Redebeitrag von Leo Mayer bei der Schlusskundgebung des Münchner Ostermarsches 19.4.2014 in München
am Sendlinger-Tor-Platz - (Text + Audio)

PEACEOstermarsch München 2014
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Leo Mayer am Sendlinger-Tor-Platz

Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) www.isw-muenchen.de

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

So ungefähr muss es auch im Frühjahr 1914 gewesen sein: eine Spirale von sich gegenseitig aufschaukelndem Nationalismus, Kriegspropaganda, Drohungen, Sanktionen – bis dann wenige Monate später ein Krieg beginnt, in dem Millionen für „Gott und Vaterland, für Volk und Ehre und die Nation“ elendiglich verrecken.
Ein Krieg, bei dem es in Wirklichkeit nicht um Volk und Nation, sondern um eine Neuaufteilung der Einflusszonen der imperialistischen Mächte ging.
Heute - 100 Jahre nach dem Beginn des 1. Weltkrieges und 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit Millionen von toten Soldaten und Abermillionen toten Zivilisten – werden wieder Menschen mit nationalistischen Sprüchen um den Verstand gebracht und gegeneinander aufgehetzt.

Dabei wissen wir aus der Geschichte: „Frieden kann nur durch das friedliche Handeln der Menschen gesichert und erreicht werden.“
Diese Lehre aus hemmungslosen Nationalismus und den Schrecken des Kriegen ist im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung noch präsent: „Nie wieder Krieg!“

Ein Zeichen von politischer Vernunft - wie sie in den Medien und bei den führenden Politikern in Deutschland nicht mehr anzutreffen ist.
Deshalb müssen wir auf die Straße. Deshalb müssen wir demonstrieren. Wir müssen den Regierungen und den Militaristen klarmachen, dass wir keinen neuen Krieg wollen!

Wir wissen um den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg– früher wie auch noch heute. So wie es der französische Sozialist Jean Jaurès treffend formuliert hat: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen."
Aber wir wissen auch, dass Kapitalismus und Profitstreben nicht automatisch zu Krieg führen. Kriege werden gemacht! Auch heute sind es politische Entscheidungen, die über Krieg und Frieden entscheiden - und politische Entscheidungen sind umkämpft. Deshalb müssen wir auf die Straße.
Wir müssen auf die Straße, weil sich im Gegensatz zu den historischen Erfahrungen und zur Mehrheitsmeinung der Bevölkerung, deutsche Politiker in der Ukraine-Krise als gefährliche Brandstifter erweisen. Gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Union und der Nato schütten sie immer weiteres Öl in das Feuer, treiben die Eskalation immer weiter voran, so dass die Krise in der Ukraine in einen offenen ukrainischen Bürgerkrieg und in einen neuen militärischen Konflikt in Europa umschlagen kann.

„Nato sieht Russland jetzt als Gegner“ – war die Schlagzeile in der Süddeutschen Zeitung. (2.4.2014)
Sofort droht die Kanzlerin Russland mit mehr Sanktionen. Die Kriegsministerin will sogar gleich die Panzerketten ölen lassen und fordert, dass die Nato an ihren "Außengrenzen" mehr "Präsenz" zeige.

Nato-Generalsekretär Rasmussen will die bisher noch nie eingesetzte Schnelle Eingreiftruppe der Nato in einen Zustand hoher Einsatzbereitschaft versetzen, und fordert die Regierungen auf, mehr Geld für die Rüstung auszugeben. "Die Europäer haben zu viel und zu lange abgerüstet", sagte er. "Dies ist der Moment, um die Kürzungen zu stoppen und den bisherigen Trend wieder umzudrehen"1
.

Da kann der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold nicht zurückstehen und verlangt eine strategische Neuausrichtung der Nato, um „das unkontrollierte Absenken der Panzerflotte innerhalb der Nato“ umzukehren. Außerdem müsse Europa „schnellstmöglich die gemeinsame Entwicklung einer Drohne auf den Weg bringen"2
.

Keine zwei Monate ist es her, da zog der

  • Bundespräsident hier in München bei der sog. „Sicherheitskonferenz“ einen Schlussstrich unter die "Kultur der militärischen Zurückhaltung" (so der frühere Außenminister Guido Westerwelle): Deutschland müsse sich außenpolitisch „früher, entschiedener und substanzieller einbringen“, meinte der Bundespräsident.
  • Und der Bundesaußenminister sekundierte: „Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“; Deutschland wolle „Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik“ sein, und -
  • so Kriegsministerin von der Leyen - die Menschen in den Krisenregionen nicht "im Stich lassen".

Siko-Chef Wolfgang Ischinger nutzt nun die Krise in der Ukraine: „Deutschland muss seinen Nachkriegspazifismus vollends überwinden und sich noch stärker bei den Krisen engagieren, die immer häufiger vor der Haustür entstehen.“ (SZ, 03.04.2014)

Und dann wird getan, als sei die Entsendung von sechs deutschen Eurofigthern und einem Kriegsschiff an die Grenzen Russlands – mit der ausdrücklichen Absicht, Russland einzuschüchtern - nicht Bedrohliches und nichts Besonderes.

