Von der WAA 1986 bis heute ...
Sonja Schuhmacher, Heidi Nickl, Hilde Lindner-Hausner
Auf dem Marienplatz vorgelesen:
Vor dem Bauzaun der WAA bei Wackersdorf zu Ostern 1986 hatten wir wenig Hoffnung. Wie sollten wir gegen den scheinbar übermächtigen Staatsapparat noch etwas ausrichten? Hinter dem Zaun aus Stahl und einem Burggraben aus Beton rollten gepanzerte Wasserwerfer und spritzten CS-Gas auf die protestierende Bevölkerung. Dennoch haben wir nicht aufgegeben. Und am Ende haben wir gewonnen.
Zum Widerstand motiviert hat uns nicht nur die Sorge um unsere Umwelt und die Gesundheit unserer Kinder, nicht nur die Sorge um den strahlenden Müll, den die Politiker künftigen Generationen aufhalsen wollten, sondern auch die Sorge, dass die angeblich friedliche Nutzung der Atomkraft das Material für den Bau von Atomwaffen liefert – ein wesentlicher Anreiz für den damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, der gerne die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet hätte. Dieser Wunsch nach dem Besitz von eigenen Atomwaffen wird mittlerweilen als ursächlich für die sogenannte friedliche Nutzung der Kernenergie - dabei spielte die Wiederaufarbeitung eine große Rolle – angesehen.
Am Ende haben wir gewonnen. Wir konnten die WAA ebenso verhindern wie den Neubau weiterer Atomkraftwerke in Deutschland. Und was damals niemand für möglich hielt – wir haben es geschafft, dass die Erneuerbaren Energien zum Erfolgsmodell wurden und inzwischen rund ein Drittel unseres gigantischen Stromverbrauchs decken.
Das Ende der Atomkraft in Deutschland zu beschleunigen, den Bau neuer Meiler sowie die Laufzeitverlängerung alter Schrottmeiler in den Nachbarstaaten zu verhindern, in Deutschland konsequent Schluss zu machen mit der Atommüllproduktion, auch in der Brennelementefabrik Lingen und und die der Uran-Anreicherungsanlage in Grohnde, die Verhinderung der Herstellung weiterer Atomwaffen, die Atommüllendlagerung, das sind unsere Herausforderungen.
Aber heute sehen wir auch, dass es nicht damit getan ist, die noch verbliebenen Meiler abzuschalten und ihren Müll verantwortungsbewusst zu lagern. Industrialisierung und Kapitalismus haben uns ein weiteres böses Erbe hinterlassen. Eine scheinbar unaufhaltsame Veränderung des Klimas der Erde.
Heute beträgt die CO2—Konzentration in der Luft 403 ppm (parts per million) – ein Wert, wie es ihn erdgeschichtlich zuletzt vor 10 Millionen Jahren gegeben hat. Damit wandeln sich die klimatischen Bedingungen auf der Erde grundlegend. Starkregen, Hitzewellen, Dürren und Ernteausfälle, eine Windhose über Hamburg sind davon nur die Vorboten. Keine guten Aussichten für Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung.
Organisationen wie Ende Gelände haben den Kampf gegen die Giganten der Fossilindustrie aufgenommen. Junge Menschen gehen mit friedlichen Blockadeaktionen zu Tausenden gegen die Klimakiller vor, allen voran Braunkohle. Die Organisation 350.org unterstützt solche Aktionen des zivilen Ungehorsams und ruft zum Divestment auf, das heißt, Kommunen, Universitäten, Kirchen und Pensionsfonds ziehen ihre Investitionen aus fossilen Energiekonzernen ab. In jüngster Zeit sind in Deutschland die Städte Münster und Berlin diesen Weg gegangen.
Aber die Medien berichten nicht kontinuierlich und eindringlich genug über die Gefahren der globalen Erwärmung. Deshalb ignoriert die Mehrheit der Bevölkerung den Klimawandel und klagt allenfalls über das Wetter. Und die Politiker der Bundesregierung wagen es, das Erneuerbare Energien Gesetz, ein Vorbild für die ganze Welt, kaputtzureformieren.
Wir Atomkraftgegner haben den Weg bereitet für die Energierevolution, die es ermöglicht hat, auf Atomkraft zu verzichten. Damit sind wir auch Friedenskämpfer. Wir finden, Atomwaffen sind ebenso überflüssig wie Kriege um Erdöl oder Gas-Pipelines. Aber unsere Gegner sind mächtig. Sie verdienen viel Geld mit fossilen Energien und gigantischen umweltschädlichen Projekten. Und mit ihrem Einfluss auf die Politik halten sie die Demokratie im Würgegriff.
Die vergangenen 15 Monate waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die globale Durchschnittstemperatur ist seit Beginn der Industrialisierung bereits um 1,3 Grad gestiegen, das 2-Grad-Ziel einzuhalten scheint bereits so gut wie unmöglich. Polkappen und grönländische Gletscher schmelzen, Wissenschaftler befürchten einen baldigen Anstieg der Meeresspiegel um mehrere Meter. Wir haben wenig Hoffnung. Aber wir geben nicht auf. Wir leisten Widerstand gegen neue Atomprojekte, gegen neue atomare Aufrüstung, gegen den Abbau von Kohle, gegen die Verseuchung der Atmosphäre durch Methan aus Fracking und jeder anderen Erdgasförderung. Wir setzen uns ein für Divestment, für das Abziehen öffentlicher Gelder aus unethischen Projekten. Wir werden blockieren, informieren und prozessieren. Wir erstreiten unser Recht auf Bürgerbeteiligung bei allen umweltschädlichen Großprojekten, wie es uns die Aarhus Konvention, ein internationaler Völkervertrag zugesteht. Wir wehren uns gegen Freihandelsverträge, die die Macht der Konzerne stärken und unsere Umweltbestimmungen und den Arbeitnehmerschutz aushebeln. Wir arbeiten an einer neuen nachhaltigen Wirtschaftsordnung, die dem Neoliberalismus ein Ende setzt, sich vom Wachstumsdogma verabschiedet und für eine gerechte Verteilung des Reichtums sorgt. Wir kämpfen für 100 Prozent Erneuerbare Energien. Wir unterstützen die Forderung auf Ächtung der Atomwaffen.
Und wir werden gewinnen.