Ostermarsch München Königsplatz - Beitrag Thomas Lechner (er war kurzfristig verhindert, wurde von Franz Haslbeck vorgetragen)
Liebe Friedensaktivistinnen und -aktivisten, liebe Muslime, Juden, Christ*innen und Menschen anderer Religionen sowie liebe Atheist*innen,
liebe Lesben, Transgender, Inter- und Bisexuelle, Schwule und sonstige Liebende,
liebe Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte…
Frieden ist eine Sache, die uns alle angeht, egal wo wir herkommen, woran wir glauben oder wen wir lieben. Dabei respektiert der Frieden den wir meinen alle Menschenrechte grundsätzlich und bedingungslos, baut auf demokratische Strukturen, zahlt in das Gemeinwohl ein und lässt sich nur global erreichen.
Wer hingegen nur nach Freiheit und Frieden ruft, weil er oder sie auf seine oder ihre Privilegien nicht verzichten will, hat in unserer Mitte nichts verloren. Und wer mit Nazis, Reichsbürgern und Schwurblern aller Art in diesen Zeiten Polonaise tanzt ebensowenig. Wer wirklich für den Frieden kämpft, behauptet und inszeniert sich nicht als „das Volk“, sondern setzt sich auf allen Ebenen gegen jegliche Form von Diskriminierungen ein.
Wer sich heute hier weigert einen Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen, gefährdet andere, verhält sich also unsolidarisch und hat deswegen bei uns nicht zu suchen. Wer andere ausgrenzt oder in Worten oder Taten diskriminiert, hat diese unsere Kundgebung zu verlassen, selbst wenn er oder sie sich eine Friedenstaube ins Gesicht pinselt.
Erich Kästner sagte: „glaubt nicht, ihr hättet Millionen Feinde. Euer einziger Feind heisst – Krieg.“
Dieser Satz gilt nach wie vor. Er bedingt dass man Krieg als die logische Folge von kapitalistischen Wettbewerben und Profitmaximierung versteht. Ein echter Frieden basiert demzufolge auf Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit und deswegen brauchen wir zu seiner Durchsetzung nicht mehr und nicht weniger als eine sozial-ökologische Transformation. Sie muss unsere Antwort auf die verschiedenen kapitalistischen Krisen sein, welche im vergangenen Jahr durch Covid-19 sichtbar geworden sind.
Der kapitalistische Wettbewerb und Verteilungskampf um Impfstoffe z.B. verstärkt die Gegensätze zwischen armen und reichen Ländern; das in ihm liegende „wir zuerst!“ verschärft strukturellen Rassismus und verhindert die Solidarität der Vielen.
Dabei wurde der Begriff „Solidarität“ vor knapp einem Jahr – zu Beginn der Pandemie – an einigen Stellen mit neuem Leben gefüllt: Solidarität mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen, Solidarität mit den Alten, Pflegebedürftigen und Einsamen. Solidarität mit den durch die Pandemie buchstäblich auf der Strecke gebliebenen, den Geflüchteten.
„Leave no one behind“ wurde zum Leitsatz unseres Handelns, von München bis nach Moria, von den bosnischen Flüchtlingscamps bis zu den präkarisierten Vierteln in unseren Städten, von den Altenheimen bis an die libysche Küste. Leave no one behind bedeutet, dass wir - in unserem Ringen zur Überwindung der Krise - wirklich an ALLE denken, ALLE mitnehmen und ALLE mit einbeziehen. Das sollte und muss in ganz besonderem Maße für diejenigen gelten, die auf der Flucht vor Kriegen, Krisen und Umweltzerstörungen sind.
Tatsächlich gab es letztes Jahr eine Art Verschnaufpause, Abschiebungen wurden ausgesetzt – andere Punkte der politischen Agenda waren tagesaktuell wichtiger. Aber jetzt, da wir uns langsam irgendwie an diese Krise „gewöhnen“ und mit ihr umgehen lernen, jetzt kommt der staatliche Verfolgungsapparat auf Touren: seit November wird wieder massiv abgeschoben, natürlich nach Afghanistan, aber auch in verschiedene Länder Afrikas, nach Pakistan, in den Iran oder in die von der Krise stark gebeutelten europäischen Länder wie Rumänien, Bulgarien, Griechenland oder auch Italien. Kurz vor seinem Abgang läuft der rassistische Innenminister Seehofer derzeit zu neuer Höchstform auf: er bahnt Abschiebungen nach Syrien an und lässt jeden Monat ein Flugzeug der Barbarian Airlines nach Kabul fliegen, obwohl das Auswärtige Amt Afghanistan nicht nur eine hohe Gefährdung durch Anschläge und Kriegshandlungen bescheinigt, sondern das Land auch als Hochinzidenzgebiet einstuft und den kompletten Zusammenbruch des dortigen Gesundheitswesens konstatiert. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein Menschenrecht. Abschiebungen in Hochinzidenzgebiete sind deswegen klare Menschenrechtsverstösse. Wir brauchen jetzt ein Abschiebungsmoratorium, zumindest für die Dauer der Pandemie!
Aktuelle Statistiken belegen, dass besonders viele Menschen mit Migrationsgeschichte von schweren Krankheitsverläufen betroffen sind. Die Ausgrenzungsspezialisten in der Bundesregierung salbadern dazu twas von „mangelnden Sprachkenntnissen“ oder „geringen Anstrengungen bei der Integration“ und demonstrieren somit ihren staatlich-strukturellen Rassismus: denn nicht Herkunft oder Sprache entscheiden über einen schweren Krankheitsverlauf sondern Vorerkrankungen (z.B. aufgrund von Fluchterfahrungen) oder prekäre und enge Lebensverhältnisse.
