Zur KundgebungDr. Ingrid Pfanzelt (IPPNW)
Rede am Hiroshima-Gedenktag 6.8.2021 in München, Marienplatz
Liebe Münchnerinnen und Münchner, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!
Die Berichte von Überlebenden der atomaren Katastrophe von Hiroshima und Nagasaki sind schwer zu verkraften. Es fällt schwer, in Worte zu fassen, was damals geschah. Bis zum 6.August 1945 war es nicht vorstellbar, was der Abwurf einer Atombombe bedeutet: Menschen werden sprichwörtlich atomisiert, verbrannt, verstrahlt, das Erbgut über Generationen geschädigt. Die Natur wird zerstört und feindlich durch die freigesetzte Radioaktivität, die sich noch in hunderten von Jahren in Pflanzen und Tieren nachweisen läßt.
Damals stand die internationale Ärzteschaft dem unermesslichen Leid hilflos gegenüber, denn es gab keine medizinische Hilfe, weder gegen die verheerenden Brandwunden noch gegen die Strahlenkrankheit.
Unter diesem Eindruck gründeten der sowjetische Kardiologe Jewgeni Tschasow und sein US- amerikanischer Kollege Bernard Lown die internationale Ärzteorganisation zur Verhütung des Atomkriegs, IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War).
Wir stehen heute hier als deren Vertreter. Unsere Organisation erhielt 1985 den Friedensnobelpreis[2] für ihre „sachkundige und wichtige Informationsarbeit“, die das Bewusstsein über die „katastrophalen Folgen eines Nuklearkrieges“ in der Bevölkerung erhöht. Aus unserer Friedensarbeit heraus entwickelte sich ICAN, eine Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen, die 2017 ebenfalls den Friedensnobelpreis bekam.
Diese Kampagne war erfolgreich, denn im Januar diesen Jahres trat der UN – Vertrag zum Verbot von Atomwaffen in Kraft. Er wurde von 122 Mitgliedsstaaten verabschiedet. Dieser Schritt ist für die letzten Überlebenden der Atomwaffenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki von großer Bedeutung.
Damit ist das Atomwaffenverbot geltendes Völkerrecht. Der Vertrag untersagt den Besitz, die Stationierung und die Drohung mit Atomwaffen. Nicht zu den Unterzeichnern gehören jedoch die Bundesrepublik und die anderen Nato – Staaten, auch Japan stimmte trotz seines nationalen atomaren Traumas gegen den Vertrag.
Solange diese Staaten sich weigern besteht die Bedrohung weiter. Gerade in Regionen, in denen sich Atomwaffenstaaten gegenüberstehen, herrscht die größte Gefahr. Die Beispiele kennen wir alle: die Konfrontation Russland – USA, das atomare Säbelrasseln zwischen Indien und Pakistan, den Stellvertreterkrieg in Syrien, den Dauerkonflikt zwischen Nordkorea und USA. Als die USA unter Präsident Trump 2019 den INF Vertrag aufkündigten kam die onehin fragile Architektur der atomaren Rüstungskontrolle ins Wanken. Seitdem steigt das Risiko des Einsatzes von nuklearen Waffensystemen - ob absichtlich oder versehentlich.
Absichtlich führten Russland und die USA die Welt in der Kubakrise an den Rand eines Atomkrieges.
Unabsichtlich herbeigeführte atomare Zwischenfälle gibt es aber öfter als wir denken.
Angesichts von aktuell 15 000 Nuklearwaffen ist es nicht verwunderlich, daß nahezu jede Woche irgendwo auf der Welt ein sogenannter atomarer Zwischenfall passiert. Da stürzen schon mal Atomwaffen aus Flugzeugen heraus, verunglücken beim Transport über Land oder versinken in U- Booten auf den Meeresgrund, wo sie sich in radioaktive Zeitbomben verwandeln.
Diese Zwischenfälle werden natürlich geheimgehalten, nur die spektakulärsten kommen ans Licht.
So ereignete sich einer am 17. Januar 1966 in Palomares in Spanien. Zwei Flugzeuge, beladen mit vier Atomwaffen, kollidierten in der Luft und verloren ihre Fracht.
Drei der vier Wasserstoffbomben stürzten in bewohntes Gebiet, die vierte fiel ins Meer.[4] Sicherheitsvorkehrungen an den Bomben verhinderten zwar eine thermonukleare Explosion, doch die hochexplosiven konventionellen Sprengladungen in zwei der Bomben detonierten und kontaminierten durch die radioaktiven Bestandteile weite Teile der Umgebung und die Menschen. Sie leiden heute noch unter den Folgen. Spanien verbietet seitdem den Überflug mit atomaren Waffen.
