Am 9. Mai hat die Bundesanwaltschaft mit ca. 1000 Polizisten in sechs Bundesländern - Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Berlin und Niedersachsen - 40 linke Projekte, Wohnungen und Arbeitsplätze durchsuchen lassen. Sie beschlagnahmten Computer, Akten, Drucker, Festplatten und legten in Berlin den Computerserver SO36 still, über den zahlreiche Websites linker Gruppen in das Internet gestellt werden.
Die rechtliche Basis dafür bildeten zwei Durchsuchungsbeschlüsse des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof: Zum einen der Vorwurf der Gründung einer terroristischen Vereinigung nach §129a, um den Ablauf des G8-Gipfels in Heiligendamm mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen zu stören. - Dieser Durchsuchungsbeschluss benennt namentlich 18 Verdächtige.
Zum anderen zur Verfolgung der "Militanten Gruppe", welche in den vergangenen Jahren die Verantwortung für verschiedene Anschläge übernommen hatte. Diese Durchsuchungen bezogen sich auf ein bereits seit 2001 laufendes 129 a-Verfahren gegen drei Personen, die zur Gruppe Libertad gehören und gegen eine unbekannte Person. - In diesem Verfahren konnten bisher keine gerichtsrelevanten Indizien ermittelt werden.
Ein nettes Zitat aus dem Durchsuchungsbeschluss gegen die "Militante Gruppe": "Erklärtes Ziel der Vereinigung ist es, durch ständige militante Aktionen die gegenwärtigen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zugunsten einer kommunistischen Weltordnung zu beseitigen."
Die politisch Veranwortlichen für diese "polizeiliche Gipfelvorbereitung" befinden sich seit heute Abend im Bayerischen Hof: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Schäuble hetzt ja bereits seit Wochen gegen die Gipfelgegner und -gegnerinnen, die Razzien sind ihm allerdings noch nicht genug an Repression.
So will er das Schengen-Abkommen außer Kraft setzen, um für unerwünschte Gäste aus der europäischen und weiteren Nachbarschaft – wir kennen Vergleichbares seit Genua – die Grenzen vorbeugend dicht zu machen. So behandelt man keine Gäste, Herr Schäuble. Schließlich hat sich die Bundesregierung mit den G8 auch den internationalen Protest eingeladen.
Den heimischen Aktivisten und Aktivistinnen droht der Bundesinnenminister mit der juristischen Keule des Unterbindungsgewahrsams. Auch sogenannte Schnellverfahren werden Teil des zu befürchtenden Repressionsszenarios sein. Seit einigen Wochen werden in der Region zudem Haftplätze für Hunderte von Demonstranten und Demonstrantinnen geschaffen.
In Niedersachsen stattete die Polizei Globalisierungsgegnern und -gegnerinnen bereits Hausbesuche ab, um sie vor einer Reise nach Heiligendamm zu warnen. "Den Leuten wird signalisiert, dass wir sie im Visier haben", so ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums.
Am 16. Mai erließ die Polizeidirektion Rostock außerdem eine sogenannte Allgemeinverfügung, die im Bereich um Heiligendamm und Rostock-Laage alle Demonstrationen und ähnliche Aktivitäten verbietet.
Nach Angaben des Anwalts Kliesing, auf der Pressekonferenz der Campinski- und Gipfelsoli-Pressegruppen, hat der Verfassungsschutz bereits im Januar 2006 Informationen an die Bundesanwaltschaft gegeben mit dem Ziel, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte. Dabei ging es nicht um umfassende, sondern gezielte Informationen über bestimmte Personen. Das Ziel in solchen Fällen sei, neben verdeckten Informationen auch strafprozessuale Methoden nutzen zu können. Ziele der Verfahren seien u.a., Informationen über Finanzierung und Strukturen bestimmter Organisationen zu bekommen, aber auch Bekennerschreiben bzw. Entwürfe von Bekennerschreiben zu finden, sowie Nachweise über verschlüsselte Kommunikation. Ziel sei aber genauso, die G8-Proteste zu schwächen; einerseits durch ein Klima der Angst und auch ganz praktisch, da die heute beschlagnahmten Computer sicher vor dem Gipfel nicht mehr zurückgegeben würden.