Geflüchtete bleiben derzeit besonders häufig auf der Strecke. Sei es weil sie nach wie vor in sogenannten Ankerzentren, also Lagern, viel zu dicht gedrängt leben müssen und Abstand und Hygiene kaum konsequent umzusetzen sind. Sei es, weil es plötzlich kaum noch Ausbildungsplätze gibt und die Duldung vieler Geflüchteter an genau diesen hängt. Oder noch schlimmer: weil sie am Ende ihrer Ausbildung – abgehängt durch Home-Schooling und mangelnde digitale Infrastruktur in den Unterkünften – jetzt durch die Abschlussprüfungen rasseln und damit ihre Ausbildungsduldung verlieren.
Wenn Seehofer oder Hermann es so wollen, dann finden sich auf den Abschiebelisten sogar junge Pflegekräfte oder solche die es eigentlich werden wollten. Was für eine bodenlose Schweinerei, unseren Krankenschwestern und Pflegekräften nicht nur bessere Arbeitsbedingungen zu verweigern, sondern ihnen obendrein einen Teil der wenigen Ausbildungswilligen per Abschiebung zu entziehen.
Seit einigen Jahren gibt es in München eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung: wir haben Geflüchtete zu Tausenden am Hauptbahnhof empfangen und ihnen durch mannigfaltiges Engagement das Ankommen erleichtert. Wir haben uns immer wieder den Nazis bei ihren Aufmärschen in den Weg gestellt. Wir haben uns 2018 bei #ausgehetzt gegen den Rassismus der CSU positioniert, wir haben uns gegen das neue Polizeiaufgabengesetz – also gegen einen Ausbau autoritärer Strukturen – engagiert, wir waren letzten Juni trotz Pandemie mit Zehntausenden auf der Strasse, als in den USA George Floyd ermordet wurde: Black Lives Matter – auch bei uns!
Wir erleben derzeit viele Formen von Arbeitskämpfen: im öffentlichen Nahverkehr und bei der IG Metall, nach Entlassungen bei Benko/Kaufhof und bei den Protesten von Erzieher*innen oder bei den Beschäftigten des Gesundheitswesens. Dazu zeichnet sich eine neue studentische Bewegung ab, die sich gegen eine Reform der Hochschulen richtet, welche den Lehrbetrieb nur noch an Wirtschaftsinteressen ausrichten und demokratische Mitbestimmungsrechte abschaffen will. Es gibt also eine Menge von Auseinandersetzungen, in denen wir uns solidarisch zeigen können, in denn wir uns solidarisch zeigen müssen.
Und dann gibt es noch das andere Gesicht unserer Stadt: das der Rüstungs- und Waffenlobby; das jedes Jahr die NATO-Sicherheitskonferenz durchführt und auf dessen Stadtgebiet ca. 25% der deutschen Rüstungsindustrie liegt. Hier müssen wir stärker, lauter und mehr werden und eine Konversion der Betriebe von Kraus-Maffei, MTU und Konsorten durchsetzen. Also: Arbeitsplätze erhalten und dabei nichts produzieren, was Kriegspolitik oder Waffenhandel befördert. Wir müssen den Druck auf unseren Oberbürgermeister erhöhen, der als Mitglied der „Mayors For Peace“ öffentlich praktisch nicht in Erscheinung tritt, genau so wenig wie er das Projekt „München als sicherer Hafen“ vorantreibt, obwohl dieses vom Stadtrat mehrheitlich beschlossen wurde.
Der Ostermarsch in München jährt sich heute zum 60. Mal. Und seine zentrale Botschaft gilt heute genau so sehr wie vor 60 Jahren: wir müssen für den Frieden laut werden, er wird uns nicht in den Schoß fallen und schon gar nicht, wenn wir ihn so verstehen, wie ich ihn eingangs definiert hatte: als sozialen Frieden innerhalb und zwischen den verschiedenen Gesellschaften. Wer immerwährendes Wirtschaftswachstum als politische Devise ausgibt, kann dies nur über Zerstörung und Wiederaufbau erreichen. Diese kapitalistische Wachstumslogik müssen wir endlich überwinden und selten waren die Voraussetzungen dafür klarer und offensichtlicher als in den Zeiten einer Pandemie:
die Schwächen dieses Wirtschaftssystems liegen offen vor uns und seine mannigfaltigen Krisen provozieren laufend neue Kämpfe und Auseinandersetzungen. Wenn wir das zusammen denken, uns aufeinander beziehen und unsere Kämpfe gemeinsam führen, dann (und nur dann) haben wir eine Chance auf eine bessere Welt, auf eine friedliche Welt. Wer sich im Jahr 2021 als Pazifist*in engagiert, muss sich gleichzeitig für die Belange von Klima und Ökologie einsetzen, sich für eine Aufhebung des Patentschutzes von Impfstoffen gegen Covid-19 stark machen, die Bewegungen der Arbeiter*innen und Student*innen unterstützen, den Kampf gegen Armut und Wohnungslosigkeit in einer Mieter*inneninitiative stärken, gegen Rassismus und Diskriminierung und für soziale Gerechtigkeit eintreten und und und…
Dabei ist es nicht nur richtig, unsere Kämpfe zusammen zu führen; wir haben doch gar keine andere Wahl um den Krieg als unseren „einzigen Feind“ im Sinne Kästners niederzuringen. Und dennoch möchte ich es positiver formulieren und auch dabei ist Erich Kästner behilflich, von ihm stammt nämlich auch der Ausspruch:
„es gibt nichts gutes – außer man tut es!“