Redebeitrag von Ernst Antoni (VVN/BdA)

Redebeitrag von Ernst Antoni (VVN/BdA)

Redebeitrag am Ort der Auftaktkundgebung am Mahnmal für die Opfer des Oktoberfestattentats an der Theresienwiese am 7.4.2012 in München

Ernst Antoni beim Auftakt zum Ostermarsch 2012

Liebe Anwesende, liebe Freundinnen und Freunde,

danke an das Münchner Friedensbündnis und an Sie und Euch alle, dass die Auftaktveranstaltung zum Ostermarsch 2012 heute an hier stattfindet. „Mit dem Ort der Auftaktkundgebung am Mahnmal für die Opfer des Oktoberfestattentats an der Theresienwiese erinnert das Münchner Friedensbündnis angesichts der Nazi-Verbrechen, die das Land erschüttern, an die nach wie vor aktuelle Forderung ‚Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg’“, heißt es in der aktuellen Presseerklärung zu dieser Veranstaltung.

Ja – diese Forderung ist nach wie vor aktuell und sie sollte wieder öfter in dieser Verbindung bedacht und artikuliert werden. Resultierten aus der Forderung „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ doch in den ersten Jahren nach 1945 Zielvorstellungen für die Zukunft einer Welt des Friedens, der Freiheit und übrigens auch der sozialen Gerechtigkeit, die damals Eingang fanden in die Diskussionen und schließlich auch in die Formulierungen von Länderverfassungen und dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Sie hatten aber auch international, als Resultat des Sieges der Alliierten und der Kräfte des Widerstandes in den von den Deutschen okkupierten Ländern über den Hitlerfaschismus und dem Blick auf die Opfer, die dieser massenmörderische und rassistische Faschismus und der von ihm vom Zaun gebrochene Zweite Weltkrieg gefordert hatte, in vielen Regionen der Welt Hoffnungen auf einen Neubeginn geweckt. Einen Neubeginn, der anders sein sollte als das bisher Erlebte und Erlittene.

Wer sich die Mühe macht, sich einmal die 30 Artikel der am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der UNO, der Vereinten Nationen, verabschiedeten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ genauer anzusehen, wird merken, wie viel – auch wenn die Forderung nicht explizit so in diesen Artikeln steht – da noch mitschwingt von diesem „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“

Es ist unter anderem auch deshalb wichtig, sich solche Dokumente ab und zu in ihrer Vollständigkeit vor Augen zu führen, weil ja inzwischen fast jede Kriegshandlung, an der sich die großen westlichen Länder, meist unter heftiger Beteiligung der Bundesrepublik, heute engagieren mit Bezügen auf die Verletzung eben jener Menschenrechte erklärt und gerechtfertigt werden. Allerdings mit einem sehr selektiven Blick darauf, wer gerade die jeweiligen Menschenrechtsverletzter sein sollen und mit wem man sich – den Menschenrechten zuliebe – von Fall zu Fall verbündet.

Ich komme auf das „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ noch einmal zurück, liebe Freundinnen und Freunde. Angesichts dieses Ortes und der damit verbundenen Thematik möchte ich hier aber doch noch auf einige weitere Forderungen eingehen, die vielleicht für die eine oder den anderen mit dem Friedensthema, das uns wie immer beim Ostermarsch besonders bewegt, nur mittelbar zu tun haben. Forderungen aber sind dies, an deren Durchsetzung wir aus – ja, ich behaupte: aus Überlebensgründen – alle miteinander weiterhin intensiv arbeiten sollten.

Wir stehen hier ja vor einem historischen Mahnmal. Das Denkmal als solches ist in dieser Form zwar noch nicht so alt, es hat erst vor kürzerer Zeit eine Dimension und eine Ausdruckform bekommen, die dem Anlass, an den es erinnert, einigermaßen gerecht wird. Der Anlass für die Errichtung und für die nach langem Druck inzwischen auch erfolgte Neugestaltung des Mahnmals war der größte von Neofaschisten verübte Terroranschlag in der alten Bundesrepublik Deutschland. Das ist eine Tatsache, die bis heute qua Einzeltäter-Theorie von Justiz- und bayerischen Staatsstellen in deren öffentlichen Äußerungen diskret weiträumig umfahren wird.

