Redebeitrag von Julia Killet beim Auftakt des Münchner Ostermarsches 19.4.2014 in München am Platz der Opfer des Nationalsozialismus
Ostermarsch München 2014
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Rassismus verhindert das friedliche Zusammenleben!
Julia Killet für das „Bündnis gegen Naziterror und Rassismus“
Liebe Münchnerinnen und Münchner, liebe friedensuchende Teilnehmerinnen und Teilnehmer am heutigen Ostermarsch!
Mit dem Ort für diese Auftaktkundgebung dem „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“ wird an ein schreckliches Kapitel deutscher Geschichte erinnert. Es ist schade, dass für einen historisch so bedeutenden Erinnerungsort, kein schönerer - besinnlicher Platz in München gefunden wurde.
Überhaupt sind Münchner Orte des Erinnerns für Menschen rassistischer Gewalt - damals wie heute – nur vereinzelt zu finden. So wurden zum Beispiel Stolpersteine im Stadtrat bereits 2004 abgelehnt. Wenig weist darauf hin, dass wir in der Hauptstadt der nationalsozialistischen Bewegung leben. Auch eine Dauerausstellung im Stadtmuseum kann darüber nicht hinweg täuschen.
Für die beiden Mordopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ in München ist nur eine kleine Tafel angebracht worden. Solidaritätsbekundungen der Stadt gemeinsam mit den Münchnerinnen und Münchnern blieben bis heute aus. Und dabei s bleiben so viele Fragen offen – die auch kein NSU Prozess klären kann. Was ist mit dem umfassenden Netzwerk von weit über 100 Personen, die laut Ermittlungsbehörden seit 1998 Kontakt zum NSU-Trio gehabt haben sollen? Was ist mir den 25 Personen, die sich auf der Adressliste befanden, mit denen Böhnhardt und Mundlos ihr Untertauchen vorbereitet hatten? Wo bleiben die Konsequenzen aus den erschreckenden Erkenntnissen seit 2011?
Um zu erinnern, aufzuklären und zu handeln hat sich Ende 2012 das "Bündnis gegen Naziterror und Rassismus" gegründet. Wir sind ein breiter, heterogener Zusammenschluss von Parteien, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Initiativen und autonomen Antifa Gruppen.
Bisherige Aktionen waren eine bundesweite Großdemonstration mit ca. 10.000 Menschen anlässlich des NSU-Prozessauftakts im April 2013. Die Demonstration war die größte antirassistische und antifaschistische seit mehr als 20 Jahren.
Am Tag des Prozessauftakts organisierte das Bündnis eine Kundgebung vor dem Landgericht.
Neben Pressemitteilungen und Statements zu Nazis und Flüchtlingspolitik trat das Bündnis außerdem mit zwei Saalveranstaltungen im DGB-Haus und eine Veranstaltung zu den Münchner Morden im Rationaltheater auf.
Des Weiteren fand im März 2014 eine vom "Bündnis gegen Naziterror und Rassismus" initiierte Großdemonstration gegen das Münchner Nazizentrum im Stadtteil Obermenzing statt, an der sich knapp 1000 Menschen beteiligten.
Für den 25. April 2014 plant die bayerische Naziszene ihre jährliche “Gedenkwache” für den Holocaustleugner Reinhold Elstner der sich 1995 aus Protest gegen die “Wehrmachtsaustellung” selbst verbrannte. Auch hier wird das Bündnis lautstark um 19:45 auf dem Max-Joseph-Platz vor der Oper präsent sein.
Gemeinsam mit der Initiative „Keupstrasse ist überall“ wird das Bündnis, an den Tagen an denen die Keupstrasse im NSU-Prozess verhandelt wird, im und um das Gericht präsent sein. Geplant ist auch eine Demonstration am Prozessbeginn. Leider ist noch nicht klar, wann die Keupstraße verhandelt werden soll. Trotzdem brauchen wir sehr viel Unterstützung vor Ort, da die Könlnerinnen und Kölner mit Bussen und mehr als 100 Leuten hier her kommen wollen. Für mehr Infos haltet Augen und Ohren offen und checkt die Bündnisseite nsuprozess.blogsport.de
Die Keupstraße ist bekannt als die zentrale Geschäfts- und Ladenstraße der türkischen Community in Köln; weit über die Stadtgrenzen hinaus. Am 9. Juni 2004 explodierte am helllichten Tag auf der Keupstraße eine von Nazis gezündete Nagelbombe mit dem Ziel, möglichst viele, vermeintlich nicht-deutsche Menschen zu töten und zu verletzen und deren anliegende Geschäfte und Häuser zu zerstören.
Dieser versuchte Massenmord durch den Nationalsozialistischen Untergrund, der nur durch glückliche Zufälle keine Todesopfer gefordert hat, steht in der Kontinuität einer rassistischen Konjunktur, die seit dem Mauerfall hunderten von Menschen das Leben kostete und nicht nur unter Migrantinnen und Migranten entsetzliches Leid verursachte.
Bis zur Selbstenttarnung des NSU 2011 ermittelten die Behörden ausschließlich gegen die zum Teil schwer Verletzten und Geschädigten der Bombe und machten aus Opfern Täter. Sieben Jahre lang wurden die Menschen der Keupstraße schikaniert. Ein Schwerverletzter wurde von der Polizei direkt von der Intensivstation abgeholt und sechs Stunden lang verhört. Eine Angehörige wurde nachts zu stundenlangen Verhören geladen. Die Medien und die Öffentlichkeit flankierten diese Handlungen mit dem Gerede von kriminellen Ausländermilieus. Der rassistische Anschlag, der für die Keupstraße mit der Bombe von 2004 begann, fand dadurch seine Fortsetzung.
Dieses erschreckende Vorgehen der Behörden und das Wegschauen der Gesellschaft ist exemplarisch für die 10 weiteren Morde durch den NSU: Opfer wurden als Täter behandelt – Existenzen zerstört. Eine Wiedergutmachung wird sicherlich schwierig, falls sie überhaupt gelingen kann.
Die allmähliche Aufdeckung der Zusammenhänge rund um die Taten des NSU zeigen ein bis dato einmaliges Ausmaß an Staatsversagen und Staatsverschulden. Die langesame Annäherung an die Wahrheit bringt immer wieder zu Tage, in welchem Maße staatliche Organe versuchen ihre Beteiligung an und ihre Wissen über den NSU zu leugnen und alle Unterlagen und Beweise zu ihren Verstrickungen am besten gleich ganz zu schreddern. Das Auftreten der offiziellen Vertreter*innen der Ermittlungsbehörden im NSU-Prozess zeigt auch zwei Jahre nach dem Aufdecken des NSU ein erschütterndes Maß an Ignoranz und Verleumdung. Trotzdem sind die Forderungen nach einer Auflösung des Verfassungsschutzes bereits wieder weitgehende verstummt. Auch der unsägliche Einsatz von V-Leuten wird kaum noch grundsätzlich in Frage gestellt. Stattdessen zeichnen sich eher eine Stärkung der Rolle und Kompetenzen des Inlandsgeheimdienstes ab.
Auf der anderen Seite werden Aktivitäten von Friedensbewegung, antifaschistischen oder antirassistischen Initiativen und den als „linksradikal“ eingestuften Parteien weiter im Verfassungsschutzbericht, auf der Seite „Bayern gegen Linksextremismus“ und auf dem Bögen zur sogenannten Verfassungstreue als „Linksextremistisch“ diffamiert und Aktivist*innen aus diesen Bereichen das Leben erschwert.
Der institutionelle Rassismus der Behörden und der gesellschaftliche Rassismus in den Medien stehen ebenfalls kaum noch im Fokus der Öffentlichkeit. Im Gegenteil: rassistische Diskurse gegen Armutsmigration und Sozialtourismus werden wieder lauter. Wir müssen alle gemeinsam sämtlichen rassistischen Diskursen und Mobilisierungen rechtzeitig und konsequent entgegentreten. Wir müssen die politischen Verhältnisse verändern, die dem NSU erst das Morden ermöglicht hat. Denn Rassismus verhindert das friedliche Zusammenleben!
Hierzu gehört auch die Unterstützung der andauernden Kämpfe der Geflüchteten und Non-Citizens gegen ihre Entrechtung, Ausgrenzung und Diskriminierung. Die Kämpfe der Geflüchteten in Deutschland sind Teil der Kämpfe für ein Recht auf Bewegungsfreiheit und ein besseres Lebens beiderseits der Grenzen der Europäischen Union. Diese Kämpfe sind die richtige Antwort auf das Ausblenden des gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus in der sogenannten Aufarbeitung der NSU-Morde.
Doch zunächst wünsche ich uns nun einen erfolgreichen Ostermarsch 2014. Auch hier wenden wir uns einer wichtigen politischen Aufgabe zu, die leider nur zu oft verdrängt wird: Dem Kampf gegen Rüstungsexporte, dem Kampf gegen Rüstungsproduktion und dem Einsatz gegen die wachsende Militarisierung der Gesellschaft.
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.