Ansprache anlässlich der Beerdigung von Margrit Braun
Hedda Sachs (ex Truderinger Frauen für Frieden und Abrüstung)

Für Margrit

„Ich gehe langsam aus der Zeit hinaus, in eine Zukunft jenseits aller Sterne, und was ich war und bin und immer bleiben werde, geht mit mir ohne Ungeduld und Eile, als wär ich nie gewesen oder kaum.“
Dieser Text von Hans Sahl hat Margrit in den letzten Monaten begleitet und auch getröstet, wenn sie selber aus der Zeit geraten war. Es waren wie Vorübungen und jetzt hat sie es geschafft und ist friedlich eingeschlafen.

Es ist gar nicht so leicht von Margrit zu reden, weil ich immer ihr Gesicht vor mir sehe, wie sie sagt: „Bloß nicht zu viel Lob“, Ja, was denn sonst Margrit?

Es gibt ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz, in dem sie schreibt, dass die Toten noch drei Tage unsichtbar unter den Lebenden weilen und allerlei merkwürdige Dinge tun. Wir hatten viel Spaß damit uns auszudenken, was wir alles anstellen würden. Aber Margrit die drei Tage sind vorbei und Du kannst mir nicht einfach das Mikrofon abstellen.

Ich fang einfach mal so an: Sie war weltoffen, ungemein vielseitig, menschenfreundlich, klug, im Alter sogar weise. Sie liebte die Malerei und vor allem die Literatur. Gedichte waren für sie Lebenselexier, von Hölderlin, über Brecht, Bachmann, Celan und und und bis hin zu Ernst Jandl. Ein Gedicht von ihm haben wir öfter mit Vergnügen zitiert:

„Wir sind die Menschen auf den Wiesen
Bald sind wir die Menschen unter den Wiesen
und werden Wiesen und werden Wald
Das wird ein fröhlicher Landaufenthalt.“

Ich habe sie gefragt, als was sie wiedergeboren werden möchte. „ Als Huflattich“ hat sie gesagt. „Es ist eines der ersten Blüten im Frühjahr mit einem wunderbaren, satten Gelb, sehr genügsam, wächst sogar auf Steinhaufen und hilft bei gesundheitlichen Problemen“.

Es gibt einen Spruch von Hermann Hesse, der wie ich finde, gut zu Margrit passt: „Die besten Waffen gegen die Infamitäten des Lebens sind Mut, Eigensinn und Geduld. Mut bringt Tapferkeit, Eigensinn macht Spaß und Geduld gibt Ruhe.

Ja, Mut hatte Margrit, sie war eine Kämpferin und musste es von Anfang an sein. Viel zu früh geboren und eigentlich nicht lebensfähig, musste sie kämpfen die kleine Margareta von Stein, Lützenstein zu Barchfeld, zu der eine Tante sagte: „Vergiß nie, dass Du eine von Stein bist!“ Das hat sie sicher nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tante mit dem Ergebnis zufrieden war.

Aufgewachsen in der Nazizeit war sie später zutiefst entsetzt über die furchtbaren Verbrechen, die nicht nur die Nazis verübt hatten, aber auch darüber wie wenig sie davon wahrgenommen hatte. Wohl deshalb kämpfte sie mit so viel Engagement für Menschenrechte, gegen Militarismus, vor allem gegen atomare Rüstung und jegliche Form von Unterdrückung.

Sie ging auf die Straße. Eingebunden in die Gruppe mit dem schönen Namen „Öffentliche Aufforderung zum gewaltfreien Widerstand gegen Rüstung und Krieg“. Sie protestierten, demonstrierten und blockierten und mussten vor Gericht. Diese Verbindungen und Freundschaften blieben bis zum Schluss bestehen.

Später dann bei den Truderinger Frauen für Frieden und Abrüstung war sie der Mittelpunkt und die pazifistische Seele unserer Gruppe. Aber sie auch keine Angst vor Provokationen, wir waren ja der Meinung, dass alte Weiber sich eine Menge leisten können. Straßentheater macht ihr viel Spaß, egal welche Rolle. Als sie ihre Arm nicht mehr bewegen konnte, war sie eben die Putzfrau, die beim Abstauben von Tellerminen verletzt worden war, als sie nur noch schwer gehen und sehen konnte, spielte sie den Schäuble im Rollstuhl mit Rasterbrille und als sie ihr Zimmer nicht mehr verlassen konnte, hat uns ihre Stimme auf dem Marienplatz begleitet. An ihrem Bett haben wir heftig diskutiert, Briefe geschrieben und unsere Weihnachtskarten entworfen immer als Leitfaden ihre präzisen, klaren Formulierungen.

Wenn sie allerdings etwas nicht einsah, oder nicht einsehen wollte, konnte sie auch ganz schön eigensinnig sein, sozusagen bayrisch bockbeinig, wie sie ja bei allem Intellekt auch eine sehr bodenständig Seite hatte und einen herzhaften Humor. Ich glaube von dem Eigensinn hat die Familie öfter Mal was abgekriegt. Ja , die Sohnfamilie, das war ihre Basis, die ihr Sicherheit gab und der ihre tiefe Zuneigung galt und da war ja auch die Freude an der kleinen Urenkelin. Für all die vielen Handreichungen und Hilfestellungen, die sie mit großer Selbstverständlichkeit bekam, war sie von Herzen dankbar.

Margrit hat uns gezeigt wie man auf wunderbare Weise alt werden kann, trotz aller Schmerzen und Einschränkungen. Nie bitter über die fortschreitende Behinderung, mit kaum fassbarer Geduld.

Und so nahm sie auch im Heim die Achtsamkeit und Zuwendung, die man ihr entgegenbrachte nicht für eine Selbstverständlichkeit. Sie hatte großen Respekt vor der schweren und schwierigen Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger. Sie fühlte sich wohl und gut versorgt. Trotzdem war sie manchmal so erschöpft, dass sie nur einschlafen wollte und am nächsten Morgen enttäuscht feststellen musste, dass sie immer noch da war. Aber dann ging es ihr wieder besser und sie sagte: „die kochen hier so gut, da will man ja gar nicht sterben.“

Und da war ja noch die Katze. Margrit liebte Katzen und sie haben sie sehr lange begleitet. Die Katze des Heimleiters auf dem Bett und beide waren entspannt im Nichtstun.

Sie war nicht einsam, hatte viel Besuch, immer standen irgendwo neue Blumen. Sie war etwas traurig, dass sie nicht jedem nochmals Danke sagen konnte.

In einem ihrer Lieblingsbücher, dem Stechlin von Theodor Fontane heißt es:
„Immer enger, leise, leise ziehen sich die Lebenskreise“

Und jetzt sind sie ganz geschlossen und wir stehen draußen mit unserer Zuneigung und Dankbarkeit.

Friede mein Herz
Lass süß die Zeit des Abschieds sein
Lass es Vollendung sein nicht Tod
Lass Liebe zu Erinnerung werden
und Lieder aus dem Schmerz entstehen

Margrit Du warst ein Geschenk.