Selbst der Sprecher der Bundesanwaltschaft bestätigte diese Einschätzung indirekt: "Die heutigen Untersuchungen sollten Aufschluss bringen über die Strukturen und die personelle Zusammen-setzung von diesen Gruppierungen und dienten nicht in erster Linie zur Verhinderung von konkreten Anschlägen, dafür gab es keine Anhaltspunkte. - Wir haben in den Busch geschossen, nun sehen wir weiter, was und wer sich dort bewegt".
Ermittlungen auf Basis des Paragraphen 129a werden seit Jahrzehnten von den Sicherheitsbehörden erfahrungsgemäß vorwiegend dazu benutzt, Einblick in linke Strukturen zu bekommen. Nur zwei Prozent aller eingeleiteten Verfahren endeten bisher mit einer Verurteilung. Ausgestattet mit den weitreichenden Befugnissen, die das Instrumentarium des §129a bietet, können immer wieder Observationen, Verhöre, Lauschangriffe, Durchsuchungen u.a. polizeiliche Schikanen begründet werden. - So wurde drei Tage nach der Grossrazzia durch BKA und Bundesanwaltschaft, am Auto eines der Berliner Beschuldigten, ein GPS-Peilsender des BKA entdeckt. Außerdem muss eigentlich für einen Durchsuchungsbefehl ein Anfangsverdacht bestehen. Bei den bisher bekannten Fällen der jetzigen Razzien handelt es sich allerdings hauptsächlich um Vermutungen. Die reichen eigentlich für die Genehmigung einer Hausdurchsuchung nicht aus. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass es keine Haftbefehle und keine Festnahmen gegeben hat, nicht einmal bei allen "Beschuldigten" wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt.
Wir haben hier in München ja auch unsere Erfahrungen mit den staatlichen Ermittlungsbehörden. Beispielsweise wurden im Vorfeld der diesjährigen "NATO-Sicherheitskonferenz" wieder einmal diverse Wohnungen und linke Projekte durchsucht, Rechner und schriftliche Unterlagen beschlagnahmt und zudem einige AktivistInnen einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen. - Dieses Mal im Zusammenhang mit der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heilgendamm!
Es ging im Januar in München und geht jetzt bundesweit darum, Strukturen der Linken aufzuklären, Informationen über geplante Proteste zu bekommen, die Kommunikation der Linken untereinander zu stören und Gipfelgegner und -gegnerinnen - vor allem junge - einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Solche polizeilichen Versuche waren allerdings zu erwarten, denn natürlich ist die Protestbewegung schon jetzt viel mehr als eine leicht zu duldende Stimme kritischer Einwände. Die Anmaßung der Chefs der G8-Staaten, über das Geschick der Welt entscheiden zu können, wird ebenso grundsätzlich in Frage gestellt wie der globalisierte Kapitalismus.
Bereits die Repression im Vorfeld des G8-Gipfels verdeutlicht, dass die, nach dem 11.9., verschärften Maßnahmen zur "Inneren Sicherheit" so viel Auslegungsspielraum zulassen was Terrorismus denn sei, dass eine Aktion zivilen Ungehorsams, kurz: alles, was Protest gegen eine herrschende Politik beinhaltet, bereits als terroristisch ausgelegt und damit unter Strafe oder staatliche Kontrolle gestellt werden kann. So hat der Staat die Möglichkeit, jeden sozialen Kampf zu kriminalisieren oder gar als terroristisch zu betrachten.
In zahlreichen Presseerklärungen verurteilten u. a. der Bundesausschuss Friedensratschlag, MdEP Tobias Pflüger, die Fraktion DIE LINKE, das Netzwerk Friedenskooperative, die Rote Hilfe , das Bündnis für Politik- und Meinungsfreiheit, ATTAC Deutschland und sogar die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, die Durchsuchungen.
