Redebeitrag von Conrad Schuhler (isw München)
(Der Beitrag ist auch beim isw selbst zu finden und bei der Friedenskooperative).
Heute vor 65 Jahren hat Nazi-Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen. Er hat mehr als 50 Millionen Menschen das Leben gekostet. Allein 20 Millionen davon waren Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion. 6 Millionen Juden wurden in einem zynisch "Endlösung" genannten Vernichtungsprogramm umgebracht. Der Völkermord, der barbarische Zweite Weltkrieg sind eine Schande für die deutsche Geschichte und für die Deutschen.
Was haben wir heute damit noch zu schaffen? Leider sehr viel. Wir sind fürwahr die Erben dieser schändlichen Geschichte. Unser Staat, die Bundesrepublik Deutschland, wurde im wesentlichen von der Elite geprägt, die schon den Nazi-Staat trug.
Dies gilt für Schulen und Universitäten, für Bundeswehr und Geheimdienste, für Wirtschaft und Medien, für die Politik auf allen Ebenen. Globke, der offizielle Kommentator der NS-Rassengesetze, wurde Staatssekretär im Amt des ersten Bundeskanzlers Adenauer. Kiesinger, höherer Beamter im Propagandaministerium des Dr. Goebbels, wurde selbst Bundeskanzler. Filbinger, der als Marinerichter noch in den letzten Wochen des Krieges Deserteure zum Tode verurteilte, wurde Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Die Wehrmachts-Generale Heusinger und Speidel wurden die Architekten der neuen Bundeswehr. Henri Nannen, Offizier und Texter in vielen Nazi-Propagandakompanien, wurde als Stern-Herausgeber zu einem der einflussreichsten Journalisten Deutschlands. Sein Kollege aus den Propagandakompanien der Nazis, Werner Höfer, wurde zur Nr. 1 der ARD-Journalisten. Nannen war übrigens das, was man im heutigen Sprachgebrauch Informeller Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes nennen würde, der wiederum gegründet und geleitet wurde von General Gehlen, der unter den Nazis den Agentendienst Fremde Heere Ost geleitet hatte.
Wie in der Politik und den Medien, so auch in der Wirtschaft. Flick, der unter den Nazis durch Rüstungsaufträge zum reichsten Deutschen wurde, war in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt wurden - und brachte es auch in der neuen Bundesrepublik wieder zum reichsten Mann, und auch diesmal brachte ihm die Hochrüstung wieder die größten Profite. Die größten Produktionsunternehmen in unserer Stadt, Siemens und BMW, hatten die Nazis schon vor der sog. Machtergreifung 1933 unterstützt, und sie konnten im Tausendjährigen Reich ihr Betriebsvermögen durch Rüstung und Sklavenarbeit von Zwangsarbeitern vervielfachen. Heute sind sie wieder die reichsten Produktionsunternehmen unserer Stadt und wieder sind es die selben Familien, die den Profit einstreichen.
Das Dritte Reich ging - aber die Reichen blieben und mit ihnen ihre Handlanger in Medien, Erziehung und Politik. Und wenn man sich die heutige Politik und Militärstrategie der deutschen Regierung anschaut, dann meint man, die Deutschen hätten aus ihrer grässlichen Geschichte kaum etwas gelernt, auf jeden Fall nicht die richtigen Lehren gezogen. Deutschlands Griff nach der Weltmacht, wie konservative Historiker dies genannt haben, hat bereits zweimal die ganze Welt ins Unheil gestürzt. Doch unverhohlen strebt heute Deutschland wieder den Rang einer Weltmacht an, diesmal im Mantel der Europäischen Union.
Vor wenigen Tagen erst haben die EU-Regierungen ein Zusatzprotokoll zur EU-Verfassung beschlossen, das die sogenannte "ständige strukturierte Zusammenarbeit" in der gemeinsamen Militärpolitik festlegt. Im Kern geht es um die Aufstellung von Kampftruppen für EU-Militäraktionen im globalen Maßstab. Schon vorher hatte die deutsche Regierung in ihren "Sicherheitspolitischen Richtlinien" sich den beschleunigten Ausbau der Bundeswehr zur globalen Interventionsarmee zum Ziel gesetzt, und Deutschland stellt auch das größte Kontingent in der EU-Eingreiftruppe. Die Sicherheit Deutschlands, hat Verteidigungsminister Struck zur Rechtfertigung des Einsatzes in Afghanistan erklärt, werde auch am Hindukusch verteidigt. Und natürlich auch am Horn von Afrika, gegebenenfalls im Irak oder Iran, sicherlich auch am Kaspischen Meer oder auf dem Balkan. Wieder einmal rüstet sich Deutschland, seine Interessen mit Militärgewalt in aller Welt durchzusetzen - ohne jede Rücksicht auf unsere Verfassung, die bekanntlich vorschreibt, dass die Bundeswehr nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden darf.
