Rede zur Kundgebung am Freitag, 9.02.2007 auf dem Marienplatz
Liebe Freunde,
Vor etwa 22 Jahren stand ich hier an dieser Stelle und hielt eine Rede gegen die Wehrkundetagung, die damals im Hotel “Vier Jahres Zeiten” stattfand. Es ging um den damaligen Apartheidstaat Südafrika und die Sicherheitsinteressen des Westens. Diese Tagung war der Vorläufer der heutigen ”Sicherheitskonferenz“. Name und Tagungsort haben sich verändert sonst nichts. Wobei der Name Wehrkundetagung wenigstens ehrlicher war.
Damals und heute ging es dieser Tagung weder um die Freiheit noch um die Demokratie oder um die Menschenrechte und schon gar nicht um die Sicherheit der Völker. Es ging und geht ausschließlich um die Sicherung von Rohstoffen und ihren Transportwegen.
Damals hat die Bundesrepublik Deutschland heimlich militärisch-atomare Zusammenarbeit mit dem geächteten Südafrika betrieben. Wir von der Anti-Apartheid-Bewegung hatten diese Kumpanei aufgedeckt und wurden von Schmidt-Genscher Regierung aufs schlimmste defarmiert. Nach dem Ende der Apartheid hat Nelson Mandelas Südafrika die Dokumente über die Zusammenarbeit freigegeben. Wir hatten Recht und die Lügen der damaligen Bundesregierung waren enthüllt.
Heute muss der Holocaust herhalten, um vier deutsche U-Boote der Delfin-Klasse, die Atomwaffen bestückte Raketen tragen können, an Israel zu liefern. Der Nahe Osten, einschließlich Israel, ist heute das Spannungsgebiet per excellence. Diese Tatsache scheint weder die Bundesregierung noch die Mehrheit des Bundestags kapiert zu haben.
Waffenlieferungen in Spannungsgebiete verstoßen gegen deutsches Recht.
Die Gefahr, dass die USA ihr Bedrohungszenario gegen den Iran umsetzen wollen, wird immer größer. Man wirft der Iranischen Führung vor, Atomwaffen herstellen zu wollen, und das muss verhindert werden. Keiner von uns ist dafür, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt.
Aber
- um welchen Preis,
- mit welchem Mitteln und
- was ist mit den schon bestehenden 220 atomaren Sprengköpfen, die Israel heute nachweislich besitzt?
Diese Doppelmoral ist ekelhaft. Sie trägt zu der so oft beklagten Politik- bzw. Politikerverdroßenheit maßgeblich bei. Hier 500 Meter Luftlinie von den Konferenzräumen der so genannten Sicherheits-Strategen entfernt - fordern wir heute:
Der gesamte Nahe Osten - einschließlich Israel - muss zur atomwaffenfreien Zone gemacht werden.
Der Nahe Osten gerät immer mehr außer Kontrolle. Die Hölle ist los im Vorhof Europas:
Der Libanon ist gespalten. Regierung und oppositionelle Kräfte lauern auf einander und warten, wer als erster die Lunte zum nächsten Bürgerkrieg zünden wird.
Die sog. freie Welt hat vor einem Jahr den Palästinensern den Geldhahn zugedreht, weil diese die Hamas gewählt hatten. Seitdem läuft im Gaza-Streifen das, was der israelische Friedensaktivist Uri Avneri ”das größte soziologische Experiment der jüngeren Geschichte“ nannte: ”Man riegelt anderthalb Millionen Menschen von der Außenwelt ab, beendet die Hilfe für sie, sorgt dafür, dass auch der letzte Rest ihrer Wirtschaftsaktivität erstirbt - und schaut dann zu, was passiert“.
Was passiert, ist jeden Abend im Fernsehen zu sehen: Im Gaza-Streifen haben sie begonnen, über einander herzufallen und Israel reibt sich dabei die Hände. Gestern Nacht wurde ein Abkommen zwischen Fatah und Hamas in Mekka unterzeichnet. Es ist noch zu früh es jetzt zu kommentieren. Mir sind die Einzelheiten nicht bekannt.
Im Irak haben wir es faktisch mit einem Bürgerkrieg zu tun. Die neuen Anschläge erreichen Rekordhöhen. Der Kampf zwischen Besatzungstruppen und den Aufständischen nimmt an Härte zu. Die UNO spricht von 100 Toten am Tag. Das Land verblutet. Wer kann geht weg. Das Land verliert seine Eliten. Es gibt keine Hochschullehrer mehr im Irak.
Für diese katastrophale Entwicklung im Nahen Osten gibt es zahlreiche Ursachen, hausgemachte sowie äußere. Ich benenne nur die drei wichtigsten:
- Das ungelöste Palästina-Problem: Die Besetzung der Westbank und der Golanhöhen sowie die Abschnürung des Gaza-Streifens durch Israel.
