Rede anläßlich der antimilitaristischen Kundgebung auf dem Münchner Odeonsplatz am 18. November 2019 - von Jürgen Rose

https://www.muenchner-friedensbuendnis.de/node/1744/edit
Sehr geehrte Versammelte, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

PDF Manuskript

Es freut mich sehr, daß Sie heute hier so zahlreich erschienen sind, um für den Frieden auf der Welt und gegen die Aufführung überkommener Militärrituale im öffentlichen Raum zu demonstrieren.

In Zeiten des Krieges, in denen auch deutsche Soldaten wieder töten und sterben, bedarf das Militär mehr noch als in Friedenszeiten gesellschaftlicher Akzeptanz sowie politischer Legitimation. Soldaten brauchen die enge Verbindung mit der Gesellschaft. Soldaten wollen geliebt werden dafür, daß sie bereit sind, Leben und Gesundheit hinzugeben für die Gemeinschaft. Wobei gewöhnlich gilt: je höher der Dienstgrad, desto größer das Liebesbedürfnis. Die Publizistin Cora Stephan spricht in ihrer Abhandlung über das „Handwerk des Krieges“ von der „Kommunion“ zwischen Kriegern und Volk. „Gerade in einer Demokratie“, so stellt sie fest, „erscheint es undenkbar, von Soldaten … zu erwarten, daß sie ihr Leben riskieren, ohne daß sie sicher sein können, daß ihr »Opfer« der Gesellschaft auch etwas »wert« ist.“

Genau diesem Zweck gilt ein Zeremoniell wie heute die öffentliche Vereidigung von freiwillig dienenden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Münchner Hofgarten. Diese Örtlichkeit für jenes anachronistische Ritual im öffentlichen, demokratischen Raum hat der für seine populistischen Attitüden ja hinlänglich ausgewiesene Hausherr der unmittelbar angrenzenden bayerischen Staatskanzlei, Ministerpräsident Markus Söder, der Bundeswehr artig und anstandslos zur Verfügung gestellt. Damit nutzt er geschickt die wohlfeile Gelegenheit, sich bei der Bundeswehr und ihrer Führung anzuwanzen und zugleich der Vorsitzenden seiner Schwesterpartei und ziemlich ramponierten Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer einen politischen Liebesdienst zu erweisen.

Den hat AKK auch dringend nötig, läßt sie doch keine Gelegenheit aus, statt sich um die Verbesserung des maroden Zustands von Deutschlands gar nicht mehr schimmernder Wehr zu kümmern, von einem sicherheitspolitischen Fettnäpfchen kopfüber ins nächste zu hüpfen. Sei es mit ihrer Schnapsidee einer sogenannten „Schutzzone“ für Flüchtlinge in Nordsyrien, die nichts anderes darstellen würde als eine Absicherung des von den türkischen Aggressoren eroberten syrisch-kurdischen Territoriums, sei es ihre Forderung nach deutscher „Verantwortungsübernahme“ im indopazifischen Raum, wo vorgeblich der schon von Konrad Adenauer dunnemals beschworenen „Gelben Gefahr“ mit kriegerischen Mitteln entgegenzutreten sei. Merke: Wer Verantwortung sagt, der will betrügen. Denn mit militärischen Mitteln läßt sich keine „Verantwortung“ übernehmen. Mit dem Einsatz von Militär kann man lediglich Krieg führen. Und im besten Fall läßt sich mit der Androhung militärischer Gewalt ein potentieller Aggressor abschrecken.

Darin liegt auch der tiefere Grund, warum für diese Zwecke Soldaten benötigt werden: weil die Luft in solchen Szenarien nämlich lebensgefährlich eisenhaltig wird. Wäre letzteres nicht der Fall, könnte man fallweise das Technische Hilfswerk, die Caritas oder die Heilsarmee entsenden. Wobei anzumerken bleibt, daß solchermaßen friedliche Mittel der Verantwortungsübernahme ohne Wenn und Aber stets die besseren, weil weitaus effizienteren und humaneren sind. Friedliche Mittel bringen nämlich stets sehr viel mehr Nutzen als Schaden, während sich dies bei militärischen genau umgekehrt verhält: dort überwiegen die euphemistisch etikettierten „Kollateralschäden“ üblicherweise bei weitem den angestrebten Nutzen. Ein treffliches Beispiel für diesen Zusammenhang liefert der Krieg in Afghanistan, wo die Bundesregierung für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO-geführten ISAF-Mission siebenmal mehr Finanzmittel aufgewandt hat als für den zivilen Wiederaufbau des zerstörten Landes und seiner Gesellschaft. Trotz dieser milliardenschweren Steuergeldverschwendung für einen a priori völlig sinnlosen Militäreinsatz herrscht auch fast zwanzig Jahre nach dem Einfall westlicher Truppen in das Land am Hindukusch dort immer noch kein Friede. Soviel zum Thema „Verantwortungsübernahme“ mit militärischen Mitteln.

