journalistin, die in Palästina lebt.
Amira Hass, Haaretz, 31.8.06
Klammern wir diejenigen Israelis aus, deren Ideologie die Enteignung
des palästinensischen Volkes unterstützt, weil "Gott uns
erwählt hat". Klammern wir die Richter aus, die jede
militärische Strategie des Tötens und der Zerstörung
reinwaschen. Klammern wir die militärischen Kommandeure aus, die
wissentlich eine ganze Nation in von Mauern, befestigten
Beobachtungstürmen, Maschinengewehren, Stacheldraht und blendenden
Projektoren umgebene Pferche einsperren. Klammern wir die
Minister aus. All diese zählen nicht zu den Kollaboratoren. Sie
sind die Architekten, die Planer, die Entwerfer, die Scharfrichter.
Aber da sind andere. Historiker und Mathematiker, Herausgeber,
Mediensterne, Psychologen und Familienärzte, Rechtsanwälte,
welche Gush Emunim und Kadima nicht unterstützen, Lehrer und
Erzieher, Liebhaber von Wanderwegen und von Liedern zum Mitsingen,
High-Tech-Genies. Wo seid ihr? Und was ist mit Euch, Erforscher des
Nazismus, des Holocaust und der sowjetischen Gulags? Könnt ihr
alle für systematisch diskriminierende Gesetze sein? Gesetze, die
darlegen, daß Araber in Galiläa noch nicht einmal mit der
gleichen Summe für die Kriegsschäden entschädigt werden,
die ihren jüdischen Nachbarn zusteht (Aryeh Dayan, Haaretz, 21.
August).
Kann es sein, daß ihr alle für ein rassistisches
Staatsangehörigkeitsrecht eintretet, das einem israelischen Araber
verbietet, mit seiner Familie in seinem eigenen Haus zu leben?
Daß ihr Partei ergreift für die weitere Enteignung von Land
und die Zerstörung von weiteren Obstgärten für eine
weitere Siedlung und für eine weitere Straße exklusiv
für Juden? Daß ihr alle den Kanonen- und
Raketen-Beschuß unterstützt, der Alt und Jung im
Gazastreifen tötet?
Kann es sein, daß ihr alle einverstanden seid, daß für
ein Drittel des Westjordanlands (das Jordantal) der Zutritt für
Palästinenser verboten ist? Daß ihr alle die israelische
Politik unterstützt, die Zehntausende von
Palästinensern, die eine ausländische
Statsangehörigkeit besitzen, daran hindert, zu ihren Familien in
die besetzten Gebieten zurückzukehren?
Kann euer Verstand derart mit der Sicherheitsausrede gewaschen sein,
die benutzt wird, um Studenten aus Gaza zu verbieten,
Beschäftigungstherapie in Bethlehem zu studieren und Medizin in
Abu Dis, und um kranke Menschen aus Rafach daran zu hindern, eine
medizinische Behandlung in Ramallah zu bekommen? Werdet ihr auch keine
Mühe haben, euch hinter der Erklärung "wir hatten keine
Vorstellung" zu verstecken: Wir hatten keine Vorstellung, daß
die Diskriminierung, die bei der Wasserverteilung praktiziert wird
– die ausschließlich von Israel kontrolliert wird –
tausende von palästinensischen Haushalten in den heißen
Sommermonaten ohne Wasser dastehen läßt; wir hatten keine
Ahnung, daß die IDF (die israelischen
Verteidungsstreitkräfte) die Eingänge zu den Dörfern
blockiert, sie blockiert auch den Zugang zu Quellen oder Wassertanks.
Aber es kann nicht sein, daß ihr die eisernen Tore entlang der
Straße 344 im Westjordanland nicht seht, die den Zugang von den
palästinensischen Dörfern zu ihr blockiert, an denen sie
vorbeigeht. Es kann nicht sein, daß ihr es unterstützt,
daß Tausende Bauern am Zugang zu ihren Feldern und Plantagen
gehindert werden, daß ihr die Quarantäne von Gaza, die die
Einfuhr von Medikamenten für die Krankenhäuser verhindert,
unterstützt, die Unterbrechung der Elektrizitäts- und
Wasserversorgung für 1,4 Millionen Menschen, die Sperrung des
einzigen Ausgangs zur Welt für Monate.
Kann es sein, daß ihr nicht wißt, was 15 Minuten von euren
Fakultäten und Büros passiert? Ist es glaubhaft, daß
ihr ein System unterstützt, in welchem hebräische Soldaten an
Kontrollpunkten im Herzen des Westjordanlandes Zehntausende von Leuten
jeden Tag unter der brennenden Sonne beim Aussortieren stundenlang
warten lassen: Einwohner von Nablus und Tul Karm dürfen nicht
durch, 35 Jährige und jünger - yallah, zurück nach
Jenin, Einwohner des Dorfes Salem dürfen sogar gar nicht hier
sein; eine kranke Frau, die sich an der Schlange vorbei
vordrängelte, muß eine Lektion lernen und wird absichtlich
stundenlang festgehalten. Machsom Watchs Internetpräsenz ist allen
zugänglich. Dort gibt es unzählige solche Zeugenaussagen und
schlimmer noch, die tägliche Routine. Aber es kann nicht sein,
daß diejenigen, die über jedes Hakenkreuz, das auf ein
jüdisches Grab in Frankreich gemalt wird und über jede
antisemitische Überschrift in einer spanischen Lokalzeitung
entsetzt sind, nicht wissen wie sie an diese Information kommen
können und nicht darüber entsetzt und empört sind.
Als Juden erfreuen wir uns des Privilegs, das Israel uns gibt; es macht
uns alle zu Kolloborateueren. Die Frage ist, was macht jeder von uns in
einer direkten und täglichen Art und Weise, um die Zusammenarbeit
mit dem enteignenden und unterdrückenden Regime zu minimieren, das
unersättlich ist. Das Unterzeichnen einer Petition und Verachtung
reichen nicht aus. Israel ist eine Demokratie für seine Juden. Wir
sind nicht in Lebensgefahr, wir sind nicht in Konzentrationslagern
inhaftiert, unser Lebensunterhalt wird nicht beschädigt sein und
eine Erholung auf dem Land oder im Ausland ist uns nicht versperrt.
Deshalb ist die Last der Kollaboration und der direkten
Verantwortung unermeßlich schwer.