Und diese Politik der Aushungerung der besetzten Gebiete wird nicht zuletzt von der EU getragen
- Die Besetzung des Irak durch angloamerikanischen Truppen und das Spiel mit dem Feuer, d.h. das Setzen auf die ethnische und die religiöse Karte
- Die massive militärische Bedrohung des Iran durch die USA
Der seit 2003 andauernden Krieg im Irak und der Libanonkrieg im Sommer 2006 haben den USA und Israel die Grenzen ihrer Militärmacht gezeigt. Sie haben es nicht geschafft, das Gleichgewicht in der Region zu ihren Gunsten noch weiter zu verschieben.
Westliche Analytiker sprechen sogar vom Ende der US-Hegemonie. Sie stellen fest, dass die USA angesichts eines ”komplizierter, chaotischer und labiler gewordenen Naher Ostens“ immer weniger in der Lage sein werden, mit der Situation fertig zu werden. So der diplomatische Korrespondent der BBC, Jonathan Marcus.
Deshalb die neue Strategie der Flucht nach vorne.
Saudi-Arabien, Jordanien, die Golfstaaten, die libanesische Regierung und ägypten. Alle sollen unter US-Regie eine gegen den Iran, gegen Syrien und die Hisbollah gerichtete sunnitische Front bilden.
Die Reise von Frau Merkel hat u.a. diesem Ziel gedient.
Und das ist das Schlimmste was dem Nahen Osten droht:
die Konfessionalisierung der nationalen Konflikte:
Sunniten gegen Schiiten. Schiiten gegen Sunniten. Muslime gegen Juden. Juden gegen Muslime. Muslime gegen Christen. Christen gegen Muslime. usw. usf.
Ganze Generationen von Menschen werden den Tag verfluchen, an dem dieses Drehbuch geschrieben wurde. Ich frage die Herren neben an im Bayerischen Hof, wie sie der Geist, denn sie aus der Flasche entweichen ließen, jemals wieder bändigen können.
Dieses Drehbuch beinhaltet am Ende einen militärischen Angriff auf den Iran.
Die Uhr tickt um Iran
Es wurde in den Medien berichtet, dass US-Langstrecken Bomber sowie israelische Maschinen intensiv üben, wie sechs Atomanlagen im Iran getroffen werden können. Die Ziele sollen zuerst mit lasergesteuerten bunkerbrechenden Bomben angegriffen werden. Um die Anlagen für Jahrzehnte unbrauchbar zu machen, werden durch die entstandenen Löcher atomare Mini-Sprengköpfe hinein gebombt.
Das ist die neue Strategie, mit der Bush und Olmert in ihrem ”Anti-Terrorkrieg“ auf die Asymmetrie dieser Art Kriege antworten wollen.
Dieses Horrorszenario gilt es, mit allen Mitteln zu verhindern
Denn dieser Brand wird mit Sicherheit nicht an den Grenzen der Region halt machen.
Der Nahe Osten kann nur durch einen großen Politik-Entwurf für die ganze Region gerettet werden:
Und nur ein solcher Entwurf ist in der Lage, die verkrusteten Gesellschaftsstrukturen in der arabischen Welt zu knacken und großen Reformen den Weg zu ebnen.
Das ist keine neue Idee. Ende letzten Jahres hat die Irak-Studiengruppe unter der Leitung von Ex-Außenminister James Baker und Senator Hamilton einen solchen Entwurf erarbeitet. Bush ignorierte das Ganze.
Folgende Eckpunkte halte ich bei einem Politentwurf für den Nahen und Mittleren Osten für unverzichtbar:
- Ein Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern, der die Besatzung real beendet und einen Staat Palästina auf alle von Israel seit 1967 besetzten Gebieten möglich macht.
- Rückgabe der Golanhöhen an Syrien und die Shebaa-Farmen an Libanon
- Ein Friedensabkommen zwischen Israel und allen Staaten der Region einschließlich Iran
- Einbeziehung aller Regionalmächte, d.h. Iran und Syrien und eventuell die Türkei in einen Friedungsplan für den Irak, der den Rückzug aller ausländischen Truppen und Auflösung aller Milizen beinhaltet.
- Atomwaffenfreie Zone im gesamten Nahen und Mittleren Osten
Dieser weitreichende, aber einzig Erfolg versprechende Politik-Entwurf lässt sich nur umsetzen, wenn der Westen endlich eine aufrichtige Politik ohne Doppelmoral in der Region verfolgt.
Und dafür müssen wir mit unserem Engagement sorgen!