Paul B. Kleiser bei der Antikriegstag-Kundgebung auf dem Münchner Marienplatz am 31.8.2019
(Text am Platz gekürzt vorgetragen)
Liebe Friedensfreunde und –freundinnen,
liebes Publikum,
wir gedenken heute des 80. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkriegs als dem Höhepunkt eines Zeitalters der modernen Barbarei. Der 2. Weltkrieg hat nicht nur 60 Millionen Menschen das Leben gekostet und noch mehr zu Invaliden gemacht, sondern auch große Teile Europas und Asiens verwüstet. Alle Erdteile waren direkt oder indirekt betroffen. Und er war ein Versuchsfeld für zahlreiche Methoden des organisierten Massenmordes bis hin zu Auschwitz und Hiroshima! Der Weltkrieg stand am Ende eines politischen Radikalisierungsprozesses, der dazu führte, dass ein Menschenleben immer weniger wert wurde. Angesichts des weltweiten Aufschwungs neofaschistischer Bewegungen heute sollte uns dies eine klare Warnung sein! Wehret den Anfängen!
Der Zweite Weltkrieg hatte viele Vorgeschichten:
Das faschistische Italien führte Mitte der dreißiger Jahre einen heute wenig bekannten Kolonialkrieg in Äthiopien, der bereits Ausmaße eines Völkermordes annahm. Der in Europa vorherrschende Rassismus führt dazu, dass die kolonialen Massaker in Afrika (Algerien) oder auf dem indischen Subkontinent bis heute kaum wahrgenommen werden. (Die Opfer waren ja „nur“ farbige Menschen!)
Im Osten überfiel das kaiserliche Japan Korea und China, um sich große Teile dieses Landes – und vor allem seine Rohstoffe – anzueignen. Die Zahl der Toten auch dieses verbrecherischen Krieges ging in die Millionen.
Das wichtigste Exerzierfeld zur Kriegsvorbereitung in Europa war jedoch der spanische Bürgerkrieg. Dort zeigten der Putschgeneral Franco und die ihn unterstützenden faschistischen Mächte Italien und Deutschland, wie man demokratische Errungenschaften liquidiert und eine starke (aber gespaltene) Arbeiterbewegung in die Knie zwingt. Bereits 1937 machte die baskische Kleinstadt Guernica Bekanntschaft mit dem Bombenterror der deutschen „Legion Condor“; von ihrer Bevölkerung überlebten nur wenige. Pablo Picasso hielt diese Tragödie in einem seiner großartigsten Werke fest.
Auch in Deutschland war die Zerschlagung der gespaltenen Arbeiterbewegung das vorrangige Ziel der Nazis; im ersten KZ in Dachau fanden sich Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter Seit an Seit ihrer grundlegenden Rechte beraubt. Ohne Ausschaltung der inneren Opposition keine „Volksgemeinschaft“, ohne Volksgemeinschaft keine brutale Aufrüstung und keine Rationierung der Lebensmittel usw.
Der Zweite Weltkrieg war in vielerlei Hinsicht eine Fortsetzung des Ersten und wurde von den „Eliten des Reiches“ auch so gesehen. Sie stimmten größtenteils in ihrer rassistischen und kolonialistischen Ideologie überein – sogar wenn die Mehrheit von ihnen sich Christen nannten. Dabei ging es ihnen um zwei Hauptziele: 1. Die Niederwerfung der Westmächte, vor allem Großbritanniens, um in Europa zur Hegeminialmacht aufzusteigen und sich die anderen Nationen dienstbar zu machen; und
2. um die Zerschlagung der Sowjetunion als dem Produkt der Großen Oktober-Revolution zum Ende des 1. Weltkriegs, was ihnen auch noch durch die verheerende Politik der Stalin-Führung (Ermordung der wichtigsten Generäle der Roten Armee) erleichtert wurde. Große Teile des Landes (Ukraine) sollten zum „deutschen Indien“ gemacht werden; dort sollten Deutsche angesiedelt und die einheimische Bevölkerung als „Untermenschen“ zu Sklaven gemacht – oder aber – wie die Juden – umgebracht und ausgerottet werden. Ich darf daran erinnern, dass allein in den ersten beiden Monaten nach dem Überfall auf Polen im September und Oktober 1939 bereits 15.000 Zivilisten umgebracht wurden – mit dem Krieg begann auch der Völkermord! Und die Wehrmacht war integraler Teil von ihm!