Doch derlei Fakten vermögen eine Annegret Kampf-Knarrenbauer, korrigiere: Kramp-Karrenbauer natürlich, keineswegs zu beeindrucken. Der nämlich ist es um die „öffentliche Wertschätzung“ unserer glorreichen Kampftruppe zu tun. Zu diesem Behufe bedarf es, O-Ton AKK, „besonders schöne[r] Zeichen dieser Anerkennung“, weshalb es ihr zufolge gilt, den ‚Geburtstag der Bundeswehr nun jedes Jahr überall in Deutschland mit Veranstaltungen wie Öffentlichen Gelöbnissen, Konzerten, Verleihungen von Fahnenbändern und so fort zu feiern‘. Solchermaßen feiert militaristisches Tschingderassabum fröhliche Urständ, wird einem aus der Zeit gefallenen Militarismus hierzulande auf unsägliche Weise Vorschub geleistet.

Legitimatorisch verbrämt wird diese Propaganda für Militär und Krieg mit dem falschen Versprechen, daß die Bundeswehr – so die Verteidigungsministerin – „immer im Geiste und Auftrag des Grundgesetzes“ zum Einsatz käme oder daß sie – so der Bundes­tags­präsident Wolfgang Schäuble – „streng dem Verteidigungsauftrag verpflichtet“ sei. Beide Aussagen entsprechen, zumindest im Hinblick auf die Vergangenheit, nicht den Tatsachen.

Denn obwohl das vereinigte Deutschland den Völkern der Welt 1990 feierlich geschworen hatte, daß es – außer zur Verteidigung – keine seiner Waffen jemals einsetzen würde, ging und geht von deutschem Boden wieder Krieg aus – ein Skandal, der Paul Celan, dem Dichter der berühmten Todesfuge, brisante Aktualität verleiht, denn heutzutage ist erneut der „Tod ein Meister aus Deutschland“. Dies nicht nur, weil die Bundesrepublik Deutschland seit nahezu zwanzig Jahren mit vielen Tausend ihrer Bundeswehrsoldaten und -sol­datinnen als bedeutender militärischer Gewaltakteur in der internationalen Politik auftritt. Sondern auch deshalb, weil die von – notabene SPD-Kanzler – Gerhard Schröder proklamierte Politik des »enttabuisierten Militärischen« seit Jahren durch den massiven Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern unterfüttert wird, obwohl das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz den Export von militärischer Ausrüstung und Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete verbietet.

Solcherart Beliebigkeit im Umgang mit den Verpflichtungen, die uns unser Grundgesetz sowie das Völkerrecht auferlegen, demonstriert nur allzu gut, wie weitgehend sowohl der politischen Nomenklatura als auch den militärischen Führungskadern dieser Republik Rechtsbewußtsein und Gesetzestreue sowie Anstand und Moral abhanden gekommen sind. Nicht zuletzt dies markiert die Tragik der Demokratie unserer Tage, denn die überwältigende Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen unseres Landes fordert eine völlig andere, nämlich auf Frieden und Gerechtigkeit ausgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik.

Doch bedeutungslos und vergessen ist seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO-Strolche gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor zwanzig Jahren der pazifistische Grundkonsens hierzulande, zu dem die Bonner Republik nach dem Grauen des Zweiten Weltkrieges gefunden hatte und der da lautete: „Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg!“ Vergessen ist zudem die einstmals emphatisch betonte »Kultur der Zurückhaltung« als Konsequenz aus den Lektionen einer in der Katastrophe kulminierten deutschen Politik mit kriegerischen Mitteln. Vergessen ist offenbar auch, was der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann der Bundeswehr – und jenen, die über ihren Einsatz zu entscheiden haben! – dereinst ins Stammbuch geschrieben hatte, nämlich: »Ich sehe als er­stes die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Nicht der Krieg ist der Ernstfall, (...) sondern heute ist der Frieden der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.« Und längst endgelagert in den untersten Flözen des Schutthaufens der Geschichte ist der von Franz-Josef Strauß mit triefendem pazifistischen Pathos hingeheuchelte Schwur aus den Gründertagen der Bundesrepublik, daß jedem Deutschen, sollte er jemals wieder ein Gewehr anfassen, der Arm verdorren möge.

Statt dessen hatte der SPD-Kanzler Gerhard Schröder im Jahre 1999 mit ihm typischem Aplomb seine Latrinenparole von der »Enttabuisierung des Militärischen« ausgegeben, gemäß der dann die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges entsprechend den Vorgaben der NATO – präziser: auf Kommando der US-amerikanischen Imperialmacht – ganz zielgerichtet einem sogenannten »Transformationsprozeß« unterzogen und zur »Einsatzarmee« umgebaut wurde, wie der Orwellsche Neusprech der Bellizisten euphemistisch lautet. Im Klartext heißt das, Deutschland hat sich Interventionsstreitkräfte zugelegt, die direkt (wie in Jugoslawien 1999 oder Afghanistan 2001) oder indirekt (wie im Falle des völkerrechtlichen Verbrechens gegen den Irak und seine Menschen 2003) auch für völkerrechts- und grundgesetzwidrige Angriffskriege Gewehr bei Fuß stehen. Unter den Vorzeichen der sogenannten »Normalisierung der deutschen Außenpolitik« ist die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an kriegerischen Interventionen mittlerweile zur Regel geworden, feiert der aus der Hochzeit wilhelminischer Weltmachtpolitik nur allzu gut bekannte Wahlspruch »Germans to the Front!« hierzulande wieder fröhliche Urständ.

