Grußwort am Ort der Auftaktkundgebung am Mahnmal für die Opfer des Oktoberfestattentats an der Theresienwiese am 30.3.2013 in München
Liebe Münchnerinnen und Münchner,
liebe friedensuchende Teilnehmerinnen und Teilnehmer am heutigen Ostermarsch,
ich freue mich, Ihnen und Euch heute in Vertretung der Stadt München die Grüße des Oberbürgermeisters überbringen zu dürfen.
Mit dem Ort der Auftaktkundgebung, dem Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer des Oktoberfestattentates, erinnern Sie an eine schwärende Wunde in der Geschichte der Stadt. Bei dem damaligen Attentat starben 13 Menschen, 211 wurden zum Teil schwer verletzt. Viele engagierte Bürgerinnen und Bürger gehen weiterhin davon aus, dass es sich bei dem Täter 1980 eben nicht um einen Einzeltäter handelte, sondern dass das neonazistische Umfeld der Tat bewusst ausgeblendet wurde. Die Forderung nach neuen Ermittlungen in diesem Fall, die auch vom Münchner Stadtrat im November 2011 unterstützt wurde, scheiterte bisher auch daran, dass bereits 1997 501 Asservate vernichtet wurden. Dies widerspricht der üblichen Praxis in nicht abschließend geklärten Mordfällen, denn Mord verjährt nicht!
Besonders erschreckend ist, dass dieses Wegschauen offenbar Methode hat, wenn sich der Blick nach rechts wenden müsste. Nur so kann ich es mir erklären, dass die im Rückblick klar ersichtlichen Zusammenhänge der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds so lange unentdeckt blieben. Angesichts des Versagens sämtlicher staatlicher Stellen, die für die Sicherheit der Menschen sorgen sollen, die in Deutschland, in München leben, überkommt viele das blanke Entsetzen. Und noch unerträglicher ist, dass die Angehörigen der Mordopfer durch die rassistischen Vorurteile von Polizei und Öffentlichkeit jahrelang als Täter behandelt wurden und so die Existenz weiterer Menschen zerstört wurde. Eine Wiedergutmachung wird sicherlich schwierig, falls sie überhaupt gelingen kann. Unerlässlich ist, dass in dem bevorstehenden Prozess und auch in den zahlreichen Untersuchungsausschüssen allen Spuren nachgegangen wird. Auch denen, die in Richtung Staats- und Verfassungsschutz zielen. Ohne vollständige Aufklärung können die geschlagenen Wunden nicht verheilen.
Von den insgesamt 10 Mordopfern lebten fünf Menschen in Bayern. Auch zwei Münchner fielen den rassistischen Hasstaten der Neonazis zum Opfer. Zur Erinnerung an Habil Kilic und Theodoros Boulgarides sollen Gedenktafeln aufgestellt werden, dies hat der Ältestenrat bereits beschlossen. Vor der Umsetzung sollen die Einzelheiten aber mit den Angehörigen besprochen werden, so dass ich über die konkrete Ausgestaltung noch nichts sagen kann. Die Gedenktafeln sollen verhindern, dass die Ermordeten vergessen werden. Und sie mahnen uns Alle, die ganze Münchner Stadtgesellschaft, wachsamer zu sein gegenüber Rassismus, Neonazismus und allen Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Liebe Freunde, liebe Ostermarschierer, soweit das Grußwort im Namen der Stadt.
Ich möchte jedoch noch einige eigene Überlegungen anfügen. Es gibt zwei Aspekte an der jahrelangen neonazistischen Mordserie, die mich besonders erschrecken.
Zunächst einmal die offensichtliche Verstrickung zahlreicher Verfassungsschutzämter und Ermittlungsbehörden. Natürlich spielen weit verbreitete rassistische Vorurteile dabei eine Rolle, dass bei Taten gegen „Ausländer“ sofort an „Ausländerkriminalität“ und „Mafia“ gedacht und entsprechend ermittelt wird. Aber reicht das als Erklärung aus? Ich denke nicht.
Insbesondere die Rolle der verschiedenen Verfassungsschutzämter muss dringend aufgeklärt werden. Ich gehe davon aus, dass ohne die finanzielle und logistische Unterstützung durch die zahlreichen V-Leute in ihrem Umfeld die Täter niemals so lange hätten morden können. Auch nach dem gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD habe ich mich gefragt, von wem die größere Gefahr ausgeht: von der NPD oder von den Verfassungsschutzämtern, die tief verstrickt waren in Finanzierung und Führung dieser Neonazi-Partei.
Der Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung, sondern er ist ein Werkzeug im politischen Kampf gegen fortschrittliche Entwicklungsperspektiven. Dafür wurde er im Kalten Krieg gegründet, und davon ist er bis heute nicht losgekommen. Das zeigt sich eindeutig, wenn rechtsterroristische Entwicklungen systematisch ignoriert und entsprechende Ermittlungsbemühungen behindert werden, während gleichzeitig zahlreiche Beamte damit beschäftigt sind, politische Reden der LINKEN auszuwerten, die in Parlamenten gehalten werden. Von der Bespitzelung jeglicher Aktivität von Friedensbewegung, antifaschistischen oder antirassistischen Initiativen und der als „linksradikal“ diffamierten Parteien ganz abgesehen. Dieser „Verfassungsschutz“ gehört abgeschafft. Denn statt zu schützen bedroht er Verfassung und Grund- und Menschenrechte der Bürgerinnen und Bürger.
Der zweite Punkt, der mich erschüttert, ist das völlige Versagen der kritischen Öffentlichkeit angesichts dieser Mordserie. Dabei kann ich uns leider auch nicht ausschließen. Jahrelang wurde in den Medien von „Döner-Morden“ geschrieben – und viele von uns gingen ganz selbstverständlich davon aus, dass das mit uns nichts zu tun hat. Auch die zahlreichen antifaschistischen und antirassistischen Initiativen hatten keinen Verdacht. Einzig in den betroffenen Familien und deren zugewanderten Gemeinden wurde schon früh ein rassistischer Hintergrund vermutet. Aber die Öffentlichkeit, auch die linke und kritische Öffentlichkeit hat davon nichts erfahren – oder nicht darauf reagiert.
Ich frage mich, wie kann das sein? Die Erklärung die ich finde, bedrückt mich. Rassistische Vorurteile und Vorprägungen grassieren eben nicht nur bei bekennenden Nazis. Dieser Ungeist findet sich breit verstreut in allen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Und teilweise auch bei uns selbst, die wir uns doch seit vielen Jahren engagieren gegen Nazis, Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Wir müssen uns bewusst machen, dass eine Auseinandersetzung mit diesen tief verankerten Vorurteilen überfällig ist. Es ist für uns alle wichtig zu verstehen, wie unter der Dunstglocke verbreiteter und geduldeter Vorurteile die Gefährdung von Leib und Leben, von Menschenrechten und Menschenwürde zu grauenhaften Taten und Ereignissen führen kann. An der Überwindung dieses alltäglichen Rassismus muss jeder und jede einzelne von uns arbeiten
Zum Abschluss möchte ich Euch noch auf zwei Veranstaltungen hinweisen, zu denen ich Euch ganz herzlich einladen möchte:
Am Freitag, den 12. April, findet im EineWeltHaus eine Diskussionsveranstaltung der Linksfraktion im Bundestag statt. Das Thema ist ganz aktuell: „Naziterror und Verfassungsschutz – Zwei Seiten einer Medaille?“ Landtagsabgeordnete Martina Renner berichtet vom NSU Untersuchungsausschuss in Thüringen, Rechtsanwalt Yavuz Narin vertritt die Nebenklage der Angehörigen eines NSU-Opfers.
Und am Tag darauf, Samstag den 13. April, folgt dann die antifaschistische Demonstration zum Auftakt des NSU-Prozesses unter dem Motto: Gegen Naziterror, staatlichen und alltäglichen Rassismus! Verfassungsschutz abschaffen!
Ich hoffe, dass von Ihnen Viele auch daran teilnehmen können. Doch zunächst wünsche ich uns einen erfolgreichen Ostermarsch 2013. Auch hier wenden wir uns einer wichtigen politischen Aufgabe zu, die leider nur zu oft verdrängt wird: Dem Kampf gegen Rüstungsexporte, dem Kampf gegen Rüstungsproduktion und dem Einsatz gegen die wachsende Militarisierung der Gesellschaft.
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.