Es heißt zwar: Geschichte wiederholt sich nicht. Aber die aktuelle Entwicklung zeigt: Geschichte kann sich - auch wenn die machtpolitischen Konstellationen heute grundlegend andere sind –doch wiederholen. Leider auch als Katastrophe!
Seit dem Maidan befindet sich Europa auf einer abschüssigen Bahn in einen Krieg mit unkalkulierbaren Folgen. Wieder erleben wir eine fatale Mischung aus Nationalismus, Revanchismus und gefährlichen Globalstrategien, die von dummen, korrumpierten Journalisten begleitet wird, die jedem Schritt ihrer Regierungen in die weitere Eskalation applaudieren.
Aber völlig unabhängig vom aktuellen Konflikt, der sich wie eine griechische Tragödie entfaltet, ist die einzige Geschichte, die hier in Betracht kommt, die, die es verbietet, deutsches Militär dort einzusetzen, wo es vor 70 Jahren völkermörderisch eingefallen ist.
Und gerade die Ukraine ist eines der meist geschundenen Länder Europas und war Todeszone für Abermillionen Russen, Ukrainer, Weißrussen beim Angriffskrieg Nazi-Deutschlands für den „Lebensraum im Osten“.

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde

Es ist zu beachten, dass der Konflikt um die Ukraine und die Krim nicht erst mit dem Eingreifen Russlands auf der Krim begann,
Die Ukraine und ihre Bevölkerung sind seit dem Ende der Blockkonfrontation ein Bauer auf einem Schachbrett geopolitischer Strategien der USA und der Europäischen Union auf der einen und Russlands auf der anderen Seite.
Bereits im Jahr 1999 schrieb der einflussreiche US-amerikanische Sicherheitsberater Brzezinski, dass „das Jahrzehnt zwischen 2005 und 2015 als Zeitraum für eine sukzessive Eingliederung der Ukraine in die EU und in die Nato ins Auge zu fassen“ sei. Dies würde „Russland seiner beherrschenden Position am Schwarzen Meer berauben“ und „Russland zu einer Entscheidung drängen, ob es ein Teil von Europa oder ein eurasischer Außenseiter werden will“.3

Auf der anderen Seite zieht Putin, der die Ukraine bis 2015 in die Eurasische Zollunion – der Kern einer späteren Eurasische Union – integrieren will.

Als dann die Proteste in Kiew losgingen, wurden sie von EU und Nato sofort internationalisiert und gegen Russland instrumentalisiert.
Die führenden Politiker in der EU und der Nato sahen die Chance gekommen,

  • die Ukraine durch ein Assoziierungsabkommen zur Wahl zwischen Ost und West zu zwingen,
  • die Ukraine aus dem Einflussbereich Russlands herauszulösen und
  • den Marktbedingungen der Europäischen Union wie dem Militärkonzept der Nato
    unterzuordnen.

Da wurden dann sogar Parteien der extremen Rechten und faschistische Gruppierungen unterstützt, damit sie zu Wortführern auf dem Maidan werden und Schlüsselpositionen in der "Übergangsregierung" besetzen konnten.
Mit der Beteiligung von Faschisten an der neuen Regierung wird, wie auch der ehemalige EU- Erweiterungskommissar Günter Verheugen in deutlichen Worten sagt "ein fataler Tabubruch" begangen, da "zum ersten Mal in diesem Jahrhundert völkische Ideologen, richtige Faschisten" in eine Regierung gelassen – besser von der EU und der Nato in die Regierung gehievt - wurden.4

Und die Gleichen, die Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt sehen, verlangen, dass die russische Regierung reaktionslos hinnehmen soll, wenn sich ihre Schwarzmeerflotte plötzlich auf einer Nato-Krim wiederfindet.

Dies rechtfertigt das Vorgehen Russlands nicht, aber es gibt eine Antwort auf die Frage, warum Russland so agiert.

Dass Russland eigene – aus seiner Sicht legitime - Sicherheitsinteressen wahrnimmt – liebe Freundinnen und Freunde – das kann aber für uns noch lange kein Grund für eine Parteinahme zu Gunsten Russlands sein.

