Rede von Julian Mühlfellner, für die DFG/VK im Friedensbüro München, zur Kundgebung
am Hiroshimatag, 6. August 2022 in München

Rede zum Hiroshima-Gedenktag

Wir sind hier, um den Opfern der Atomwaffenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki zu gedenken. Im weiteren Sinne gilt meine Rede aber auch den Opfern von Atomwaffentests auf der ganzen Welt.

Ihr aller Andenken zu würdigen und ihr Streben nach Gerechtigkeit anzuerkennen, bedeutet, Atomwaffen abzuschaffen.

Ich bin von der DFG-VK Bayern und wir fordern Deutschlands Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe, den Abzug der Atomwaffen aus Büchel und Deutschlands Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag!

Ich spreche heute über den Stand der globalen Bemühungen, Atomwaffen zu verbieten und abzuschaffen. Es geht also um den Atomwaffenverbotsvertrag und den Atomwaffensperrvertrag und Deutschlands Rolle in diesen Verträgen. 

Und ich möchte fragen, wie wir von hier nach dort kommen, zu einer atomwaffenfreien Welt. Meine Überzeugung ist: Das geht nur durch politischen Druck der Bevölkerung. Um das zu ermöglichen, müssen wir die Illusion bekämpfen, dass Atomwaffen Sicherheit bringen, und unsere Feindbilder abbauen.

Atomwaffenverbotsvertrag

Ich war Ende Juni auf der ersten UN-Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag in Wien. Der Atomwaffenverbotsvertrag ist erst seit letztem Jahr in Kraft und tut genau das, was sein Name verspricht: er verbietet die Entwicklung von Atomwaffen, ihre Testung, ihre Lagerung, ihren Transfer, ihren Einsatz, die Drohung eines Einsatzes, etc.

Außer mir waren in Wien die Delegationen der damals 65 Vertragsstaaten und VertreterInnen der Zivilgesellschaft. Beeindruckend war die Anwesenheit von Überlebenden aus der ganzen Welt – unter ihnen Hibakusha aus Hiroshima und Nagasaki.

Deutschland war als Beobachterstaat vertreten. Die Teilnahme als Beobachterstaat ist eigentlich ein positiver Schritt. Das Statement der deutschen Delegation war allerdings enttäuschend: ein Bekenntnis zur NATO und zur nuklearen Teilhabe Deutschlands, Russland- und China-Bashing, Zweifel an der Vereinbarkeit des Verbotsvertrags mit dem Atomwaffensperrvertrag und ein vages Lippenbekenntnis zum Interesse an Opferhilfe.

Ebenfalls enttäuschend war das absolute Desinteresse der deutschen und internationalen Presse – mit Ausnahme der japanischen Presse. In deutschen Tageszeitungen wurde so gut wie gar nicht über die Atomwaffenverbotsvertrags-Konferenz berichtet.

Atomwaffensperrvertrag

Ein bisschen anders verhält es sich mit der UN-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag, die jetzt gerade in New York stattfindet.

Der Atomwaffensperrvertrag ist seit 1970 in Kraft. In dem Vertrag hatten sich die damaligen fünf Atommächte Atomwaffen nicht Publizist und ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehrweiterzuverbreiten und nuklear abzurüsten. Außerdem verpflichtete sich fast der gesamte Rest der Welt, keine Atomwaffen anzustreben.

Aber seit Inkrafttreten sind zu den ersten fünf Atommächte noch fünf weitere hinzugekommen, von denen nur Südafrika seine Waffen wieder abgelegt hat. Und obwohl seit dem Kalten Krieg die Anzahl an Atomwaffen stark reduziert wurde, bleiben wir seit 10 Jahren auf dem Stand von ca. zwölftausend Atomwaffen.

Jetzt findet zum Sperrvertrag diese Konferenz in New York statt, zu der die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock gereist ist. 

Frau Baerbock erzählte dort vor ein paar Tagen, dass ein Hibakusha aus Nagasaki ihr gesagt hatte: “Sorgen Sie dafür, dass die Menschheit nie wieder von Atomwaffen gepeinigt wird.” Und statt zu überlegen, was das für Deutschland bedeutet, hat Frau Baerbock diese Aufforderung genutzt, um mit dem Finger ausschließlich auf andere zu zeigen.

Dazu muss man sich vergegenwärtigen: Frau Baerbock ist die Außenministerin von Deutschland. Deutschland ist beteiligt an der nuklearen Teilhabe der NATO und ist obendrein ein enger Verbündeter der USA, die einseitig und ohne Not den ABM-Vertrag und den INF-Vertrag mit Russland aufgekündigt hat – und das Nuklearabkommen mit dem Iran.

Und damit nicht genug: Deutschland rüstet auf: Mit dem Sondervermögen der Bundeswehr sollen 35 F-35-Kampfflugzeuge angeschafft werden, die aufgrund ihrer Tarnkappenfähigkeit und ihrer Reichweite in Kombination mit der modernisierten B-61-Bombe zur nuklearen Angriffswaffe gegen Russland taugen.

Und wir stellen uns hin und erklären dem Rest der Welt, wie wichtig nukleare Abrüstung ist?

Aber Deutschland ist natürlich nicht allein im Wettrüsten. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass die Konferenz viel Konstruktives hervorbringen wird – auch, dass Putin vor zwei Tagen explizit auf den Erstschlag mit Atomwaffen verzichtet hat, wird daran wohl nichts ändern.