Häufig wird so getan, als seien Hitler und die Nazis die Alleinschuldigen an Aufrüstung, Krieg und Völkermord gewesen. Spätestens seit der Wehrmachtsausstellung wissen wir, dass die Nachkriegs-Ideologie von der „sauberen Wehrmacht“ pure Propaganda gewesen ist. Ohne ihre Offiziere hätte man die Bundeswehr nicht gründen können! Die Wehrmachtführung war von Anfang an ins verbrecherische Treiben des Dritten Reiches eingebunden.
Aber die Nazis hätten ohne die 1. Unterstützung der deutschen Industrie, allen voran der Schwerindustrie sowie den Großagrariern – den berüchtigten „Kraut und Schlotbaronen“ von Rhein und Ruhr und aus Ostelbien – kleine Chance gehabt. Schon vor 1933 erhielten sie die Unterstützung von Thyssen, Krupp usw. Diese Politik wurde durch eine willfährige Presse – und der Hugenberg-Konzern hat hier das seinige dazu getan – propagandistisch begleitet. Ohne die Köpfe der einfachen Menschen umzudrehen, hätte die Politik der Nazis nicht funktionieren können. Das ist eine wichtige Lehre für heute z.B. mit Blick auf den Springer-Konzern und seine rassistischen Hetzblätter!
3. Sodann fanden die Nazis Unterstützung bei einem Gutteil des deutschen Adels, gerade auch der Hohenzollern. Es ist eine unglaubliche Unverschämtheit, wenn sich der heute Chef des Hohenzollern-Hauses hinstellt und zwei Schlösser dieser Raubritter zurückfordert! Auch das ist nur möglich aufgrund der katzbuckelnden Haltung wichtiger PolitikerInnen! Es ist kein Zufall, dass sich in der Mitgliedschaft der AfD (ich nenne sie „Affen für Deutschland“ – doch das ist eine Beleidigung der Affen) zahlreiche Adelige finden; anscheinend möchten Leute wie Frau von Storch, eine von Oldenburg, oder die Frau Doris von Sayn-Wittgenstein – in die 1930er Jahre zurück.
4. Und schließlich – last but not least – die beiden Kirchen: Der Bischof von Eichstätt (wir sind ja in Bayern), Michael Rackl, nannte den Krieg 1939 – wohlwissend, dass das erste Aggressionsziel das mehrheitlich katholische Polen war (!)
„einen Kreuzzug, einen heiligen Krieg für Heimat und Volk, für Glauben und Kirche, für Christus und sein hochheiliges Kreuz“. Und die deutsche Bischofskonferenz rief die Bevölkerung auf: „Mit der ganzen Autorität unseres heiligen Amtes rufen wir Euch heute wieder zu: Erfüllet in dieser Kriegszeit eure vaterländischen Pflichten aufs Treueste! Lasset Euch von niemandem übertreffen an Opferwilligkeit und Einsatzbereitschaft!“ (für ein Regime, dass sämtliche christlichen Gebote mit Füßen trat?) Von führenden Vertretern beider Konfessionen gibt es vergleichbare Äußerungen. Mir ist nicht bekannt, dass ein Bischof nach dem Krieg öffentlich um Entschuldigung für die Unterstützung der verbrecherischen Politik des Hitler-Regimes gebeten hat. (vgl. Publik Forum, Nr. 16, 23. August 2019) Der Katholik Hitler wurde noch nicht einmal exkommuniziert!
Häufig wird behauptet, demokratische Regierungen seien zu solchen Gewaltexzessen nicht in der Lage. Das verkennt, dass es sich auch hier um kapitalistische Länder handelt! Ihr höchster aller Götter heißt noch immer Profit! Schon ein Blick auf die Politik der USA in Vietnam sollte uns eines Besseren belehren (Von der Ausrottung der Indianer erst gar nicht zu reden!). Weniger bekannt ist das Eingreifen der Briten in die Befreiungskämpfe auf dem Balkan am Ende des 2. Weltkriegs, wo die Linke große Geländegewinne erzielen konnte. 1944 führte das sogar zur Bombardierung von Athen durch britische Bomber mit tausenden von Toten – nicht gegen die deutschen und bulgarischen Besatzer, sondern die Kämpfer der Befreiungsbewegung ELAM/ELAS!
