Grusswort zum Ostermarsch am 3. April 2010 auf dem Marienplatz
Dagmar Henn (Stadträtin Die Linke, Grußwort der Stadt München)
Liebe Münchnerinnen und Münchner,
liebe Freundinnen und Freunde,
zuallererst möchte ich Euch auch dieses Jahr die Grüße des Oberbürgermeisters und der Landeshauptstadt München überbringen.
Vor fünfzig Jahren fand der erste deutsche Ostermarsch statt, und schon ein Jahr später der erste Ostermarsch in München. Ich glaube kaum, dass die Teilnehmenden des ersten Marsches sich vorstellen konnten, dass Ostermärsche nach so langer Zeit immer noch nötig sind.
1960 lag die Remilitarisierung der Bundesrepublik gerade vier Jahre zurück, gegen breiten Widerstand aus der Bevölkerung. Damals trug die Stadt München noch sichtbar die Spuren des letzten Krieges, der von deutschem Boden ausgegangen war; ich erinnere mich noch an die pockennarbigen Gebäude in der Ludwigsstraße, erst zur Olympiade 1972 wurden sie verschlossen und übertüncht. 1960 führte Frankreich noch einen blutigen Kolonialkrieg in Algerien, der bald darauf mit der algerischen Unabhängigkeit endete.
Die Ostermarschbewegung wuchs mit dem Widerstand gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam (den man damals im Fernsehen mitverfolgen konnte, ein Fehler, den die Kriegsführenden leider nicht wiederholten), und wurde zum Ausgangspunkt der außerparlamentarischen Bewegungen, die seitdem das Gesicht der deutschen Demokratie verändert haben. Dieses Ergebnis sollte man an einem solchen Tag erwähnen.
Nie wieder darf von deutschem Boden ein Krieg ausgehen; diese Forderung war unbestritten und die nötige Konsequenz aus den zwei verheerenden Kriegen, in die Deutschland Europa gestürzt hatte. Noch auf den ersten Ostermärschen, an denen ich teilgenommen habe, irgendwann in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts, hätte jeder bestritten, dass eine Haltung, für deutsche Interessen irgendwo auf der Welt Militär einzusetzen, je wieder Macht gewinnen kann. Das hat sich leider in den vergangenen Jahren verändert; in einer Umfrage des sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr bei angehenden Offizieren in München und Hamburg stimmten 44% der Befragten der Aussage zu, man solle deutsche Interessen gegenüber dem Ausland hart und energisch durchsetzen.
Deutsches Interesse bedeutet hier nicht ein friedliches und gesichertes Leben für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger. Das ist zwar in den vergangenen Jahren, mit einer Politik, die zur Verarmung von Millionen führt, in immer weitere Ferne gerückt; aber die Bundeswehr ist kein Mittel, daran etwas zu ändern. Nein, die Schiffe der Bundeswehr, die im Mittelmeer unterwegs sind, und die Terror bekämpfen sollen, sind auch in die Frontex-Strategie mit eingebunden, die Jahr für Jahr hunderte Flüchtlinge das Leben kostet, ein vielbeschwiegenes Vergehen gegen die Menschenrechte. Deutsches Interesse ist die Abschirmung der Containerschiffe vor somalischen Fischern, die keinen Fisch mehr finden, weil internationale Fangflotten ihre Gewässer leergefischt haben. Ich zitiere von der Webseite der Bundeswehr: "Deutschland hat als Exportnation an sicheren Handelswegen ein besonders großes Interesse. Als Industrienation ist es gleichzeitig auf den Import von Rohstoffen angewiesen, die zu einem großen Teil auf dem Seeweg ins Land gelangen. Darüber hinaus haben zahlreiche Kreuzfahrtveranstalter diese Route in ihren Katalogen. Mehrere Tausend deutsche Touristen fahren jährlich mit Kreuzfahrtschiffen verschiedener Flaggen durch den Golf von Aden." Deutsches Interesse ist die Absicherung afghanischer Warlords, die sich mit Drogenhandel finanzieren und in ihrem Parlament jüngst eine Amnestie für ihre Kriegsverbrechen gönnten. Deutsches Interesse sind Ölquellen im Sudan. Deutsches Interesse ist der dritte Rang unter den Rüstungsexporteuren weltweit. Es liest sich wie aus einem Geschichtsbuch über den Anfang des vergangenen Jahrhunderts.
Frieden ist nicht umsonst zu haben. Nicht ohne das Engagement vieler gegen die wenigen, die von Kriegen profitieren. Auch in München finden sich Rüstungsunternehmen. Es darf nicht allein ihre Stimme sein, die in der Stadt zu hören ist. Selbst wenn es noch einmal fünfzig Jahre dauern sollte, bis sie endlich verstummt.
"Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit", hieß eine Losung der ersten Ostermärsche, die nach wie vor gilt. Letztes Jahr hielt die kriegsführende Bundeswehr hier auf dem Marienplatz ein öffentliches Gelöbnis ab; auch viele der heutigen Ostermarschierer dürften sich an den Protesten dagegen beteiligt haben. Hier zeigt sich: der Ostermarsch ist ein nötiger Teil des politischen Gewissens dieser Stadt. Auch und gerade in den Zeiten, in denen es nicht Zehntausende sind, die hier auf diesem Platz protestieren.
Noch eine persönliche Bemerkung: seit Neuestem ist es auch im deutschen Interesse, dass Menschen in Griechenland später in Rente gehen. Die BILD-Zeitung titelte: "Machen die Griechen unseren Euro kaputt". Der nationalistische Tonfall in der Berichterstattung hat mich entsetzt, gerade vor dem Hintergrund dessen, was Deutschland in Griechenland einmal angerichtet hat. Der französische Präsident Sarkozy hat nach den Verhandlungen zu Griechenland mit Merkel über die Deutschen geäußert: "Sie haben sich nicht geändert". Wenn wirtschaftliche Interessen einmal als Grund für militärisches Handeln akzeptiert werden, fürchte ich, ist auch die Grundlage des Friedens mitten in Europa bedroht.
Wir alle sind auf die Erfolge der Friedensbewegung angewiesen. In diesem Sinne danke ich Euch für Euer Engagement.
- Es gilt das gesprochene Wort! -