Redebeitrag Jürgen Jung
Rede zur Anti-Atom-Demo (8. 8. 12)
Grass schlug eine Woge aggressiver, zum Teil haßerfüllter Ablehnung entgegen.
Warum eigentlich?
Was hat er gesagt?
Was könnte die breite Ablehnung in der „veröffentlichten“ Meinung und von Seiten der Politik rechtfertigen?
Er hat sich erlaubt, auf die Tatsache hinzuweisen, daß Israel als einziges Land im Mittleren Osten über Atom-Bomben verfügt, daß die iranische Atombombe nichts als eine „vermutete“ ist, daß wir Deutschen durch die Lieferung atomwaffenfähiger U-Boote „Zulieferer eines Verbrechens werden könnten“, und daß er „der Heuchelei des Westens überdrüssig“ ist. Besonders empört hat offensichtlich die Feststellung, daß – wie er sagt - „die Atommacht Israel den ohnehin brüchigen Weltfrieden gefährdet“.
Genau dies hat schon im Juni 1981, vor über dreißig Jahren also, der Weltsicherheitsrat in der UN-Resolution 487 ausgesprochen, der selbst die USA zustimmte, nachdem Israel den irakischen Atomreaktor bei Osirak zerstört hatte.
Der schlichte Hinweis darauf, dass Israel die einzige Atommacht im Nahen Osten ist - und insofern die ganze verhängnisvolle Spirale überhaupt erst in Gang gesetzt hat -, während die „iranische Atombombe“ - selbst nach Ansicht der amerikanischen Geheimdienste – bisher nichts als eine Vermutung ist, wird allgemein als unzulässige Verharmlosung eines „Schurkenstaates“ bemüht, wobei stets unterschlagen wird, dass Grass sich klipp und klar vom iranischen Regime distanziert, indem er vom „unterjochten iranischen Volk“ spricht.
Immer wieder wurde behauptet, Grass unterstelle Israel die Absicht, durch einen „atomaren Erstschlag“ das iranische Volk auslöschen zu wollen, und das sei Ausweis von Antisemitismus.
Und was sagt Grass tatsächlich?
„Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag, der das..... iranische Volk auslöschen könnte (!)...“
Grass nimmt hier Bezug auf das von Israel immer wieder in Anspruch genommene und praktizierte „Recht“ auf den Präventivschlag, der in Israel offen propagiert, ja sogar schon angekündigt wird - was für sich genommen schon ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Bei einem zu befürchtenden Gegenschlag Irans und der daraus resultierenden Eskalation „könnte“, noch einmal: könnte ein „Erstschlag“ in der Folge dann – angesichts der erdrückenden Überlegenheit der israelischen Militär- bzw. Atommacht, ganz zu schweigen von den vielen atomar-bestückten amerikanischen Stützpunkten und Flugzeugträgern um Iran herum - in der Tat den Untergang des Landes (und insofern auch des Volkes) mit sich bringen. Ein plausibles Szenario möglicher Folgen eines Angriffs von Seiten Israels. Nicht mehr und nicht weniger. Kein Wort findet sich da von einer Absicht oder einem Plan Israels, das iranische Volk auslöschen zu wollen. Grass des Antisemitismus zu bezichtigen, ist schlicht abwegig, wirft allerdings ein bezeichnendes Licht auf diejenigen, die dies tun.
Ich denke, das Gedicht sollte begriffen werden im Kontext der für jede Kriegsvorbereitung notwendigen Dämonisierung des Gegners, der diktatorischen iranischen Führung, also Ahmadinedschads, der angeblich „die Auslöschung“ Israels propagiert. Ganz abgesehen davon, dass vor Jahren schon die New York Times, der britische Guardian und dann die SZ detailliert nachgewiesen haben, dass Ahmadinedschads immer wieder kolportierte Äußerung falsch übersetzt wurde - ganz abgesehen davon also -, wird von den blinden Israelfreunden geflissentlich übersehen, dass die Forderung, „das Besatzungsregime in Jerusalem müsse verschwinden“ – nichts anderes nämlich hat Ahmadinedschad gesagt -, im Einklang mit dem Völkerrecht steht, das den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten fordert. Aber die Erwartung, Völkerrecht oder Menschenrechte zu beachten, ist ja Israel gegenüber angeblich nur eine blauäugige Zumutung von „linken Gutmenschen“ oder Pazifisten, die gegenüber „Gangstern“ (so etwa Henryk M. Broder über den Iran) natürlich weltfremd und in letzter Konsequenz auch wieder – wer hätte das gedacht – antisemitisch ist. Das Völkerrecht gilt ja für Israel nicht.
Während also Iran ständig unterstellt wird, Israel auslöschen zu wollen, geht man in unserer veröffentlichten Meinung geflissentlich darüber hinweg, daß Israel, der Westen generell, seit langer Zeit offen und verdeckt den „Regimewechsel“ in Iran betreiben.
Der Anlaß für das Gedicht war für Grass offensichtlich, dass wir Deutschen mitschuldig werden könnten an einem „voraussehbaren Verbrechen“ durch die „Zulieferung“ des mittlerweile 6., mit atomaren Sprengköpfen ausrüstbaren U-Bootes an Israel, obwohl es gegen geltende deutsche Richtlinien verstößt, Waffen in Spannungsgebiete zu liefern. Aber Israels „Sicherheit“ ist ja auch - wie wir von Kanzlerin Merkel zu hören bekamen – deutsche „Staatsraison“. Diese Ansicht wurde von Altkanzler Helmut Schmid mit Recht als „töricht“ bezeichnet.