Die Übereinstimmung mit der unheilvollen Tradition deutschen Großmachtstreben ist offenkundig und sie ist fatal. Daran kann auch nichts ändern, dass sich die allgemeine Zielsetzung der Großmachtpolitik geändert. Denn heute geht es nicht in erster Linie um Aufrüstung und aggressive Militärpolitik, um andere Großmächte wie die USA anzugreifen. Sondern es geht darum, in der Ausbeuter-Allianz der kapitalistischen Großmächte gegenüber dem Rest der Welt eine möglichst große Rolle zu spielen.
Die Produktionsweise des globalen Kapitalismus beruht zum wesentlichen Teil auf der Nutzung fossiler Energieträger, vor allem auf Erdöl und Erdgas, die mehr als zwei Drittel des Primärenergiebedarfs befriedigen. Diese Öl- und Gasabhängigkeit ist die wesentliche Grundlage eines aggressiven Ressourcenimperialismus. Die drei kapitalistischen Metropolen - USA,/Kanada, EU und Japan - verbrauchen bei einem Anteil von 13% an der Weltbevölkerung mehr als Hälfte der Weltförderung an Öl und Gas. Alle drei Metropolen zusammen verfügen aber nur über knapp 5% der Öl- und Gasreserven. Sie sehen sich also auf die Ressourcen in anderen Regionen der Welt angewiesen. Ihre Konsequenz besteht darin, die Zugänge zu diesen Ressourcen militärisch zu sichern.
Wir haben vom ersten Tag an darauf hingewiesen, dass die Überfalle auf Afghanistan und Irak Kriege ums Öl sind und nichts zu tun haben mit der Ausbreitung der Demokratie und auch nichts mit der Liquidierung von Terror und Massenvernichtungswaffen. Der "Krieg gegen den Terror" ist in Wahrheit ein Krieg um die Ressource Erdöl. Und da die Ressourcenabhängigkeit der kapitalistischen Metropolen bei der jetzigen Produktionsweise erhalten bleibt, wird auch dieser "Krieg gegen den Terror" solange andauern, wie der globale Kapitalismus nach seinen Bedürfnissen regieren kann.
Dies hat erhebliche Konsequenzen für eine Friedensbewegung, die wirklich effektiv sein will. Denn erstens genügt es nicht, beim Eintritt oder kurz vom dem Eintreten militärischer Überfälle zusammen zu kommen und zu demonstrieren. Der "Krieg gegen den Terror" ist, wie Bush selbst zu sagen pflegt, ein ständiges und lang andauerndes Unternehmen. Eben deshalb darf die Friedensbewegung nicht nur zu den jeweiligen Katastrophenterminen auftreten, um anschließend wieder auseinander zu laufen. Sie muss selbst zu einer permanenten Anstrengung werden, die das Prinzip dieser globalen Aggressionspolitik angreifen muss.
Und zu diesem Prinzip gehört als Grundlage die Produktionsweise des globalen Kapitalismus selbst. Solange es akzeptiert oder hingenommen wird, dass der Globus, seine natürlichen Ressourcen und seine Menschen nach dem Kriterium des Höchstprofits für das globale Kapital ausgebeutet werden, solange werden Krieg und globale Interventionen im Zentrum der Weltpolitik stehen. Die Friedensbewegung muss erkennen, dass ihre Forderung nach dem Grundrecht auf Frieden und Gewaltfreiheit einen gesellschaftspolitischen Kern enthält - Krieg und permanente Kriegsdrohung ist der Ausfluss des Interesses des großen Kapitals an globaler Ausbeutung.
Für den Frieden eintreten, heißt demnach, daran mitzuwirken, die Macht des globalen Kapitals zu überwinden. Die Friedensbewegung ist deshalb natürlicher Teil des sich in diesen Monaten formierenden Blocks gegen die Vorherrschaft des Neoliberalismus.