Überhaupt sollten wir keine Verbesserung der Situation erwarten, wenn wir diese Angelegenheit unseren Regierungen überlassen. Denn das ist die politische Realität: Regierungen versuchen, mit militärischer Macht strategische und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Atomwaffen sind die Konsequenz dieser militärischen Logik. 

Politischer Druck durch die Bevölkerung

Die einzig realistische Möglichkeit, nukleare Abrüstung zu erreichen, ist unablässiger politischer Druck der Bevölkerung auf die Regierung. 

Das ist die Aufgabe der Friedensbewegung – und wir schaffen es momentan nicht einmal ansatzweise, sie zu erfüllen. Warum nicht?

Weil einem großen Teil der deutschen Bevölkerung erfolgreich die Lüge verkauft wurde, dass uns Atomwaffen Sicherheit vor feindlicher Bedrohung geben.

Es ist an uns, die Überzeugungskraft dieser Lüge zu brechen, damit die Abrüstungsziele der Verträge Wirklichkeit werden können. 

Die Lüge besteht aus zwei Komponenten: Erstens, die Illusion von Sicherheit durch Atomwaffen, und zweitens, unsere Feindbilder.

Illusion der Sicherheit durch Atomwaffen

Ob nukleare Abschreckung wirklich funktioniert, ist höchst fragwürdig. Auf jeden Fall ist es ein weit verbreiteter Irrglauben, dass Atommächte nicht angegriffen werden. 

Es gab in den letzten Jahren militärische Grenzgefechte zwischen Indien und Pakistan sowie Indien und China – alle drei sind Atommächte. Die Gefahr der nuklearen Eskalation kann man nicht wegdiskutieren. 

Wegen dem Krieg in der Ukraine besteht die Gefahr der nuklearen Eskalation momentan auch zwischen den größten Atommächten der Welt. Eine nukleare Eskalation zwischen Atommächten führt in allen Szenarien zu unfassbarem Leid – und in fast allen Szenarien zum Ende menschlicher Zivilisation.

Abgesehen davon gibt es Unfälle, technisches Versagen und Fehlalarme.

All diese sehr präsenten Gefahren von Atomwaffen müssen wir den Leuten bewusst machen, damit sie endlich aufhören zu glauben, dass Atomwaffen uns Sicherheit geben. Darüber erzählt Ingrid Pfanzelt von IPPNW gleich mehr.

Feindbilder

Außerdem müssen wir den zweiten Teil der Lüge bekämpfen: dass wir Feinde haben, die uns vernichten wollen – und gegen die wir uns mit allen Mitteln verteidigen müssen. Angesichts der gegenwärtigen Situation will ich speziell über Russland sprechen:

Der deutsche Hass gegen Russland hat tiefe Wurzeln. Die wahrscheinlich schlimmste Form dieses Hasses wurde in Nazi-Deutschland erreicht. Da mischten sich antisemitischer Anti-Bolschewismus mit der rassistischen Vorstellung von slawischen Untermenschen. Dieser Hass hat damals weit mehr als 20 Millionen Menschen in der Sowjetunion – viele von Ihnen jüdisch – das Leben gekostet. 

Ein zentrales Element des Anti-Bolschewismus und des Antikommunismus – dass die Russen nicht ruhen werden, bis sie die Weltherrschaft haben – kommt jetzt wieder zum Vorschein. In Deutschland fürchtet man sich, dass Russland in der Ukraine nicht halt macht, sondern bis nach Deutschland weitermarschiert. 

Das ist natürlich Schwachsinn. So sehr es richtig und wichtig ist, den abscheulichen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verurteilen, so falsch ist es, deshalb jeden Sinn für die Realität zu verlieren – und Russland etwas zuzumuten, zu dem es weder einen Grund hat, noch imstande ist.

Statt uralte rassistische Reflexe auszugraben, sollten wir uns lieber fragen, warum es Putin so leicht fällt, seiner Bevölkerung zu verkaufen, dass der Krieg in der Ukraine gerechtfertigt ist. 

Wir und unsere Verbündeten sind die reichsten und mächtigsten Nationen der Menschheitsgeschichte und unser Tun und Lassen hat auf der ganzen Welt enorme Auswirkungen. Trotzdem tun wir so, als ob unsere “Feinde” in einem Vakuum entstehen. Als würden sie wie magische Pilze aus dem Boden sprießen – ohne unser Zutun. 

Wir müssen endlich unserer Verantwortung gerecht werden und anerkennen, welchen Schaden wir der Welt zufügen. In Bezug auf den Klimawandel haben wir unsere Verantwortung erkannt – und weigern uns dementsprechend zu handeln. In Bezug auf Krieg und Militarismus haben wir noch nicht einmal unsere Verantwortung anerkannt.

Atomwaffen abschaffen

Um also zum Schluss zu kommen: 

Um das Andenken und das Streben nach Gerechtigkeit der Opfer der Atomwaffenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki zu würdigen, müssen wir Atomwaffen abschaffen. Um das zu schaffen, müssen wir die Illusion aufgeben, dass Atomwaffen Sicherheit bringen – und dass wir Feinde haben, gegen die wir uns mit allen Mitteln verteidigen müssen – und sei es ungerichteter Massenmord.

Deshalb fordern wir Deutschlands Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe, den Abzug der Atomwaffen aus Büchel und Deutschlands Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag!