Thomas Lechner bei der großen Münchner EU-Demo 19.5.2019
Liebe Freundinnen und Freunde!
Europa, so wie wir es heute erleben, ist in sich eine Ansammlung von Widersprüchen: Ja, wir genießen grenzenloses Reisen mit derselben Währung, doch nur wenige haben das Geld, um diese Grenzen zu überschreiten. Ja, der Kontakt zu den Menschen in unseren Nachbarländern ist einfacher geworden, gleichzeitig schotten wir uns ab, damit niemand zu uns kommen kann. Unsere Regierungen lassen dafür sogar Menschen im Mittelmeer ertrinken und bestrafen ihre Retter. Ja, in Deutschland geht es vielen ziemlich gut. Gleichzeitig erleben wir Wirtschaftskrisen und befördern sie. Ja, wir leben in Frieden, gleichzeitig tragen wir mit unserem Handel und unserer Umweltverschmutzung dazu bei, dass Menschen in ihren Ländern nicht mehr leben können und fliehen müssen. Und ja, Europa ist eine tolle Idee, aber viele bekommen von diesen Idee nicht viel mit, weil ihnen am Monatsende nicht genug Geld bleibt und sie sich in die europäische Idee nicht eingebunden fühlen.
Aus diesen Beweggründen haben wir uns im Bündnis „Ein Europa für alle“ zusammengefunden. Wir stellen uns die Frage - in der EU genauso wie in den jeweiligen Mitgliedsländern – wie wir eine gesellschaftliche Kraft werden und demokratisch entscheiden können und wie wir die Lösung der sozialen Probleme und die bedingungslose Achtung der Menschenrechte wieder zu DEN prioritären Themen im politischen Alltag machen können, von der kommunalen Ebene bis hin zur globalen Perspektive.
Dabei haben wir viele Gegner: Der Rechtsruck wird ja nicht nur durch den Aufmarsch der Nationalisten bestimmt, sondern auch durch immer autoritärere Gesetze und Strukturen, welche schlussendlich den Autokraten und Rassisten in die Karten spielen und unsere Freiheit langsam sterben lassen.
Wir haben jedoch eine historische Verantwortung. Gerade hier auf dem Odeonsplatz sollten wir uns das bewusst machen. Die heutige Umwidmung von einigen Orten mit nationalsozialistischer Vergangenheit durch die Verwendung der goldenen Rettungsdecke, dem Symbol der Vielen, soll uns genau an diese Verantwortung erinnern.
Aber: uns läuft die Zeit davon; im Kampf gegen Rechts genauso wie beim Klimawandel: Resolutionen werden beschlossen, die notwendigen Entscheidungen dazu verweigert. Jeden Freitag erinnern uns viele junge Menschen an diese Verantwortung.
Doch auch das Nichtlösen der drängenden sozialen Probleme bereitet einen Nährboden für totalitäres und nationalistisches Gedankengut. Und wer Millionen von Menschen in den globalen Wanderungsbewegungen im Stich lässt, beschädigt demokratische Strukturen genauso wie diejenigen, die militärisch immer weiter aufrüsten und mit Rüstungsexporten weltweit zahlreiche Kriege befeuern.
Zu lösen sind all diese Probleme auf zwei Ebenen:
- mit einer gerechten Verteilung des gesellschaftlich und global erwirtschafteten Reichtums, um die Lebensgrundlagen ALLER Menschen zu sichern
- und durch die Weiterentwicklung demokratischer Strukturen.
Wir müssen Formen des politischen Handelns entwickeln, die den sozialen Frieden und die Gleichberechtigung ALLER Menschen garantieren um eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Oder auch einfach nur um das Überleben auf diesem Planeten garantieren zu können.
Aber – und das begeistert mich an der Bewegung, die sich insbesondere in München in den letzten Jahren entwickelt hat: Es spielt immer weniger eine Rolle, dass wir uns im Detail an unterschiedlichen Themenfeldern abarbeiten; WIR haben begonnen, unsere Ziele GEMEINSAM zu denken und unsere Kämpfe – wo immer das geht – ZUSAMMEN zu führen: vereint in der Vielfalt, so wie wir uns heute hier versammelt haben. Denn dort wo Vielfalt verkümmert, stirbt auch die Demokratie.
All diese Auseinandersetzungen führen wir mit dem Wahlzettel genauso wie auf der Strasse, in den Parlamenten genauso wie auf den verschiedensten Ebenen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten. Deswegen ist es so großartig, dass wir heute mit so vielen Menschen hier und in rund 50 europäischen Städten auf die Strasse gehen.
„Wir sind DieVielen“ sagen die Kunstschaffenden und #Wirsindmehr ist der zentrale Slogan aus dem letzten Herbst. Es hat sich #ausgehetzt, dafür gingen wir im letzten Jahr zu Tausenden auf die Straße. Wir kämpfen – nicht nur freitags – for Future: All unsere Aussagen beinhalten eine Vielfalt von Meinungen, Utopien, Ideen und Lebensrealitäten.
Als fortschrittliche, demokratische Kräfte beginnen wir dabei zu realisieren, dass wir im Traum von einer gerechteren und sozialeren Welt trotz unserer Unterschiede ALLE auf der gleichen Seite stehen.
WIR haben beschlossen, diese Unterschiede auszuhalten. Wir sehen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die EU-Menschenrechtskonvention und unser Grundgesetz als eine solide gemeinsame Wertegrundlage und so kann uns die Auseinandersetzung um unsere Unterschiedlichkeit sogar bereichern, denn: wir wollen einen grundsätzlich solidarischen Umgang ALLER demokratischen Kräfte!
Lasst uns alles in unserer Macht stehende tun, damit die hier entstehende Bürgerbewegung unsere Gesellschaft erneuern und ein wirkliches Europa für ALLE aufbauen kann. Und lasst uns dabei Rassismus und Diskriminierung in all ihren Ausformungen entschieden entgegen treten! Wirklich ausgehetzt ist nämlich erst, wenn alle Menschen die hier leben gleichberechtigt sind und ihre Menschenwürde zu 100% garantiert wird!
Ich wünsche Euch und uns allen eine laute, bunte, fröhliche und kraftvolle Demo.