Noch am Abend des 9. Mai sowie an den Tagen nach den Durchsuchungen kam es zu zahlreichen Solidaritätsaktionen, Demonstrationen und Kundgebungen im ganzen Bundesgebiet, leider nicht hier in München. Auch außerhalb Deutschlands gingen Menschen in Solidarität mit den Betroffenen auf die Straßen, wie in Amsterdam, Edinburgh, London, Nicaragua, Salzburg, Stockholm oder Wien Ihren Widerspruch gegen diese Repression machten allein am Abend der Razzien bundesweit um die zehntausend Menschen deutlich.
Unter dem Motto "Jetzt erst recht – Repression und Kriminalisierung des Protestes entgegentreten" fand am vergangenen Samstag auch eine Demonstration mit ca. 800 Teilnehmern und Teilnehmerinnen zur Bundesanwaltschaft in Karlsruhe statt.
Die Kritik an dem am 16. Mai verhängten Demonstrationsverbot um Heiligendamm und den Flugplatz Rostock-Laage reicht bis in das bürgerliche Lager. Laut einer ARD-Umfrage waren 86,3 % der Befragten der Meinung, dass das Demonstrationsrecht damit eindeutig beschnitten würde. - Einer von vielen Belegen, dass das Ansinnen des Justizapparates, die Bewegung in "Gute" und "Böse" zu spalten gescheitert ist. Selbst der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler warnte vor zu weitgehenden Einschränkungen: "Wenn die Polizeiführung das Demonstrationsrecht so einschränkt, dass die Adressaten der Demonstration davon gar nichts mehr mitbekommen, dann wird das Demonstrationsrecht natürlich ad absurdum geführt".
Von den Razzien war auch das Gemeinschaftsbüro von Libertad!-Berlin und Antirassistischer Initiave im Berliner Bethanien betroffen und gegen drei Libertad!-Mitglieder läuft eines der Ermittlungsverfahren (wegen Gründung der "militanten gruppe"), deshalb werde ich nun abschließend einige Passagen aus der Stellungnahme von Libertad! zitieren:
Die vom Staatsschutz ausgemachte "terroristische Vereinigung nach §129a" mit dem Ziel, den G8-Gipfel zu verhindern, ist allerdings tausendfach größer. Auf sie zielen die Razzien tatsächlich. Es sind die tausenden von Aktivisten und Aktivistinnen in allen Städten, die wie Libertad! in den Mobilisierungsstrukturen engagiert sind, die auf Aktionskonferenzen und in zahlreichen Arbeitsgruppen den Gipfelprotest vorbereiten. Es sind die Tausende, die nach den Razzien in vielen Städten im In- und Ausland auf die Straße gingen, in Demonstrationen, Kundgebungen, Aktionen und Versammlungen ihre Solidarität ausdrückten und die Kriminalisierung zurückwiesen.
Zu dieser "terroristischen Vereinigung" und die von ihr erarbeiteten "Choreographie des Widerstandes" bekennen wir uns in der Tat freimütig und in aller Offenheit. Der Aktionsfahrplan steht: Wir demonstrieren am 2. Juni in Rostock mit Zehntausenden um den Antikapitalismus zu globalisieren, in Aktionstagen gehen wir gegen Bio-Patentierung, das Migrationsregime, Folter und den globalisierten Ausnahmezustand vor. Wir heißen die G8-Regierungschefs am Flughafen Rostock-Laage gebührend nicht willkommen und belagern sie in ihrer Hochsicherheitszone rund um Heiligendamm. Wir wollen, dass der Protest und Widerstand lautstark, vielfältig und handfest wird, dass wir den G8-Gipfel stören und blockieren. Es wäre schön, wenn das dieser Vereinigung zugeschriebene Ziel, "den Gipfel zu verhindern" eintreten würde.