Die „eingreifende“ Lyrik von „Was gesagt werden muss“ scheint vielen unserer verblendeten Zeitgenossen ganz offensichtlich schwer erträglich. Anstatt auf die wahrlich diskussionswürdigen Inhalte seines Prosa-Gedichts einzugehen, wird Grass - neben dem Standardvorwurf „Antisemitismus“ - jede Sachkompetenz abgesprochen, Geltungssucht bescheinigt oder gar auf seine jugendliche Mitgliedschaft in der Waffen-SS (ganze 17 war er da!) festgenagelt.
Grass hat offenbar einen Tabubruch begangen, denn obwohl es immer wieder reflexartig heißt, selbstverständlich dürfe Israel kritisiert werden, wird derjenige, der dies tut, sofort an den Pranger gestellt und der Delegitimierung Israels, bzw. des Antisemitismus bezichtigt. Genau dies hat Grass in seinem Gedicht vorhergesagt, wo er „das allgemeine Verschweigen dieses Zusammenhangs“ als „belastende Lüge und Zwang“ bezeichnet, der „Strafe (nämlich das „Verdikt Antisemitismus“) in Aussicht stellt“.
Dies alles – und dazu gehört der respektlose und unwürdige Umgang mit dem Nobelpreisträger - ist Ausdruck einer erschreckenden Debattenkultur hierzulande, die die Berechtigung, ja die Notwendigkeit seiner Kritik am aufheulenden „Wolfsrudel-Journalismus“ im Nachhinein vollauf bestätigt.
Am Schluß, meine Damen und Herren, noch ein Gedanke zu der entscheidenden Frage, die viele kritische Zeitgenossen, viele Friedensfreunde umtreibt, ja schier zur Verzweiflung bringt: warum kommt der Nahe, der Mittlere Osten seit Jahrzehnten einfach nicht zur Ruhe?
Vor kurzem bin ich auf eine höchst aufschlußreiche Studie zur Situation in der Levante, also im Nahen Osten, gestoßen, auf die der israelische Psychologe Dan-Bar-On im Jahre 2006 aufmerksam gemacht hatte. Diese Studie war bereits 1907 (!) von der britischen Regierung in Auftrag gegeben worden. In Sorge um die Aufrechterhaltung des britischen Imperiums wies die Studie auf die angeblich große Gefahr hin, die von der damals noch unter osmanischer Herrschaft stehenden arabisch-muslimischen Region ausging.
Es war seinerzeit ja schon bekannt, dass sich dort – wo sich die internationalen Handelsrouten kreuzen – auch noch gewaltige Öl- und Gas-Ressourcen befinden.
Zitat aus der Studie: „Keine natürlichen Grenzen trennen die Araber voneinander. Falls sie sich jemals vereinigen sollten, dann würde das Schicksal der Welt in ihren Händen liegen und Europa würde vom Rest der Welt abgekoppelt“.
Um dieser Gefahr zu begegnen empfahl die Studie nach dem absehbaren Ende des osmanischen Reiches (gemäß der Devise „Divide et impera“ – „teile und herrsche“) die Aufspaltung der arabischen Nation in viele kleine Einheiten „unter der Autorität der westlichen Staaten“. Der Grund für die willkürlichen Grenzziehungen, für die Zerstückelung der arabischen Nation durch die Kolonialmächte wird hier unumwunden ausgesprochen.
Um die strategischen Interessen der europäischen Mächte durchzusetzen, muß – Zitat - „ein Fremdkörper (ein „Pufferstaat“) in das Herz dieser Nation gepflanzt werden, um ihre Vereinigung zu verhindern (!) und zwar auf eine solche Weise, dass ihre Kräfte sich in niemals endenden Kriegen erschöpfen. Dieser (seinen Nachbarn feindlich gegenüberstehende) Fremdkörper könnte dem Westen als Sprungbrett für die Erlangung seiner Ziele dienen.“
Also schon 10 Jahre, bevor die britische „Balfour-Erklärung“ den Juden eine Heimstatt in Palästina in Aussicht stellte, etwas mehr als 30 Jahre vor dem Holocaust, sind hier ideologisch bereits die Wurzeln gelegt für das „Tollhaus“ Naher Osten – so Erich Fromm -, das die Welt bis heute in Atem hält.
Die Empfehlungen dieser Studie ihrer britischen Majestät aus dem Jahre 1907 wurden also erfolgreich in die Praxis umgesetzt.
D. h.: Der „Pufferstaat“ Israel wurde im Verfolg imperialer Interessen des britischen Kolonialreichs und als Wiedergutmachung für den europäischen Antisemitismus und den Holocaust als Fremdkörper mitten ins arabische Umfeld gepflanzt – mit allen daraus resultierenden Problemen.
1951 verglich die einflußreiche israelische Zeitung Ha’aretz Israel mit einem „Wachhund“ westlicher Interessen, auf den man sich „bei der Bestrafung benachbarter Staaten verlassen“ könne. Es verwundert daher nicht, daß Israel – nachdem die USA das britische Imperium nach dem 2. Weltkrieg abgelöst hatten - Hauptempfänger amerikanischer Finanz- und Militärhilfe ist, wodurch Israel zur viertstärksten Militär- bzw. Atommacht der Welt aufstieg.
D. h. wir Europäer sind - neben den USA - mitverantwortlich dafür, dass der Nahe Osten einfach nicht zur Ruhe kommt. Und von daher stehen wir als deutsche, als europäische Friedensfreunde auch besonders in der Pflicht, – so wie Günter Grass – aufzustehen für eine friedliche Zukunft dieser so geschundenen Region.