Damit einhergehend wurden die in der Charta der Vereinten Nationen kodifizierten Einschränkungen des Rechts zur militärischen Gewaltanwendung immer weiter ausgehöhlt – mit tatkräftiger Unterstützung durch das Bundesverfassungsgericht, wie betont werden muß! Gerade die in der NATO verbündeten westlichen Demokratien mißbrauchen seit dem bejubelten Sieg im Kalten Krieg ihre Streitkräfte immer häufiger für Einsätze, die mangels völkerrechtlicher Mandate entweder keine hinreichende oder gar keine Rechtsgrundlage haben. In besorgniserregender Weise entwickelte sich ein global ausufernder militärischer Interventionismus, der in Deutschland mit der Rhetorik von der »Normalisierung der deutschen Außenpolitik« legitimatorisch unterfüttert wird. Nahezu unisono konstatiert die politische Klasse dieser Republik – konterkariert allenfalls von der oppositionellen Linkspartei –, daß Deutschland »keinen Sonderstatus« mehr beanspruchen könne. Von der Nation werde fortan erwartet, vermehrt »internationale Verantwortung« zu übernehmen. Darüber hinaus wird proklamiert, daß eine solche »Friedensmacht, die seit langem für Ausgleich und internationale Hilfe« sorge, historisch nunmehr als unbelastet zu gelten habe. Man ist halt wieder wer.

Derlei Worthülsen, mit denen versucht wird, die unrühmlichen Etappen vor allem der jüngeren deutschen Vergangenheit hurtig zu entsorgen, gehören heute zum Dummdeutsch der politischen Klasse in diesem Lande. In ihnen reflektiert sich eine Art pubertärer Unbefangenheit der Berliner Republik. Die Geschichte wird dabei geklittert, wie man sie gerade braucht. Doch kann die Bundesrepublik Deutschland nur im Bewußtsein der deutschen Geschichte ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden. Eine Erkennt­nis, die wiederum zwingend eine »Kultur der Zurückhaltung« beim militärischen Agieren in der internationalen Politik fordert. Indes hat sich – diesem Imperativ diametral entgegengesetzt – in Politik und Armee in geradezu atemberaubender Weise ein fundamentaler Paradigmenwechsel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vollzogen. Galt zu Zeiten des Kalten Krieges die Parole »Frieden schaffen mit weniger Waffen«, so handeln die schwarz, rot, grün und manchmal gelb gewandeten Hohepriester des globalen Interventionismus getreu der Maxime: Frieden schaffen mit aller Gewalt. Propagandistisch verbrämt wird diese Politik mit ideologischen Kampfbegriffen wie »Politischer Pazifismus«, »Krieg gegen den Terrorismus«, »Humanitäre Intervention« oder auch »Responsibility to Pro­tect«. De facto handelt es sich bei derlei militärischen Aktivitäten jedoch lediglich um ordinäre Globalisierungskriege im Interesse des Clubs der Reichen.

Exakt dieser Umstand markiert, warum jene Kriegslenker und Schlachtendirektoren an den Schalthebeln von Politik und Streitkräften derartige Militärrituale wie das hier und heute in Wahrheit inszenieren: Es geht schlicht um das Kanonenfutter für die zukünftigen Kriege, nämlich darum genügend freiwillige junge Männer und Frauen anzuwerben, die „dummstolz, ahnungslos, mit flatternden Idealen und einem in Landesfarben angestrichenen Brett vor dem Kopf, bereit sind, ihr Leben und ihre Person für einen solchen Quark, wie die nationalistischen Interessen eines Staates aufs Spiel zu setzen“, wie Kurt Tucholsky, Deutschlands scharfsinnigster und spitzzüngigster Militärkritiker, weiland trefflich formulierte.

Nicht zuletzt deshalb sollten Demokraten, denen am Frieden und am Recht gelegen ist, gegen eine Politik aufstehen, die deutsche Soldaten weltweit in Globalisierungskriege schickt und, um hierfür Gefolgschaft zu erzeugen, den öffentlichen Raum für überkommenes Militärbrimborium mißbraucht.

Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a.D. und Vorsitzender des Förderkreises ‚Darmstädter Signal‘, der den gleichnamigen Arbeits­kreis kritischer StaatsbürgerInnen in Uniform unterstützt.

#GELÖBNIX