Nicht nur Unfälle, sondern auch atomare Fehlalarme sind eine ständige Gefahr, die leider viel zu wenig öffentlich wahrgenommen wird.
So entkam Europa am 26.September 1983 nur durch die Besonnenheit eines russischen Offiziers einer atomaren Katastrophe. Ein sowjetischer Frühwarnsatellit hatte den Angriff einer Handvoll US-Raketen auf die Sowjetunion gemeldet. Der diensthabende Offizier entschloß sich zu unser aller Glück nicht zum atomaren Gegenschlag, denn es kam ihm seltsam vor, daß die Amerikaner nur 5 statt 500 Raketen abgefeuert haben sollten. Später stellte sich heraus, daß Sonne, Satellit und US-Raketenfelder so aufeinander ausgerichtet waren, dass die Strahlen der Sonne von den Satelliten falsch identifiziert wurden..
Der jüngste Fehlalarm fand im Januar 2018 statt, als den Bürgern von Hawai ein atomarer Angriff aus Nordkorea angekündigt wurde. Ganze 38 Min lang dauerte der Alarm, nur durch Zufall wurde kein Gegenschlag veranlasst.
Aber eine Beinahe – Katastrophe kann jederzeit zur echten werden.
Trotzdem wird die Politik der nuklearen Abschreckung noch immer als Garant des Friedens propagiert, ihre Rolle wurde bei dem jüngsten Treffen der Nato – Staaten im Juni sogar bekräftigt. Derzeit modernisieren alle Atomwaffenstaaten ihre Nuklearwaffen. Damit schraubt sich die atomare Rüstungsspirale immer höher mit unermesslichen Kosten und Folgen für uns alle.
20 Atombomben warten auf deutschem Boden im Fliegerhorst Büchel auf ihren Einsatz. Eine davon reicht aus, um ein Flächenland wie Bayern unbewohnbar zu machen. Um wieviel wahnsinniger sind dann die über 7000 Atombomben auf je russischer und amerikanischer Seite? Das Gleichgewicht des Schreckens ist eine menschenunwürdige Doktrin, denn sie nimmt die Vernichtung vieler Menschen billigend in Kauf.
Der Bundestag hatte bereits vor 10 Jahren den Abzug der Atombomben aus Büchel verlangt, unser US – Nato – Partner ignorierte bisher dieses Votum. Nun sollen sogar Kampfjets auf Kosten des Bundeshaushaltes modernisiert werden, um diese Atombomben im Ernstfall transportieren zu können. Dafür werden 12,5 Milliarden Euro nötig sein – könnte man dieses Geld nicht sinnvoller einsetzen, um die Folgen der Corona – Krise zu bewältigen?
Der nuklearen Logik wollen immer weniger Menschen folgen. Große Teile der Weltbevölkerung wollen sich die Bedrohung durch die 9 Atomwaffenstaaten nicht länger bieten lassen und schliessen sich in dem Atomwaffenverbotsvertrag zusammen. Auch die IPPNW hatte vor ihrem Treffen einen Brief an Joe Biden und Wladimir Putin geschrieben und darin angemahnt, daß ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und deshalb nicht geführt werden darf. In der Abschlußerklärung der beiden Präsidenten fand sich diese Mahnung wieder. Nun müssen konkrete Abrüstungsmaßnahmen folgen.
Die bisherige Realität ist eine andere: im Pandemiejahr 2020 haben Atomwaffenstaaten eine Rekordsumme von mehr als 72 Milliarden US – Dollar in die Instandhaltung und Aufrüstung ihrer Arsenale investiert.
Wir als Teil der internationalen IPPNW arbeiten öffentlich und hinter den Kulissen mit ICAN und der Pugwash – Bewegung dafür, daß die USA und Russland das Risiko eines Atomkrieges durch konkrete, überprüfbare Vereinbarungen verringern und den Atomwaffenverbotsvertrag respektieren.
Die Bundesregierung boykottiert diesen Vertrag bis heute und beharrt auf der Stationierung der Atombomben in Büchel. Damit unterstützt sie die immer gefährlicher werdende Politik der Atomwaffenstaaten und stellt sich gegen die Mehrheit der Staaten und der eigenen Bevölkerung. Mehr als 2/3 aller Bundesbürger sind für den Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel und den Beitritt zum internationalen Atomwaffenverbot.
Heute gedenken wir der Opfer von Hiroshima und Nagasaki. Wir Ärzte konnten sie nicht schützen. Wir können unser Bestes geben, um kranken Menschen in einer Pandemie zu helfen. In einer atomaren Katastrophe ist die ärztliche Kunst sinnlos.
Dann werden wir Ärzte Euch nicht helfen können.