Auch die kolonialistische Politik der Briten und Franzosen in Indien und Afrika schreckte vor Mordorgien nicht zurück. Sogar die relativ kleinen Länder Belgien und Niederlande errichteten ein mörderisches Kolonialregime im Kongo bzw. in Indonesien. Allen waren die dortigen Rohstoffe weit wichtiger als die Menschenrechte oder die Entwicklung der jeweiligen Länder!
Die Anti-Hitler-Koalition zerfiel wegen der deutschen Frage und der jugoslawischen und chinesischen Revolution. Damit begann die Politik des „containement“ und somit der Kalte Krieg, der in Korea zu einem heißen Krieg wurde. Die NATO wurde gegründet, um – wie ihr erster Generalsekretär sich klar ausdrückte, „to keep the Americans in, to keep the Russians out and to keep the Germans down“. Mit „Verteidigung der Freiheit“ (welcher?) hatte das nicht allzu viel zu tun.
Trump hat ausnahmsweise völlig recht, wenn er sagt, die NATO sei heute obsolet. „America first“ lautet seine Devise; dafür gibt er jährlich (mit Nebenhaushalten) fast 800 Mrd. Dollar für die Rüstung aus. Das sind über 40 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben! Die Feigheit der deutschen und europäischen PolitikerInnen verhindert, Konsequenzen aus der Einsicht, dass die NATO aufgelöst werden muss, zu ziehen. Statt einer neuen Friedensordnung in Europa droht – vor allem wegen der Konflikte in der Golfregion, aber auch die Kündigung des INF-Vertrages durch Trump – ein neuer Kalter Krieg. Die USA und die NATO-Führung möchten, dass die Mitgliedsstaaten zwei Prozent ihres BIP für die Rüstung auszugeben, auch zur Unterstützung der gigantischen US-Rüstungsindustrien. Würden die Europäer unabhängig und konsequent handeln, bestünde heute die Chance, ein ziviles europäisches Sicherheitssystem unter Einschluss auch von Russland und der Ukraine zu errichten. Das setzte voraus, dass die Europäer sich endlich auf ihre Eigenständigkeit besinnen! Die eingesparten Milliarden könnten dann z.B. zur weltweiten Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt werden, wo sie dringendst benötigt werden.
Seit der iranischen Revolution von 1979 – die das blutige Schah-Regime, ein Handlanger der Interessen der USA in der Golfregion, durch eine riesige Massenbewegung stürzte –, versuchen Großbritannien und die USA, die diese Region traditionell ausbeuteten, ihnen freundlich gesinnte Regime einzusetzen. Dabei können sie sich besonders auf das hyperdemokratische Saudi-Arabien (6 000 Prinzen bestimmen, wo’s lang geht!) stützen, den größten Ölproduzenten der Region und einen der größten Waffenkäufer weltweit. Saudi-Arabien und der Iran fechten im Jemen einen Stellvertreterkrieg aus, der bereits tausenden Menschen das Leben gekostet hat. Der Wille der dortigen Bevölkerung spielt mal wieder keine Rolle!
Angesichts der wahnsinnigen Politik der Trumpel-Administration in Washington (Kündigung des „Atom-Abkommens“ mit dem Iran) kann man nicht ausschließen, dass sich die Konflikte in der Region eskalieren und es zu einem größeren Krieg kommt. Schon unter Reagan und Bush wurde der Irak in einen Krieg gegen den Iran gehetzt; es wurde auf beiden Seiten eine Generation junger Männer geopfert und beide Länder in ihrer Entwicklung um Jahre zurückgeworfen. Auch die US-amerikanische Sanktionspolitik möchte die eigenständige Entwicklung dieser Länder verhindern. Das gilt partiell auch für die technologische Entwicklung der VR China, die von den USA (z.B. Kampf um Huawei) mit größtem Argwohn betrachtet wird.
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Karl Ischinger, hat vor einiger Zeit geäußert, die (für ihn notwendige) Modernisierung der Hochrüstung würde vor allem von der Friedensbewegung bekämpft; die neue Rüstungsspirale könnte ihr neues Leben einhauchen. Wir sollten alles tun, dass er Recht bekommt; es stehen gewaltige Aufgaben an, den Aufrüstungsfanatikern in den Arm zu fallen. Dazu ist eine (erneuerte) Friedensbewegung nötiger denn ja!