So wenig wie sich die Bevölkerung der Ukraine auf Dauer damit begnügen kann,

  • bei der nächsten Wahl nur zwischen der "Gasprinzessin" Timoschenko und dem "Schokoladen-König" Poroschenko – der im Übrigen auch Automobilfabriken und Rüstungsbetriebe sein Eigen nennt –wählen zu dürfen,
  • oder sich nur entscheiden zu dürfen, ob sie von ukrainischen oder russischen Oligarchen ausgebeutet werden soll- oder von westlichen Transnationalen Konzernen;

so wenig dürfen wir uns eine Parteinahme für eine der beiden Seiten aufdrängen lassen. Unsere Partner sind diejenigen Kräfte,

  • die sich dem Projekt der Kolonisierung der Ukraine durch den globalen Kapitalismus widersetzen,
  • die aber dabei nicht auf den Nationalismus der einen Seite mit Nationalismus der anderen antworten – auch nicht mit einem vorgeblich „progressiven“ - anstelle eines chauvinistischen – Nationalismus; sondern
  • die stattdessen für ein ökonomisches, soziales und politisches Modell arbeiten, das von den Interessen der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ausgeht und das ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.

Die sich

  • für eine friedliche, demokratische Lösung des Konflikts,
  • für eine bündnisfreie Ukraine und
  • für den Aufbau eines Systems der gegenseitigen Sicherheit einsetzen. Denn sinnvoll gestaltete Sicherheit kann es für die Ukraine und für ganz Europa nur mit, aber nicht gegen Russland geben.

Und wir betonen: Es gibt kein Recht auf eine „humanitäre Interventionen“! Durch niemanden! Hände weg von der Ukraine! – das sind drei Hände: die EU, die NATO und Russland.

Vor 15 Jahren haben die Nato und damit Deutschland mit dem kriminellen Krieg gegen Serbien und der völkerrechtswidrigen Abtrennung des Kosovo die „Büchse der Pandora“ geöffnet.
Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien, Ukraine, Venezuela – unterschiedliche Kontinente, unterschiedliche Regierungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Opfer einer imperialistischen Politik sind, die mit dem Mittel des „regime change“ „Rivalen“ und „Störer“5
beseitigt und das Ordnungsgefüge und die Macht- und Gewaltstrukturen des globalen Kapitalismus mit allen Mitteln aufrechterhalten will.

Aber die kurze Zeit der unipolaren Weltordnung ist vorbei. Die USA und die Europäische Union werden sich daran gewöhnen müssen, dass das internationale System zu einer multipolaren Ordnung wird.
Wenn diese nicht in neuen Blöcken und Kalten – und heißen - Kriegen erstarren soll, dann braucht es statt hergebrachter imperialistischer Geopolitik eine Politik der Kooperation, des Interessenausgleichs, der Entspannung und Deeskalation.

Es ist Zeit zur strategisch angelegten Umkehr.

  • weg von der Logik des Kalten Krieges, der Idee der Dominanz, die sich am augenfälligsten an der Nato-Osterweiterung festmachen;
  • hin zu Kooperation und Stärkung des Völkerrechts, der OSZE und des Europarates,
  • hin zur Auflösung der Nato und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem in
    Europa unter Einbeziehung Russlands.

Von den Medien erwarten wir: Die Beendigung der antirussischen Kampagne.
Die Bundesregierung fordern wir auf:

  • Schluss mit der Unterstützung und den Kontakten zu faschistischen Kräften und Parteien der extremen Rechten in der Ukraine.
  • Die Beteiligung dieser Kräfte an der ukrainischen Regierung muss beendet werden.
  • Die faschistischen Kräfte in der Ukraine sind zu entwaffnen.
  • Die Morde durch Scharfschützen auf dem Maidan müssen von unabhängiger Seite untersucht werden.

Wir fordern

  • den Stopp des Aufbaus des sog. Raketenschirms auf deutschem Boden,
  • den Stopp der Aufrüstung mit Kampfdrohnen.
  • Schluss mit den Auslandseinsätzen der Bundewehr!
  • Schluss mit den Rüstungsexporten!

Dafür gehen wir auf die Straße:

  • Für den Frieden!
  • Für die Demokratie.
  • Gegen die Nazis bei uns und in ganz Europa!
  • Grenzenlos solidarisch – für ein anderes Europa: antimilitaristisch, friedlich, sozial, demokratisch, ökologisch, feministisch – grenzenlos solidarisch!.
  • 1 www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-nato-warnt-russland-vor-einmarsch-in-donezk-und-charkow-a-963183.html
  • 2 www.spiegel.de/politik/ausland/krim-und-nato-bundesregierung-will-osteuropa-militaerisch-unterstuetzen-a-962811.html
  • 3„Die einzige Weltmacht“, Fischer Taschenbuch, Mai 1999
  • 4„Was die jetzige Situation so schwierig macht und auch das Gespräch so schwierig macht, hat ja eine Ursache auch in Kiew selber, nämlich die Tatsache, dass dort ein fataler Tabubruch begangen worden ist, dem wir auch noch applaudieren, der Tabubruch nämlich, zum ersten Mal in diesem Jahrhundert völkische Ideologen, richtige Faschisten in eine Regierung zu lassen, und das ist ein Schritt zu weit.“
  • 5 www.swp-berlin.org/de/projekte/neue-macht-neue-verantwortung/das-projekt.html