Am 26. September 1980, vor bald 32 Jahren also, war an einem Oktoberfestabend hier am Wiesneingang eine Bombe gezündet worden, die 13 Todesopfer und über 200 Verletzte forderte. Zwar stellte sich – nachdem Vertreter des bayerischen Staates in ersten öffentlichen Erklärungen noch versucht hatten, das Attentat linken Terroristen zuzuordnen –, schnell heraus, dass der beim Anschlag selbst mit ums Leben gekommene Bombenleger Gundolf Köhler Verbindungen zur neofaschistischen Wehrsportgruppe Hoffmann hatte. Aber es dauerte nicht lange, bis Ermittlungsbehörden, Justiz und damals regierende Politik sich darüber einig waren, dass es sich bei dem Mann um einen psychisch gestörten Einzeltäter gehandelt habe. Irgendwie rechtsextrem schon – aber ganz allein unterwegs beim Massenmord.

Als wir im vergangenen Herbst hier an dieser Stelle die alljährliche Gedenkveranstaltung für die Opfer des Bombenanschlags abhielten, als am Abend dieses 26. September dann in den Räumen des Bayerischen Landtags auf Einladung der Abgeordneten Florian Ritter von der SPD und Sepp Dürr von den Grünen eine Podiumsdiskussion zum Thema „Oktoberfestattentat – Ermittlungen wieder aufnehmen, Rechtsextremismus bekämpfen“ stattfand – wer hätte da gedacht, dass keine zwei Monate später publik werden würde, dass ein neofaschistischer Terroristentrupp über ein paar Jahre hinweg zehn Morde verüben konnte – unter den Augen von Überwachungsbehörden und dem Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz, dessen V-Leute-System angeblich für die Erkenntnisgewinnung in solchen Szenen unerlässlich ist.

Bei der Veranstaltung am 26.September letzten Jahres staunten viele der Anwesenden noch über den seltsamen Umgang mit Akten und die Vernichtung von Asservaten – von den berühmten Zigarettenkippen bis hin zu menschlichen Gliedmaßen – durch die Ermittlungsbehörden, die mit der Aufarbeitung des Oktoberfestanschlags befasst waren. Noch viel mehr gestaunt werden durfte dann kurz darauf über seltsame Kontinuitäten, die bei der Aufarbeitung ultrarechten Terrors und dessen Vorbereitung bis heute das Handeln zuständiger Behörden zu prägen scheinen.

Im Lichte der Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds, wie sich die Täter in ihren Bekennervideos nannten, im Lichte dieser Mordtaten, sollten auch die Scheinwerfer, die ja – dank der Unermüdlichkeit einiger seit über 30 Jahren Engagierter –immer noch auf die Hintergründe des Oktoberfestattentats gerichtet werden müssen, ergänzt und verstärkt werden. Und neue Scheinwerfer müssen dringend aufgestellt werden für die mehr als notwendige Ausleuchtung jener neofaschistischen Szenen gerade in Bayern in deren Umfeld ein gewichtiger Teil der NSU-Morde verübt wurde.

Szenen sind dies, die seit dem Öffentlichwerden der neofaschistischen Mordserie keineswegs untergetaucht oder verschwunden sind. Frecher und offensiver denn je begeben sie sich beinahe jede Woche mit Aufmärschen und anderen Provokationen an die Öffentlichkeit. Fast immer erweist sich hier die Hoffnung auf Hilfe von Polizei und Justiz als vergebens. Im Gegenteil: Wer sich den Nazis entgegenstellt, läuft Gefahr, kriminalisiert zu werden.

Und der Verfassungsschutz, dieses seltsame Geheimdienstgremium, das sich gerade im Verhindern der Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds als so beschämend nutz- und wirkungslos erwiesen hat, dieser Geheimdienst lässt nach wie vor nichts unversucht, anstelle der Nazis diejenigen zu diskreditieren und diskriminieren, die sich diesen entgegen stellen.

Auch im vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellten Bericht dieser Behörde für das Jahr 2011 sind im „Linksextremismus“-Teil beispielsweise wieder das antifaschistische Dokumentationsarchiv A.I.D.A. aufgeführt – also jener wichtige Verein, der bei der Beobachtung und Einschätzung neofaschistischer Szenen und Umtriebe und deren Veröffentlichung genau jene Arbeit macht, zu der man beim Verfassungsschutz wohl weder in der Lage noch willens ist. Und ebenso wieder aufgeführt ist meine Organisation, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten, die VVN-BdA.

Zwar hat man im neuesten Bericht auf die Geschmacklosigkeit verzichtet, den KZ-Überlebenden Ernst Grube explizit namentlich zu nennen – was sicherlich auch auf die breiten Proteste, die Unterstützung und die Solidarität aus unterschiedlichsten politischen und weltanschaulichen Bereichen zurückzuführen ist, die Ernst Grube nach dem letzten Verfassungsschutzbericht zuteil wurde und für die ich hier auch im Namen der VVN und ihres Landessprechers Grube ganz herzlich danken will.

Nicht verzichtet aber hat man auf eine Reihe der weiteren üblichen Unterstellungen, mit denen das bayerische Innenministerium und der Verfassungsschutz die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes nach wie vor zu diskreditieren versuchen. Ich will hier aus Zeitgründen auf all die wunderlichen Geheimdienstkonstrukte gar nicht näher eingehen. Wir gehen dagegen unter anderem ja auch juristisch vor, wohl wissend, dass es da eines langen Atems und immer wieder auch der Unterstützung von Freundinnen und Freunden bedarf.

Nur eines sei vielleicht dazu noch erwähnt, schließlich sind wir ja heute beim Ostermarsch: Es hat schon Jahre gegeben, da ist dem Verfassungsschutz in Bayern, die VVN-BdA betreffend, überhaupt nicht mehr eingefallen. Und dann haben sie halt hineingeschrieben in ihren Bericht: „Auch im Berichtsjahr beteiligte sich die Organisation am Ostermarsch...“

Aber wieder ernsthaft: Ich habe ja von Forderungen gesprochen, die neben dem ewig gültigen „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ einer breiteren Unterstützung bedürfen.

- Eine dieser Forderungen ist es, auch nach über 30 Jahren nicht nachzulassen im Bemühen, dass die Ermittlungen zu den Hintergründen des Oktoberfestattentats wieder aufgenommen werden.
- Eine weitere heißt, die Behörden zu drängen endlich offen zu legen, wo überall und wann es Verbindungen gegeben hat zwischen dem, was jetzt schon wieder fast verharmlosend „Zwickauer Terrortrio“ genannt wird und den militanten Neonaziszenen und – auf den ersten Blick vielleicht weniger militanten – NPD-Zusammenhängen in Bayern. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass ein Gros der Morde hier in diesem Bundesland verübt wurde.
- Eine andere Forderung, die von der VVN-BdA über ihre Kampagne „nonpd – NPD-Verbot jetzt“ seit Jahren öffentlich gemacht wurde (und die damals schon im ersten Durchgang mit 175 000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern ein beachtliches Echo gefunden hatte) scheint ja in letzter Zeit auch bei den Innenministern vorangekommen zu sein. Ich bitte euch dennoch dringend, unsere Kampagne weiterhin zu unterstützen und warne vor zwei Illusionen:
Die eine Illusion ist die, dass die Innenminister das jetzt schon richtig machen würden. Sie haben nun zwar erklärt, einige ihrer V-Leute „abschalten“ zu wollen, damit einem ordentlichen Verfahren nichts mehr im Wege stehe. Meine Meinung dazu, liebe Freundinnen und Freunde, ist nach wie vor: Ohne weiteren intensiven Druck durch die demokratische Öffentlichkeit werden sie sich auch künftig jedes Schlupfloch suchen, das sie aus der für sie unangenehmen Sache wieder raus bringt.
Das ist das eine.
Es gibt aber auch noch eine andere Illusion – und die ist gerade bei manchen Linken gerne vorhanden. Diese Illusion heißt: Ein NPD-Verbot ist sowieso zu nichts nütze und wenn der Staat sich nun dazu durchringt, dann beweist das doch gerade, dass es niemand wehtut. Und die braunen Untergrund-Strukturen wird es dann erst recht geben. Vom Faschismus aus der Mitte der Gesellschaft ganz zu schweigen…
Dazu Folgendes: Niemand in dieser VVN-BdA, für die ich heute hier sprechen darf, liebe Freundinnen und Freunde, hatte oder hat die Illusion, dass sich der Faschismus erledigt haben wird, wenn seine wichtigste Partei schließlich auf dem Rechtsweg scheitert. Dies zu meinen wäre doch wirklich naiv. Gerade wir, die ehemaligen NS-Verfolgten, deren Nachkommen und die jungen Antifaschistinnen und Antifaschisten, die sich uns angeschlossen haben, wissen doch, wo überall „der alltägliche Faschismus“ (so hieß einmal ein guter antifaschistischer Film) aufscheint.
Und wir wissen auch, dass die NPD in diesen Szenen nur ein Bestandteil ist – allerdings ein gewichtiger. Aber auch das wissen wir: So lange diese NPD als legale Partei auftreten und zu Wahlen kandidieren kann, ist sie eine permanente Geldquelle für alle Nazis. Solch eine Quelle am weiteren Sprudeln zu hindern, allein das wäre doch schon ein großer Schritt vorwärts.

So viel noch einmal zu einigen aktuellen Forderungen, die sich mit diesem Ort unserer Auftaktkundgebung verbinden.

Bevor wir uns nun in Richtung Sendlinger Torplatz auf unseren Demonstrationsweg machen, noch eine kleine Anmerkung zur Forderung „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, die ja einst dem gemeinsam geleisteten Schwur der befreiten Gefangenen aus aller Welt im Konzentrationslager Buchenwald entnommen wurde. Gedacht als ein Motto für zukünftiges Engagement rund um den Erdball.

Dieses Postulat war lange Zeit, zumindest in Kreisen, die sich als antifaschistisch und demokratisch verstanden, unumstritten. Ein Konsens, der interessanterweise – längst hatte es seither die Jahre des Kalten Krieges gegeben, die Systemauseinandersetzung zwischen einstigen Alliierten aus Ost und West, die immer wieder einmal am Rande eines großen, diesmal nuklear geführten, Krieges entlang balancierte – ein Konsens, der als Hoffnung, als Utopie, dennoch über Jahrzehnte Bestand hatte.

Aufgeweicht wurde dieser Konsens nach 1990. Die alte Ost-West-Systemauseinandersetzung fand ihre Ablösung durch neue Konflikte und neue Aufteilungen von Einflussbereichen. Und plötzlich kamen Argumente, auch aus politischen Umfeldern, wo man sie vorher so nicht erwartet hätte – von einem grünen Außenminister dieser Bundesrepublik etwa – dass in bestimmten Fällen militärisches Engagement, Militäreinsätze, doch auch deshalb notwendig seien, weil auf diese Weise „ein neues Auschwitz“ verhindert werden könne. Joseph Fischer hieß damals dieser Außenminister und er versuchte, mit der Auschwitz-Metapher gegen das doch noch weit verbreitete Misstrauen gegen neue deutsche Kriegseinsätze anzugehen.

Ich will jetzt nicht mehr groß ausgreifen, weil es Zeit wird, Richtung Sendlinger Torplatz zu ziehen. Ich habe das Beispiel nur noch gebracht, weil es mir wichtig scheint, wenn es darum geht, das Nachdenken über historische Bezüge anzuregen. Und auch das Nachdenken über Gegenwärtiges. Wir werden dazu ja im weiteren Verlauf unserer Ostermarsch-Kundgebung noch einiges hören.

Über ganz konkrete Interessen, die mit Kriegen, Militäreinsätzen, Rüstungsexporten verbunden sind und über die Rolle, die in diesem Gefüge die Bundesrepublik Deutschland spielt. Die Rolle, die sie derzeit spielt – und die eine oder andere Rolle die sie vielleicht zukünftig noch gerne spielen würde. Da ist es nie falsch, sich des Vergangenen zu erinnern und ans einstige große „Nie wieder!“ anzuknüpfen.

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